Abstraktes Bild mit einer Frau und einer VR-Brille
14.10.2020    Miriam Rönnau
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Telemedizin, Corona-Warn-App, Maskenbeschaffung, Forschungszusammenarbeit: Das Gesundheitssystem steht seit Monaten vor ganz besonderen Herausforderungen. Gleichzeitig hat die Coronapandemie in dem Sektor aber auch so viele Innovationen und politische Veränderungen vorangetrieben wie wohl in keinem anderen Wirtschaftsbereich. Das ist zwar gut und löblich, aber reicht das schon?

Laut einer Befragung des Analysehauses Morgen & Morgen aus dem Mai 2020 gehören Krankheiten der Nerven und Psyche (32,66 Prozent) zu den häufigsten Gründen, weshalb Menschen berufsunfähig werden – gefolgt von Erkrankungen des Skelett- und Bewegungsapparats (19,65 Prozent) und Krebs sowie anderen bösartigen Geschwülsten (16,08 Prozent). Auch hier ist der Bedarf an Innovationen groß – insbesondere, wenn Menschen aufgrund ihrer Krankheit nicht mehr in eine Arztpraxis gehen können und wollen.

Wie die Digitalisierung bei der Versorgung dieser Patienten helfen kann, zeigen zwei mit dem Award des Dienstes für Gesellschaftspolitik ausgezeichnete Versorgungsprojekte der Techniker Krankenkasse (TK).

Pressegespräch bei der Verleihung der renommierten Awards des Dienstes für Gesellschaftspolitik

In den Räumen von Sympatient: Redakteurin Miriam Rönnau und Mitbegründer von Invirto, Christian Angern, tauschen sich über die VR-App aus

Mit Virtual Reality gegen Angststörung

Das Hamburger Start-up Sympatient fokussiert sich mit der VR-App Invirto auf die Behandlung von Angststörungen. Voraussetzung für die Nutzung ist, dass dem Patienten bereits eine solche Störung diagnostiziert wurde. Über die App lernen Patienten mithilfe von Videos und der Stimme eines Psychotherapeuten ihre Angst zu erkennen und zu analysieren, um sie schließlich zu bewältigen. Der Vorteil: Während viele Patienten mit einer Angststörung im realen Leben oft nicht fähig sind sich der Angst zu stellen, ist diese Barriere in der virtuellen Realität deutlich geringer.

Während der gesamten Therapie werden die Patienten von Psychotherapeuten begleitet. Damit erhalten sie den therapeutischen Goldstandard ohne Wartezeit und können die Therapie bequem von zu Hause aus über das Smartphone absolvieren. „Mehr als drei Millionen Patienten mit ernsthaften Angststörungen sind in Deutschland unbehandelt – das gilt es zu ändern“, sagt Christian Angern, Co-Founder und Managing Director von Sympatient.

„Drei Millionen Patienten unbehandelt“

Virtual Reality zur Behandlung von Angststörungen? Das geht, weiß Christian Angern, Co-Founder und Managing Director bei Sympatient.

Warum gerade der Fokus auf Angststörungen?
Christian Angern: Viele Patienten mit Angststörungen werden nicht versorgt – in Deutschland sind es rund drei Millionen. Häufig fehlen Therapieplätze oder der Zugang zur Therapie fällt schwer. Deshalb haben wir geschaut, wie wir die klassische Psychotherapie mit moderner Technologie verbinden können.

Gibt es bereits Erfolgsgeschichten dieses Therapiekonzepts?
Angern: Es gibt fantastische Evidenz für die Wirksamkeit von Virtual Reality bei der Therapie von Angststörungen. Vor zwei Wochen hat uns eine Patientin nach der Therapie kontaktiert und berichtet, dass ihre Angst durch die Therapie stark gesunken ist und sie sich wieder in den Supermarkt traut. Als gesunder Mensch vergisst man schnell, was das für Menschen mit Angststörung für eine Überwindung sein kann. Es ist toll neben der alltäglichen Arbeit mit Therapeuten und Krankenkassen dann auch solche Rückmeldungen von unseren Patienten zu erhalten.

Wie hat sich die Zusammenarbeit mit der TK ergeben?
Angern: Ein Freund hatte mal mit der TK zusammengearbeitet und sie als eine innovative Krankenkasse beschrieben. Natürlich sind wir dann mit unserem Thema an das Team Versorgungsmanagement und Entwicklung herangetreten und haben Invirto vorgestellt. Obwohl das Team bereits mit einem VR-Start-up im Angstspektrum zusammengearbeitet hat, konnten wir mit unserer Lösung und vor allem unserem integrierten Versorgungsansatz, zu dem auch Psychotherapeuten gehören, überzeugen.

