Illustration Big Data
11.11.2020    Thomas Eilrich
  • Drucken

Datenjäger und Datensammler

Ein Schatz ist gemeinhin etwas Rares wie Gold oder auch Öl. Beim Datenschatz ist jedoch das Gegenteil der Fall. Es gibt eine Unmenge von Daten. 1,7 Megabyte produziert jeder Mensch pro Sekunde, sagt Alexander Röckle, Head of Platform & Technologies – Automotive and Manufacturing bei SAP, im Rahmen der DUB Digital Week zum Thema „Durchblick im Datendschungel. So wird Ihr Unternehmen Schritt für Schritt digitaler“.

Diese Speaker haben auf der DUB DIGITAL WEEK zum Thema Big Data & Business Intelligence gesprochen:

Bis Ende 2020 wird die weltweite Datenmenge auf 60 Zettabyte anwachsen, zeigt eine IDC-Studie. 2025 dürften es schon 200 Zettabyte sein. Und ein Ende der Entwicklung ist nicht absehbar. Kein Wunder, denn nicht nur Maschinensensoren, sondern jeder Einzelne von uns sorgt fleißig weiter mit für diese Datenflut. So werden etwa bei Netflix pro Minute 97.000 Stunden Videos angeschaut und bei Spotify 1,5 Millionen Songs gehört. In nur 60 Sekunden werden zudem 195 Millionen E-Mails verschickt, 800.000 Dateien in die Dropbox geladen und 120 neue LinkedIn-Accounts angelegt.

Erfolgreiche Datenjäger und -sammler sind junge, oft international agierende Unternehmen wie Netflix und Co. Sie haben eines gemeinsam: Daten sind ein zentraler Baustein ihres Geschäftsmodells. Und das macht sie entsprechend begehrt. Microsoft beispielsweise hat LinkedIn für 26 Milliarden Dollar (rund 22 Milliarden Euro) gekauft. Das Netzwerk hatte damals rund 430 Millionen Nutzer und war zuvor ins E-Learning eingestiegen – ein weiteres verlockendes Datenbusiness für Microsoft.

Drei Faktoren bestimmen den Wert von Daten, so SAP-Experte Röckle: Menge, Nutzung und Qualität. Die Datenmenge hat offenkundig gigantische Ausmaße angenommen. Die Qualität kann da nur bedingt mithalten. Manche Daten sind zum Beispiel nicht zuordnungsfähig, etwa weil Kundeninformationen nicht mit dem Kundennamen verknüpft sind. Und die Nutzung der Daten? Die ist gering. Gerade mal 0,5 Prozent der Daten werden genutzt.

Eine Verschwendung. Denn: Grundsätzlich liegt in ihrer Nutzung das Potenzial nicht nur für neue, sondern auch für bestehende Unternehmen. Professor Ulrich Lichtenthaler, der Management und Entrepreneurship an der International School of Management in Köln lehrt, sagt: „Wenn wir in die Zukunft schauen, muss ein Fokus auf Daten gelegt werden. Aber nicht nur auf die Menge, sondern auch auf die Qualität. Es gilt, immer auf der Höhe der Zeit zu sein und stets mit neuen Technologien zu liebäugeln.“ Chatbots beispielsweise seien früher vielleicht revolutionär gewesen, mittlerweile müsse diese Technologie aber schon fast jeder haben.

Daten nutzen heißt Disruption vorbeugen

Ralf Belusa, Managing Director Digital Business & Transformation bei Hapag-Lloyd, ergänzt mit Blick auf die Praxis: „Man muss stets Daten sammeln und tiefgehendes Wissen aufbauen, um sich beispielsweise der vollkommenen Customer-Journey zu nähern. In unserem Fall wissen viele heute nicht, wie lange ein Kunde bei Kauf oder Buchung braucht. Das aber ist essenziell und muss unbedingt transparent gemacht werden, weil einem sonst die Konkurrenz davonrennt.“

