Laptop mit Justizhammer
23.12.2020    Arne Gottschalck
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Weltweit flossen im vergangenen Jahr über 1,2 Milliarden Dollar in LegalTechs – Unternehmen also, welche die Rechtsberatung mit den Chancen der digitalen Welt vermählen. Und Investoren befeuern diesen Wandel. Warum? Weil die Technologie die Arbeit von Juristen effizienter gestalten kann. Weil sich so Möglichkeiten bieten, die Zusammenarbeit zwischen Kanzlei und Mandant zu intensivieren. Und weil LegalTech Verbrauchern einen einfacheren Zugang zum Recht gewähren kann. Das zeigt etwa das Beispiel RightNow. Das Start-up kauft Kunden Rechtsansprüche ab, wenn diese etwa eine Reise stornieren müssen.

Zur Person

Benedikt Quarch RightNow

Benedikt Quarch

Der Jurist hat
2017 die RightNow Group mitgegründet, deren Geschäftsführer er
ist. Das LegalTech
hat seinen Sitz in Düsseldorf und Berlin

Die meisten Menschen kennen FinTechs, beim Begriff LegalTechs zucken sie mit den Schultern. Woran liegt das?

Benedikt Quarch: LegalTech, also die Digitalisierung des Rechtsmarkts, hat sich noch nicht derart weit verbreitet wie die Digitalisierung in anderen Bereichen. Die Betonung liegt hier aber auf „noch“. Denn der LegalTech-Markt in Deutschland und Europa wächst stetig. Es gibt zahlreiche hoch spannende Geschäftsmodelle und -ideen, die die Rechtswelt weiter digitalisieren und damit vor allem auch näher zu den Menschen bringen werden. Problematisch ist dabei stets, dass Recht sicher nicht „sexy“ ist – und doch spielt es im Leben jedes Einzelnen eine zentrale Rolle. Wenn beispielsweise die Durchsetzung von Ansprüchen gegen den Vermieter oder auch die Abwicklung eines Verkehrsunfalls rein digital erfolgen, dann hilft das dabei, Recht greifbarer zu machen.

Senken LegalTechs wie RightNow mit Angeboten wie Consumer Claims Purchasing die Berührungsangst zum Recht?

Quarch: Auf jeden Fall. In der Gesellschaft herrscht häufig der Eindruck vor, dass die Durchsetzung von Recht mit immensen Kosten, Mühen, Zeit und Aufwand verbunden ist. Und das stimmte bislang leider in vielen Fällen auch. LegalTech hilft dabei, diese Situation zu verändern. Digitaler Zugang zum Recht, digitale Vermittlung von Wissen über rechtliche Zusammenhänge und digitale Hilfe bei der Durchsetzung von Recht sind Instrumente, um das Recht wieder zu den Leuten zu bringen – also dorthin, wo es hingehört. Denn rechtliche Regeln und Ansprüche sollen allen Menschen dienen und nicht nur ein paar wenigen. Unser Ansatz des Consumer Claims Purchasing, das heißt des Ankaufs von Forderungen, ist dabei besonders attraktiv, weil Kunden auf diesem Wege sofort ihr Geld bekommen – ohne lange Verfahren und ohne Risiko. Denn wir übernehmen das gesamte Risiko.

Wer ist Ihr klassischer Kunde?

Quarch: Unsere Kunden sind ganz vielfältig. Wir haben von der Generation Z bis zu Senioren alles dabei. Das freut uns sehr. Entscheidend ist jeweils das Produkt. Historisch gestartet sind wir mit Erstattungsansprüchen bei nicht angetretenen Flügen. Heute bieten wir auch Hilfe bei Autounfällen, Pauschalreisen-Stornos, Mietnebenkosten und vielem mehr an. Natürlich unterscheidet sich die Zielgruppe je nach Produkt, aber an sich sprechen wir alle an.

Sehen Sie künftig auch Menschen als Kunden, die „nur mal schauen“ wollen – lässt sich Recht „sexy“ machen?

Quarch: Definitiv. Wir arbeiten mit Hochdruck ­daran, nicht nur die „Intent“-Kunden, das heißt diejenigen, die schon wissen, dass sie einen Anspruch haben, sondern auch die „Non-Intent“-Kunden zu erreichen. Das sind jene, die gar nicht wissen, dass sie sich noch viel Geld in diversen Rechtsgebieten holen können. Wir wollen für diese Kunden 2021 ein besonderes Angebot schaffen. Letztlich wird das über stärkere Content-Fokussierung und auch über Gamification funktionieren.

Gamification ist ein Buzzword – tauglich auch für LegalTechs?

Quarch: Einfach den Anspruch abzufragen und ihn dann durchzusetzen – das passt nicht für jeden. Wir müssen die Leute dort abholen, wo sie sind – am Smartphone, in Coronazeiten meist zu Hause und digital unterwegs. Das geht auf ganz vielen Wegen. Gamification ist einer davon.

Wie offen ist Deutschland gegenüber LegalTech?

Quarch: Grundsätzlich besteht eine gewisse Offenheit, aber der Weg ist vor allem auf politischer Ebene noch sehr weit. Aktuell wird die Rechtsbranche durch das Rechtsdienstleistungsgesetz reguliert, das für LegalTechs schlicht und ergreifend nicht gemacht ist. Das führt dazu, dass häufig Gerichte entscheiden, was geht und was nicht – mal in die eine, mal in die andere Richtung. Das ist kein guter Zustand! Auch die Rechtsanwaltskammern schießen häufig gegen LegalTechs, wobei das gar keinen Sinn macht. LegalTech und Anwälte gehören zusammen; sie befruchten sich gegenseitig. Damit Deutschland und Europa im LegalTech-Bereich wirklich ganz vorne mit dabei sein kann, muss hier viel geschehen. Die Politik muss LegalTech endlich ernst nehmen und nicht mehr abtun. Hier kann Deutschland wirklich global führend werden, aber dafür braucht es Einsatz. Die Gründung des Legal Tech Verbands Deutschland ist ein erster Schritt. International gibt es viele Vorbilder, wie man es besser machen kann. Der Markt muss schlicht geöffnet werden. In der Schweiz ist das schon so.

Wie sieht die Rechtsberatung der Zukunft aus?

Quarch: Ich denke, es wird drei Komponenten geben: Einen Bereich, der komplett digital und hoffentlich auch auf Justizseite durchgehend automatisiert sein wird – da geht es dann um standardisierte Ansprüche, wie wir sie durchsetzen. Einen zweiten Bereich, in dem Anwälte und Justiz digital arbeiten, in denen aber aus Empathiegründen immer noch ein Face-to-face-Kontakt bestehen wird, beispielsweise im Arbeitsrecht. Und im dritten Bereich kommen zwar digitale Tools unterstützend zum Einsatz, aber alles wird weiter ganz auf den Menschen fokussiert sein, etwa bei hochkomplexen Erbrechtsfragen. Dann vereinen wir das Beste aus allen Welten: Es gibt digitale und automatisierte Prozesse und zugleich menschliche Interaktion, wo sie Sinn macht.

Wer gilt Ihnen als digitales Vorbild? 

Quarch: Sehr gute Frage, die schwierig zu beantworten ist. Ich will einmal drei Personen nennen, von denen man – nicht nur in digitaler Hinsicht – viel lernen kann: Angela Merkel – ihr Führungsstil beeindruckt mich seit jeher. Jeff Bezos lehrt, den Kunden immer in den Mittelpunkt zu stellen. Und Rutger Bregmans „Utopien für Realisten“ hat mich als Buch am meisten beeindruckt in letzter Zeit.

23.12.2020    Arne Gottschalck
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