DUB Business Talk mit Walter Kohl
15.07.2020    Johanna Steinschulte
  • Drucken

Kohl fordert Abbau der Bürokratie

Dieses Land bis 2030 so wettbewerbsfähig zu machen, dass es im digitalen Markt den Koreanern, Israelis und Amerikanern auf Augenhöhe begegnet – so stellt sich der Sohn von Helmut Kohl die Zukunft Deutschlands vor. „Wir stehen vor einer historischen Zäsur, was die Technologieentwicklung angeht. Wir stehen an einer Zäsur, was die Entwicklung in Europa angeht“, sagt Kohl im DUB Digital Business Talk.

Für Kohl sind drei Faktoren wichtig:

  1. Wettbewerbsfähigkeit in den Fokus stellen
    Große Investitionen in die Digitalisierung, Big Data, Elektromobilität, Wasserstoff und Bildung im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) seien unerlässlich.
  2. Föderalismus muss funktionieren
    Gerade die Corona-Krise hat gezeigt, dass es hier oft hapert. Ein agiler Staat und ein massiver Abbau von Bürokratie sind hier entscheidend. „Vor 20 Jahren hatten wir 5.000 Bauvorschriften. Heute haben wir 20.000. Völliger Wahnsinn“, sagt Kohl.
  3. Zukunftsfonds zur Finanzierung
    Geld, das ungenutzt auf Sparbüchern liegt und an Wert verliert, oder Lebensversicherungen, die kein Kapital mehr bilden und an Wert verlieren, möchte Kohl in einem „Zukunftsfonds Deutschland“ mit einer Garantieverzinsung von 3,5 Prozent zusammenfassen.

1000 Milliarden Euro ließen sich so ohne Probleme zusammentragen. „Damit können wir eine der größten, vielleicht sogar die größte, Innovations- und Investitionsoffensive starten, die gezielt in Zukunftsthemen in Deutschland investiert“, sagt Kohl. „Wir könnten Standards setzen, wie wir es ja schon mal mit der deutschen Industrie gemacht haben.“ Heute werde zum Beispiel im Bereich Elektromobilität oder Hightech-Startups investiert.

Koreaner sagen uns: „Das ist ja fast wie in Bangladesch“

Deutschland hinke in vielen Bereichen hinterher, sagte Kohl. Länder wie Israel, Korea, Norwegen und Singapur seien deutlich weiter und sollten als Vorbild dienen. „Fahren Sie hier zum Beispiel die A 45 von Gießen hoch Richtung Dortmund. Das ist eine einzige Baustelle. Das sind 20, 30 Jahre nicht geleistete Reparaturen“, sagt Kohl. Auch das deutsche Eisenbahnnetz liege im Vergleich zu anderen Ländern weit zurück. „In Korea entschuldigt sich die Bahn, wenn der Zug zwei Minuten Verspätung hat. Stellen Sie sich das mal bei der Deutschen Bahn vor“, sagt Kohl. „Wenn wir mit Geschäftspartnern aus Korea über Digitalisierung in Deutschland sprechen, hören wir Sätze wie ‚Das ist ja wie in Bangladesch‘.“

DUB Business Talks

Zukunft heißt nicht: „Wer kann Urlaub machen?“

Für Kohl hat sich in Deutschland seit 1990 alles auf den Kopf gestellt. „Was Benchmarking angeht, denken wir immer noch zu stark europäisch,“ sagt er. „Als wir 1990 die Weltmeisterschaft gewannen, habe ich mir einen Trainingsanzug der deutschen Nationalmannschaft gekauft – Made in Germany. Heute gibt’s das alles nicht mehr.“

Wo wird die Welt in 10 Jahren stehen, welche Maßnahmen müssen jetzt in Deutschland ergriffen werden, um auch 2030 wettbewerbsfähig zu sein, fragt sich Kohl deshalb. Gerade die Diskussionen der letzten Wochen sind aus seiner Sicht alles andere als zukunftsweisend. „Wieviel Prozent der öffentlichen Berichterstattung rund um Corona gingen um die Frage, wer Urlaub machen kann? Das ist doch keine Zukunft. Zukunft muss heißen: Industrie 4.0 – Wo können wir hier Führerschaft übernehmen?“

„Riesenchance, Europa neu aufzustellen“

Corona hat gleich drei Probleme ausgelöst, findet Kohl:

  1. Die Pandemie
  2. Eine sich noch verschärfende Weltwirtschaftskrise
  3. Eine nahende Eurokrise

Doch gerade hier sieht Kohl großes Potenzial: „Es ist eine Riesenchance, Europa neu aufzustellen. Denn Krisen bedeuten auch immer das Aufbrechen alter Routinen. Auf einmal sind Dinge möglich, die vorher nicht möglich waren.“ So habe die Wirtschaftskrise 1980 Unternehmen wie Siemens, Bosch oder BASF zu Weltmarktführern gemacht.

Und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine neue Bundesrepublik gebaut. Nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern viel geschafft. „Es hat jedes Mal Entschiedenheit verlangt,“ betont Kohl. „Im Sinne von klaren und einklagbaren Zielen, dass wir uns wirklich in den Dienst dieser Sache stellen, und dass wir auch Parteipolitik ein Stück weit reduzieren. Der wichtigste Auftrag ist, unser Land der nächsten Generation qualifiziert und wirtschaftlich gesund zu übergeben.“

Das neueste Buch „Welche Zukunft wollen wir? – Mein Plädoyer für einen Politik von morgen“ ist jetzt im Handel erhältlich.

15.07.2020    Johanna Steinschulte
  • Drucken
Zur Startseite