Oder weil gar Gefahr im größeren Rahmen droht. „Man muss sich grundsätzlich fragen: Bin ich mit meinem Geschäftsmodell für die Zukunft aufgestellt, oder gibt es gar Entwicklungen in der Branche, die disruptives Potenzial haben? Das gilt insbesondere, wenn sich, wie jetzt in Coronazeiten, die Rahmenbedingungen ändern. Wenn die Zukunftsperspektive fraglich ist, müssen Daten gesammelt und analysiert werden, um entsprechend neue digitale Modelle zu bauen. Und dann muss man auch den Mut haben, etwas auszuprobieren“, sagt Stefanos Katsios, Geschäftsbereichsleiter Data und Analytics bei SVA, einem der führenden System-Integratoren Deutschlands im Bereich Datacenter-Infrastruktur.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

„Zumindest das Bewusstsein dafür ist mittlerweile vorhanden“, ergänzt Thomas Obitz, Alliance Sales Executive DACH beim Softwarehaus Stibo Systems, das auf Stammdatenverwaltung spezialisiert ist. „Die meisten Unternehmen wissen, dass sie auf einem Datenschatz sitzen. Nur müssen diese Daten aufbereitet werden.“ Aber: Auch Nicht-Daten sind wichtige Informationen; schlechte Daten zum Beispiel sagen etwas über die Art des Umgangs mit dem Thema aus.

Der Umgang mit dem Thema Daten ist im Unternehmen gar nicht hoch genug zu hängen. „Digitalisierung ist keine Sache der IT-Abteilung. sie muss in allen Bereichen eines Unternehmens gelebt werden“, konstatiert Belusa.

„Eben weil digitale Geschäftsmodelle zumeist auf Daten basieren, die entweder schon vorliegen oder sich außerhalb des Unternehmens befinden, brauchen wir Wege, sie besser auszuwerten und zu nutzen“, fasst Katsios die Herausforderung nicht nur für Mittelständler zusammen.

Nils Britze, Bereichsleiter Digitale Geschäftsprozesse beim Digitalverband Bitkom, schlägt vor, sich dem Schritt für Schritt zu nähern: „Digitale Geschäftsprozesse sind das Fundament, um überhaupt Daten generieren zu können, auf deren Basis dann wiederum innovative Ideen entwickelt werden.“

Prozessoptimierung und Innovation gehen Hand in Hand. Wer seine Daten im Griff hat, kann neue Geschäftsmodelle entwickeln. Wer zum Beispiel seine Kunden dank der Daten genau kennt, weiß vielleicht, dass diese seine Maschinen nicht nur kaufen, sondern zunehmend auch mieten wollen. Daten können also das Geschäftsmodell retten oder erweitern.

So zünden Sie den Datenturbo

Wie aber können mittelständische Unternehmen ganz konkret den Datenturbo zünden? Die Antwort lautet: Einfach mal machen. „Es braucht kein Riesen-Budget“, beruhigt Belusa. Manchmal reicht es schon, an kleinen Stellschrauben zu drehen, um einen großen Unterschied zu machen. „Es klingt nach einer Herkulesaufgabe, aber jeder Unternehmer kann mit vergleichsweise einfachen Schritten beginnen“, sagt Achim Krombach, Solution Architect bei Lumen Technologies. Katsios ergänzt: „Es geht nicht um Millionenprojekte, sondern um kleinere Themen, die dann auch einmal nicht funktionieren dürfen. Doch wenn sie es tun, wenn sie kleine Erfolge bringen, kann ich als Unternehmer den Weg der Digitalisierung weitergehen.“

„Mehr Zug zum Tor“ nennt das Franz Winterauer, Vice President IoT Data Services bei Siemens Advanta, einer neuen Einheit, die Kunden bei Transformationsprozessen berät. Der Anspruch: Es muss ein spürbarer Mehrwert bei Digitalisierungsprojekten herausspringen. Daher gilt es, use-case-driven zu arbeiten.

In der Beobachtung der Digital-Week-Experten sind viele Digitalisierungsprojekte in der Vergangenheit auch deshalb gescheitert, weil sie zu technologisch und nicht aus einem echten Anwendungsfall heraus getrieben waren. Zudem gilt es, stets dranzubleiben. Der Hauptgrund für das Scheitern von Datennutzungs- und Digitalisierungsprojekten ist häufig auch der Mangel an einem langen Atem.

