Portrait Markus Steilemann
19.05.2020    Andreas Busch
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Ein Werkstoffproduzent wie Covestro kann sich der nahezu alle Branchen belastenden, weltweiten Krise infolge der Coronapandemie nicht entziehen: Produzieren etwa Autohersteller weniger Fahrzeuge, sinken gleichzeitig die Absatzmengen von Kunststoffen. Covestro-CEO Markus Steilemann reagiert mit Kostenanpassungen und treibt eine nachhaltigere Geschäftsentwicklung voran.

Zur Person

Portrait Markus Steilemann

Markus Steilemann

ist seit Juni 2018 Vorstandsvorsitzender Covestro AG. In seinen Verantwortungsbereich fallen Strategie, Nachhaltigkeit, Personal und Kommunikation

Hat Corona das Unternehmen Covestro stark getroffen?

Markus Steilemann: Die Krise hat signifikante Auswirkungen auf die Chemieindustrie und damit auch auf Covestro. Wir sind aber im ersten Quartal in den mittleren Erwartungen des Kapitalmarktes herausgekommen, und darauf sind wir stolz. Für das Gesamtjahr 2020 erwarte ich einen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen zwischen 700 Millionen Euro und 1,2 Milliarden Euro.

Welche Bereiche leiden besonders?

Steilemann: Wir haben bereits im Jahr 2018 „Perspective“, ein Programm zur Reduzierung struktureller Kosten, aufgelegt.  Dies haben wir zuletzt beschleunigt. So wollen wir die Kosten in diesem Jahr um zusätzliche rund 100 Millionen Euro auf insgesamt 300 Millionen Euro senken. Der Mehrbetrag resultiert aus der Reduzierung klassischer Aufwendungen wie beispielsweise Reisekosten oder Beraterhonorare.

Also ist Covestro für die Krise gerüstet?

Steilemann: Wir betrachten die Krise auch als Chance. Es geht jetzt nicht nur einfach um eine klassische Erholung wie etwa nach der Finanzkrise, also nicht nur um Kostensenkungen, sondern auch um strategische Themen wie die Förderung einer ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft. Darauf richten wir die gesamte Strategie des Unternehmens aus. Damit sind wir auch langfristig gut für das aufgestellt, was als „Sustainable Recovery“ bezeichnet wird.  Mit Blick darauf werden Kunststoffe in Zukunft eine noch viel größere Rolle spielen.

Steht das nicht dem weit verbreiteten Traum einer „plastikfreien Welt“ entgegen?

Steilemann: Nein, ganz im Gegenteil. Lassen Sie mich einige Beispiele geben. Ein modernes, nachhaltigeres Leben, etwa mit weniger Geschäftsreisen, ist ohne digitale Technik nicht möglich. Es muss allerdings eine Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine geben, und dabei sind Kunststoffe unersetzlich. Zudem sind sichere Nahrungsmittel ohne Verpackung nicht denkbar. Oder denken Sie an den Medizinbereich. Wir haben es in der Krise gesehen: Systemrelevante Personen wie Ärzte oder Pflegekräfte tragen Schutzkleidung aus Kunststoffen. Nur so ist effektiver Infektionsschutz umzusetzen. Beim Abfallmanagement von Kunststoffen gibt es allerdings noch viel zu tun. Da geht Covestro voran. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für einen nachhaltigen Neustart.

Dafür braucht es Innovationen. Wie treiben Sie diese im Unternehmen voran?

Steilemann: Dabei spielen Hirn und Herz eine wichtige Rolle. Wir haben eine Kultur geschaffen, in der jeder Mitarbeiter innovativ sein darf. Gute Ideen, egal von wem sie kommen, werden aufgenommen und strukturiert geprüft. Ein neues Produkt muss signifikant besser sein, als das bestehende, es muss nachhaltig sein, und es muss den Menschen in den Mittelpunkt stellen.

Kommen in dem Prozess digitale Technologien zum Einsatz?

Steilemann: Ich möchte es etwas salopp erklären: Früher haben wir in der Forschung und Entwicklung nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen gesucht, und viele hochqualifizierte Chemiker mussten so lange Mischungen kochen, bis wir die Nadel gefunden hatten. Heute rechnen Maschinen diesen Prozess in Windeseile und zeigen uns, wie die Nadel aussieht. Erst dann erfolgen konzentrierte Experimente. Andere Beispiele für den Einsatz neuer Technologien sind unser digitaler Marktplatz für Werkstoffe oder die vorausschauende Wartung der Produktionsanlagen. Auch in der Logistik haben wir noch Quantensprünge vor uns. Kurz: Was digital gemacht werden kann, wird digital gemacht.

Aber können neue Technologien wie etwa der 3-D-Druck Covestro nicht auch Kunden kosten?

Steilemann: 3-D-Druck verändert womöglich die Wertschöpfungskette. Aber wir liefern keine Zwischenprodukte, sondern Materialien. Und die werden auch beim 3-D-Druck benötigt. Covestro ist in diesem Bereich längst aktiv, ich sehe ein gutes Potenzial.

Woraus schöpfen Sie neue Ideen?

Steilemann: Ich bin von Grund aus ein ganz neugieriger Mensch. Ich entwickele neue Ideen häufig aus einer Vielzahl von Gesprächen, aus dem Austausch mit gut vernetzten Experten oder Beobachtungen. A propos Experten: Wir sollten etwa rationale Argumente und Warnungen viel ernster nehmen. Es gab solche seit langer Zeit auch im Hinblick auf eine mögliche Pandemie wie Corona. Ich denke nach der Maxime „Mit dem Schlimmsten rechnen und dabei Optimist bleiben“. Wir sollten demütig sein und unsere Grenzen kennen.

Welche Erkenntnisse aus der Corona-Krise werden Ihnen vor allem in Erinnerung bleiben?

Steilemann: Die große Welle der Empathie und der Hilfsbereitschaft innerhalb des Unternehmens hat mich sehr berührt. Ebenso großartig ist, wie sehr sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerade jetzt für Menschen außerhalb des Unternehmens und für soziale Einrichtungen einsetzen. Beeindruckt hat mich auch die große Einsatzbereitschaft der vielen Kolleginnen und Kollegen, die unsere Produktion unter widrigen Bedingungen am Laufen halten.

Welche Innovation von Covestro hat Sie besonders begeistert?

Steilemann: Da weiß ich spontan kaum, wo ich anfangen soll. Neue Materialien für Windradflügel etwa. Damit lassen sich Rotorblätter deutlich schneller herstellen und werden erheblich haltbarer. Das senkt die Kosten für die Erzeugung von Windstrom erheblich.

Und welche Innovation halten Sie insgesamt für ganz besonders bemerkenswert?

Steilemann: In historischer Perspektive den Buchdruck. Er war eine der ersten Möglichkeiten, Wissen zu konservieren, und zwar personenunabhängig. Er hat Millionen von Menschen in die Lage versetzt, ihr kreatives Potenzial zu nutzen.

Lesen Sie aktuell ein Buch?

Steilemann: Ich lese meistens mehrere parallel. Dazu gehört aktuell „Das Kapital. Ein Plädoyer für den Menschen“ von Reinhard Marx, dem Erzbischof von München und Freising, in das ich immer wieder schaue. Das Buch ist deshalb so interessant, weil Marx die grundsätzliche Frage aufwirft nach dem künftigen System, in dem wir leben wollen. Eine Frage, die durch die Corona-Krise noch einmal zusätzliche Aktualität bekommen hat.

19.05.2020    Andreas Busch
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