Telemedizin: Ärzte vor dem Tablet

So geht’s: Das Projekt „Telemedizin im ländlichen Raum“ ermöglicht den Online-Dialog mit Fachärzten

Telemedizin auf dem Land

Das Projekt „Telemedizin im ländlichen Raum“ ermöglicht es Hausarztpraxen in Schleswig-Holstein, bei Akutfall oder Routine-Nachsorge-Untersuchungen per Videotelefonie oder per Datenaustausch direkt Kontakt zu Spezialisten – derzeit vor allem im Bereich Augenmedizin oder Dermatologie – aufzunehmen. Ziel ist es, das Angebot auf weitere Fachärzte, etwa Rheumatologen, auszuweiten. Das Projekt wurde von der TK gemeinsam mit der Gesellschaft für integrierte ophthalmologische Versorgung Schleswig-Holstein (GIO), der Ärztegenossenschaft Nord und dem Hausärzteverband Schleswig-Holstein ins Leben gerufen und vom Institut für Allgemeinmedizin am UKSH in Lübeck wissenschaftlich begleitet.

Hausärzte erhalten zudem sogenannte „Tele-Arzt-Rucksäcke“. Diese ermöglichen es speziell ausgebildeten medizinischen Fachangestellten Patienten zu Hause zu besuchen und dort etwa Blutdruck zu messen oder ein EKG durchzuführen. Die Werte werden an die Hausarztpraxis in Echtzeit weitergeleitet und begutachtet. Bei Bedarf schaltet sich der Hausarzt über ein Tablet zu.

 „Hausärzte entlasten“

Mit dem Projekt „Telemedizin im ländlichen Raum“ soll die medizinische Versorgung außerhalb der Ballungsräume optimiert werden. Sören Schmidt-Bodenstein, Leiter der TK-Landesvertretung Schleswig-Holstein und Mitglied der Projektgruppe, über Herausforderungen und Chancen.

Bei der Verleihung der dfg-Awards wurde Schleswig-Holstein als „Innovationsstandort“ bezeichnet. Warum?
Sören Schmidt-Bodenstein: Das liegt zum einen daran, dass wir durch unseren Standort in weiten Teilen ländlich geprägt sind. Projekte, welche die medizinische Versorgung durch digitale Möglichkeiten weiter verbessern sollen, bieten sich hier gut an. Zum anderen sind die relevanten Player im schleswig-holsteinischen Gesundheitswesen generell sehr offen und aufgeschlossen gegenüber neuen Ideen. Diese innovationsfreundliche Haltung kommt uns zugute, wenn wir neue Versorgungsmodelle ausprobieren wollen. Die Schleswig-Holsteinische Ärztekammer hat sich früh mit den Herausforderungen und Chancen der digitalen Transformation befasst und Maßstäbe gesetzt. Der Impuls für die Aufhebung des Fernbehandlungsverbots ging von Schleswig-Holstein aus und wurde in der Berufsordnung konsequent umgesetzt. Telekonsile, E-Rezept und elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sind für viele Patienten heute Versorgungswirklichkeit.

Vor welchen Herausforderungen standen Sie bei der Realisierung des Projekts?
Schmidt-Bodenstein: Die beteiligten Praxen mussten zunächst mit einem sogenannten Cisco DX 80 ausgestattet werden – das Gerät für den verschlüsselten Datenaustausch unter Ärzten. Das war natürlich ein enormer Investitionsaufwand. Schließlich sind es aktuell elf Hausarztpraxen plus die Augenarztpraxis in Rendsburg, die an dem Projekt beteiligt sind. Wir waren daher froh über die neue Einrichtung des Versorgungssicherungsfonds des Landes Schleswig-Holsteins und die Zusage unseres Gesundheitsministeriums, das Projekt finanziell mit 230.000 Euro aus dem Fonds zu unterstützen. So konnte dieser enorme Investitionsaufwand gestemmt werden.

Neben der Telemedizin sind auch die sogenannten „Tele-Arzt-Rucksäcke“ Teil des Projekts. Unter welchen Voraussetzungen erhalten Praxen diesen Rucksack?
Schmidt-Bodenstein: Derzeit nutzen neun der elf beteiligten Hausarztpraxen den Tele-Arzt-Rucksack. Wir setzen diese dort ein, wo es strukturell Sinn macht – sprich: in ländlichen Regionen mit langen Anfahrtswegen. Es geht darum, den Hausarzt zu entlasten und zugleich die medizinische Versorgung zu verbessern

14.10.2020    Miriam Rönnau
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