Die Hauptaufgabe muss sein, „aus dem Kerngeschäft heraus die digitale Transformation voranzutreiben“ und das eben nicht „an einem komplett vom Hauptgeschäft losgelösten Projekt zu erproben“, so Belusa. Immer sinnvoller sei use-case-basiertes Arbeiten. „Also eine konkrete Herausforderung als Ziel ausgeben, nicht im Ungefähren bleiben“, sagt Marc Roulet, Director Business Analytics beim Businessnetzwerk XING.

Datengetriebene Digitalisierung ist das eine, Automatisierung das andere. Beides muss laut Krombach von Lumen Technologies Hand in Hand gehen. Das sieht auch Hapag-Lloyd-CDO Belusa so.

„Bei der Automatisierung müssen viele Unternehmen noch aufwachen. In diesem Bereich sind locker zwei bis drei Prozent Unternehmenswachstum drin, die einfach verschenkt werden“, berichtet Belusa. Als Beispiele nennt er den E-Mail-Verkehr oder generell die Kundenansprache.

Digitale Evolution oder Revolution?

Wie aber kann ein Technologiesprung gelingen, wenn es keine graduellen Verbesserungen sein sollen? Jan Dzulko, Gründer und CEO von everphone, die einen Full Service für Firmentelefone anbieten, verweist auf eine simpel anmutende Möglichkeit: Langfristig werde das Smartphone den Laptop ersetzen. Dzulko sieht diese Entwicklung „gerade in Branchen, die noch unterdigitalisiert sind – wie zum Beispiel in Krankenhäusern oder bei Pflegediensten“. So sei es möglich, eine Entwicklungsstufe zu überspringen.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

„Mit den richtigen Apps auf dem Smartphone kann man viel einfacher als mit einem Laptop Personalthemen managen wie die Zeiterfassung oder Krankschreibungen, Spesenabrechnungen machen, das Kfz-Flottenmanagement organisieren, eine Zwei-Faktor-Authentisierung für Sicherheitsbereiche einrichten oder auch das Kantinenessen bezahlen.“ Ein Firmenhandy werde daher künftig ein Produktivitäts-Device sein, ist er sich sicher.

Lichtenthaler stellt das Thema in einen größeren Kontext:Digitalisierung ist definitiv mehr als Automatisierung. Und sie beinhaltet nicht nur große Chancen für mehr Effizienz, sondern auch für echte Innovation. Wenn man einmal genau auf die Konsequenzen des ersten Lockdowns schaut, vom dem ja viele glauben, er habe uns einen großen Digitalisierungsschub gegeben, so zeigt sich doch: Die Nutzung von Videokonferenzen und Homeoffice hat nichts mit Digitalisierung im Kern zu tun. Beides, wie auch der Glasfaserausbau, bietet am Ende nur die Infrastruktur. Das ist wichtig. Aber Unternehmen sollten sich eher die Frage stellen, wie es um die Zukunftsfähigkeit ihrer Strategie und ihrer Geschäftsmodelle bestellt ist. Automatisierungsfragen sind da leichter zu lösen.“

Er mahnt zudem:Prozesse immer weiter zu digitalisieren ist grundsätzlich gut und sicher richtig. Das birgt aber auch die Gefahr, dass wenn radikale Veränderungen in der Branche Einzug halten – beispielsweise wenn eine Leistung plötzlich ‚as a service‘ angeboten wird oder sich ein Plattformmodell etabliert –, plötzlich Teile des eigenen Geschäftsmodells wegbrechen.“
Entsprechend haben die Digitalisierungsexperten noch vor die Praxis die Strategie gesetzt: „Ob Kundendaten, solche der Mitarbeiter oder auch Sensordaten von Maschinen: Immer sollte die Gesamtstrategie im Blick behalten werden“, fordert SAP-Mann Röckle. „Eine Datenstrategie führt einzelne Elemente zu einem Ganzen zusammen“, ergänzt Roulet von XING. Oft aber fehle diese. Ein Fehler.

Jedes Unternehmen braucht eine Datenstrategie. Wird diese angegangen, muss sie einen ganzheitlichen Anspruch haben und darf sich nicht nur auf singuläre Projekte beziehen. Was nötig ist, ist eine Art übergeordneter Data-Purpose.

Stehen große Mengen an Informationen zur Verfügung, spricht man von Big Data. „Big Data kann helfen, Dinge vorherzusehen, bevor sie passieren“, sagt Winterauer von Siemens Advanta. Doch vor der sinnvollen Analyse und Nutzung größter Datenmengen müssen diese zunächst einmal zusammengeführt werden. „Big Data umfasst nicht selten unstrukturierte Datenmengen“, so Obitz von Stibo Systems. Bringe man diese sinnvoll zusammen, ließen sich Daten auch effizient nutzen.

Die größte Hürde dabei: die noch weit verbreiteten Datensilos, so der Experte von Siemens Advanta.

Datensilos aufzulösen und Informationen aus verschiedenen Bereichen miteinander zu verknüpfen bietet enormes Potenzial. Das ist aber zugleich eine große Herausforderung, die sowohl die Unternehmenskultur als auch die Schnittstellen betrifft.

Letzteres macht Katsios noch einmal deutlich, indem er einen Blick auf die Praxis seines Unternehmens gewährt: „Um Applikationen bauen zu können, muss ich Daten integrieren. Daher sind Schnittstellen auch immer ein zentrales Thema – ob in Unternehmen oder über Unternehmensgrenzen hinweg. Wenn ich mir heute einen typischen Mittelständler anschaue, so hat der vielleicht 40 bis 50 Systeme im Einsatz, in denen sich wichtige Daten für Geschäftsprozesse verbergen. Das Projekt, daraus eine konsolidierte Datensicht zu generieren, beansprucht manchmal einige Jahre. Es braucht den einen ‚point of truth‘, um auf dieser Basis ein neues Geschäftsmodell zu entwickeln. Das ist immer ein Hardware- und ein Software-Infrastruktur-Thema. Schnittstellen müssen gebaut werden.“

Cybersecurity mitdenken

Ein zentrales Thema darf beim Einfach-mal-ausprobieren-Ansatz allerdings nicht außer Acht gelassen werden: die Datensicherheit. Ingo Lalla ist Vice President Sales in der DACH-Region bei Myra Security. Der deutsche Anbieter tummelt sich in einem von US- und israelischen Unternehmen dominierten Markt. „Cyberattacken standen vor fünf Jahren auf Platz vier der größten Bedrohungen für Unternehmen. Mittlerweile werden sie als das größte Bedrohungsparameter in Unternehmen empfunden – vor allem was Betriebsunterbrechungen und Datenleaks angeht. Doch sehen sich viele Mittelständler davon nicht betroffen. Das ist ein ganz großer Trugschluss. Ob ein Unternehmen prominent ist oder nicht, hat absolut nichts mit der Bedrohungslage zu tun. Es kann jeden treffen und wird viele treffen“, so der Experte für IT-Sicherheitstechnologie.

Datensicherheit sollte schon von Beginn an im Mittelpunkt stehen. Dafür muss nicht nur in neuen, sondern auch in existierenden Bereichen im Unternehmen Aufmerksamkeit für das Thema Cybersecurity geschaffen werden.

„Einige Unternehmen sind in der Lage, diesen Aspekt von Beginn an mitzudenken, aber insgesamt klafft da – gerade in der Entwicklung – oft noch eine große Lücke. Das muss und wird sich ändern. Wir brauchen Security by Design, und wir brauchen es nicht irgendwann später drangeflanscht“, so Lalla. Natürlich sei Sicherheit kein Selbstzweck. Die realistische Einschätzung des Experten: „Es muss ein gesundes Verhältnis zwischen Innovation, Performance und Sicherheit geben.“

Professor Christoph Meinel, Direktor des Hasso-Plattner-Instituts, ergänzt: „Es gilt zu hinterfragen, welchen Inhalt die eigenen Daten haben. Sind es Daten, bei den es schädlich sein kann, wenn Dritte darauf Zugriff bekommen? Dann könnte es problematisch werden. Das haben wir auch schon bei diversen Cyberattacken erlebt. Die nächste Frage ist: Soll bei der Daten­speicherung ein eigener Rechner oder eine externe Cloud genutzt werden? Es gibt inzwischen viele offene Clouds, die kostenlos sind. Doch das Bereitstellen der Infrastruktur ist für Anbieter teuer. Daher müssen Unternehmen in Betracht ziehen, dass sie statt Geld mit Daten zahlen.“

Insgesamt hat Deutschland einiges aufzuholen, sagt Roulet. Sind doch Staaten wie die USA und China mit ihren datengetriebenen Tech-Riesen vor allem aus dem B2C-Bereich bereits weit vorgeprescht. Die Chancen seien aber dennoch da. Auch die vielgescholtene DSGVO sei eine solche, denn „sie steht für eine gewisse Daten-Ethik, den seriösen Umgang mit Daten“.

Die Experten bei der DUB Digital Week sind sich einig: Die DSGVO gilt durchaus als eine Art „Made in Europe“-Gütesiegel und sollte entsprechend eingesetzt werden.

Von den besten Digitalisierern lernen

Wie aber ist der Status quo datengetriebener Digitalisierung hierzulande? In regulierten Branchen, etwa bei den Energieversorgern, ist der Drang zu digitaler Transformation sehr groß“, weiß Stephan Reiher, Enterprise Account Executive bei der Siemens-Tochter Mendix, zu berichten.

Britze verweist auf die Studie, in der der Verband Bitkom jüngst den Status quo des Digital Office – sprich der Verbreitung von Digitalstrategien, mobilen Arbeitsgeräten und digitaler Verwaltung im Mittelstand – untersucht hat. Hier habe sich die Finanzdienstleistungsindustrie als besonders fortschrittlich gezeigt. „Die Vorreiter hierzulande sind größere Unternehmen. Man kann die Tendenz erkennen: Je größer das Unternehmen, desto größer auch der Reifegrad der Digitalisierung.“

Doch gibt es natürlich auch Erfolgsbeispiele aus dem Mittelstand. Als Beispiel für einen gelungenen Wandel nennt Lichtenthaler den Fotodienstleiter CEWE. Dort sei man das Thema Transformation schon angegangen, bevor das Buzzword Digitalisierung in aller Munde war. „Dem Mittelständler ist es früh gelungen, sein Geschäftsmodell an neue Technologien und Kundenbedürfnisse anzupassen. Die Entwicklung von der Dunkelkammer zum digitalen Druck hat nicht nur vermieden, dass die Disruption das Unternehmen überrollt, sondern eine Zukunftsperspektive eröffnet.“

Einen grundsätzlichen Rat hält Reiher parat: Mittelständler sollten das Thema digitale Transformation angehen, indem sie von den Erfahrungen anderer lernen.

„Es macht Sinn, ganz genau auf branchenähnliche Modelle zu schauen“, so Reiher. Seinen Arbeitgeber Mendix sieht er dabei durchaus in der Rolle, andere zusammenzubringen.

Die tief hängenden Früchte der Digitalisierung

Und wie fällt der Blick in die Zukunft aus? Welche Perspektive hat Deutschland? Britze zitiert noch einmal Ergebnisse der Bitkom-Studie: Schon bei der Strategie, durch Digitalisierung einen Mehrwert zu erzielen, rangiere man hierzulande deutlich unter dem internationalen Standard, wenngleich „ein Digitalisierungsschub im Zuge der Coronapandemie nachweisbar ist“. Gründe für die Zurückhaltung seien etwa rechtliche Schranken beim Zugriff auf Daten, fehlende Kapazitäten und ein hoher Investitionsbedarf. Dabei sei es „relativ einfach, die tief hängenden Früchte der Digitalisierung zu ernten“, so Britze. Beispielsweise in der Optimierung von Geschäftsprozessen, die auch ohne hohe Investitionen möglich ist.

Auf die Frage „Revolution oder Evolution?“ im Rahmen des digitalen Wandels ist er sich sicher, dass beides möglich sein muss. Seine Hoffnung ist, dass am Ende doch die Wandlungsfähigkeit im Mittelstand grundsätzlich höher ist als die der ganz großen Unternehmen mit ihren längeren Entscheidungswegen. Britzes Appell an die Unternehmerschaft: „Ergreifen Sie die Chancen und beschäftigen Sie sich mit der Digitalisierung von Geschäftsprozessen.“

HPI-Chef Meinel plädiert für mehr Offenheit gegenüber Open-Source-Anwendungen: „Open Source heißt, dass man keine Lizenzgebühren bezahlen muss und auch nicht auf einzelne Anbieter bei der Nutzung bestimmter Software angewiesen ist. Der Code ist offen und ich kann mir einen IT-Dienstleister suchen, der zusätzliche Funktionen ergänzt.

Reiher, der mit Mendix Firmen dabei unterstützen will, Software schneller und einfacher zu entwickeln, sieht im Fachkräftemangel eines der wesentlichen Hemmnisse der Digitalisierung. Die IT-Abteilungen seien vielfach überlastet, sodass für Innovationsthemen häufig kein Raum bleibe. „Daher ist unser Ansatz, die Fachkräfte einzubinden, die sowieso schon da sind. Also die Mitarbeiter, die vielleicht High-End-Excel-Tabellen bauen können, aber eben keine Programmierer sind. Diese versetzen wir via Low Code in die Lage, einfache Applikationen selbst zu entwickeln oder aber an der richtigen Schnittstelle mit der IT-Abteilung zu kommunizieren. So wird es möglich, vielleicht auf den ersten Blick simpel anmutende Innovationen an den Markt zu bringen und dort zu vertesten.“

Oliver Burgdorf ist Vice President Germany for New Mobile Business and Digitalization bei den Firmenkunden der Deutschen Telekom. Auch er erachtet die Entwicklung in Deutschland bei digitalen Lösungen grundsätzlich als „ein wenig lahm“. Da seien andere Länder viel weiter – in Asien, teils sogar in Afrika. „Allerdings gab die Krise natürlich einen Schub. So haben wir in der Industrie einen enormen Anstieg an mobilen Endgeräten gesehen – zuletzt haben sich Unternehmen auch verstärkt digitalisiert, indem sie gezielt Apps zum Einsatz bringen.“

Britze ergänzt: „In den vergangenen Jahren haben wir aber auch gesehen, dass gerade kleine und mittelständische Unternehmen oft hochinnovativ waren, um gerade den Wegfall von klassischen Vetriebskanälen durch digitale Angebote zu ersetzen oder ergänzen. Das spiegelt sich auch in den Webseiten wider, die jetzt viel mehr Kundeninteraktion bieten.“

Auch Lichtenthaler erinnert an die Stärken im Land: „Unser Mittelstand darf ruhig optimistisch an die Transformation herangehen, denn ganz oft basieren deren Geschäftsmodelle ja auf einer Historie von Innovationen. Wer in den letzten Jahrzehnten mehrere Automatisierungsrunden erfolgreich durchlaufen hat, der ist sicher gut gewappnet. Daher sollte man das Thema mit gesundem Optimismus und anhand konkreter Projekte auch einfach einmal angehen und keine Gründe vorschieben, weshalb das nicht geht.“

Die richtigen Leute, um diesen Weg zu gehen, seien da, so Britze. „Wir müssen sie nur richtig motivieren und auf die Reise mitnehmen.“ Und Lalla ergänzt: „Wir müssen die Menschen befähigen und ein Bewusstsein schaffen – auch für das Thema Datensicherheit.“

Es gibt also durchaus Hoffnung mit Blick auf die datengetriebene Transformation. Dzulko bekräftigt: „Aufgrund der Coronapandemie wurde Deutschland schneller digitalisiert als in den zehn Jahren zuvor.“ Burgdorfs Appell steht daher stellvertretend für die Aussagen aller Experten bei der DUB Digital Week:

„Wir brauchen in Deutschland einfach noch mehr Mut zum digitalen Wandel.“

11.11.2020    Thomas Eilrich
  • Drucken
Zur Startseite