Illustration Industrie 4.0 Bagger
01.06.2019    Anke Ralle
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Auf einer Baustelle irgendwo in Deutschland steht alles still. Ein Bagger ist ausgefallen – ein Verschleißteil ist defekt. Eine andere Baumaschine erscheint nicht rechtzeitig vor Ort, weil sich ihr Transport verzögert hat. Kein ungewöhnliches Szenario. Laut einer McKinsey-Studie stieg die Arbeitsproduktivität auf dem Bau in den vergangenen 20 Jahren um gerade einmal ein Prozent, das produzierende Gewerbe kam immerhin auf 3,6 Prozent. Heillos verteuerte Projekte à la Hamburger Elbphilharmonie, Stuttgart 21 und Berliner Flughafen runden das negative Bild ab.

Laura Tönnies will das ändern. „Wir wollen Baustellen gänzlich effizient machen“, sagt die 24-jährige Gründerin von Corrux. Ihr ambitionierter Plan: Mithilfe von Daten will sie bekannte Probleme, die immer wieder zu Bauverzögerungen und Kostenexplosionen führen, bekämpfen. „Wir können mit einer wachsenden Population nicht immer noch an unproduktiven Baustellen hängen und immer wieder auf die gleichen Probleme treffen. Es sind ja Erfahrungswerte da“, argumentiert Tönnies.

Gesagt, getan. Die Mathematikerin nutzt das Internet der Dinge (IoT), um Baumaschinen zu überwachen. Sie analysiert die Daten von Großbaugeräten wie Baggern und Radladern, sowohl im Tiefbau als auch im Untertagebau. Letzteres sei aufgrund der oft mangelnden Internetanbindung eine ganz besondere Herausforderung, sagt Tönnies, die dafür in einer ersten Finanzierungsrunde kürzlich 3,1 Millionen Euro eingesammelt hat. Über eine Plattform von corrux können Bauunternehmer all ihre Maschinen verschiedener Hersteller zentral überwachen, deren Einsätze analysieren und so optimieren. IoT par excellence. Und das in einer Traditionsbranche wie dem Baugewerbe.

Traditionsbranchen, aufgewacht!

Was sich hierzulande unter dem Schlagwort Industrie 4.0 etabliert hat, beschreibt die weltweite Entwicklung des Industrial Internet of Things (IIoT). Gemeint ist die intelligente Vernetzung von Maschinen und industriellen Abläufen. Was deutsche Unternehmen gegenüber Google, Facebook, Alibaba und Co. im B2C-Geschäft nicht mehr aufholen können, soll die Industrie in Sachen B2B richten. „Wenn es darum geht, die traditionelle Industrie mit den Möglichkeiten der Digitalisierung zu verbinden, schaut die Welt genau hin, was wir machen“, sagt Professor Christoph Meinel, Direktor des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts. Das sei aber kein Selbstläufer, so der Experte.

Die Zahlen geben ihm recht. Zwar ist laut einer Studie, die der Digitalverband Bitkom anlässlich der Hannover Messe vorstellte, aktuell im Schnitt jede vierte Maschine in der deutschen Fertigung mit dem Internet verbunden. In jedem zehnten Unternehmen ist sogar mehr als die Hälfte der Maschinen vernetzt. In diesem Jahr wollen die Befragten zudem durchschnittlich rund fünf Prozent ihres Gesamtumsatzes in IoT-Anwendungen investieren. Auch bei der Umsetzung von Testprojekten rund um IoT haben europäische Unternehmen laut den Beratern von Bain & Company gegenüber den USA die Nase vorn.

Jedoch fällt es vielen noch schwer, aus den Pilotprojekten auch funktionierende Geschäftsmodelle zu entwickeln. Und bei McKinsey heißt es, erst in 21 Prozent der deutschen Unternehmen werden Anwendungen wie digitales Performancemanagement, auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierte Nachfrageprognosen oder 3-D-Druck eingesetzt. Während 69 Prozent der deutschen Industrieunternehmen solche Projekte hoch priorisieren, sind es in China 87 Prozent und in Indien sogar 94 Prozent.

Vorliegende Daten sinnvoll nutzen

Damit das produzierende Gewerbe hierzulande auch die vierte industrielle Revolution meistert, braucht es in den Unternehmen ein Umdenken in Bezug auf sinnvolles Data-Business und den praktikablen Einsatz digitaler Technologien. Tönnies erklärt dies für das Baugewerbe: „Es ist nicht praktisch, mit einem iPad auf einer lauten, schmutzigen Baustelle rumzurennen.“ Man müsse die Nutzerbedarfe in den traditionellen Industrien eben genau verstehen, um mit digitalen Lösungen weiterzuhelfen.

Illustration Internet of things

IoT-Denke: Die erfolgreiche Anwendung datengetriebener Geschäftsmodelle setzt das passende Mindset voraus

„Die klassischen Optimierungspunkte sind in allen Unternehmen Kostenreduktion und Qualitätsverbesserung“, sagt Professor Adalbert Wilhelm von der Jacobs University zu den Zielen, die mit Industrie-4.0-Projekten verfolgt werden. Er erkennt in der Produktion vor allem bei Analysen zur Feststellung der Maschinenauslastung und der Optimierung der Produktionsplanung Potenzial für den routinemäßigen Einsatz von datengetriebenen Methoden. „Aktuell basieren diese Prozesse im produzierenden Gewerbe meist auf theoretisch abgeleiteten Parametern und Erfahrungswerten“, so Wilhelm.

Erste Projekte zur Datennutzung bedeuten noch nicht den Einsatz von KI. „Meistens sind es simple Fragen, etwa wo ist meine Maschine gerade oder wie lange wird ihr Treibstoff noch reichen? Dazu brauche ich keine KI“, erklärt Tönnies. Wie Autos haben viele Baumaschinen eingebaute Sensoren, über die man relevante Daten auslesen und erste Mehrwerte generieren könne. Vorausgesetzt, man nutzt den Datenschatz, den man sowieso besitzt.

So ließen sich beispielsweise Wartungseinsätze und Transportzeiten besser überblicken und abstimmen. Ausfall- und Standzeiten der teuren Maschinen können so reduziert und Kosten gesenkt werden. Und wenn der Unternehmer erste Analysen sieht, ohne vorher 10.000 Euro in neue Hardware investiert zu haben, sei es auch einfacher, aufwendigere Schritte wie den Einsatz komplexerer Algorithmen zu rechtfertigen, erklärt die Gründerin.

 

Inhalt

 

21 %

der deutschen Unternehmen nutzen laut McKinsey IoT-Anwendungen

44 %

der vom IDG befragten Unternehmen haben bis 2019 bereits IoT-Projekte umgesetzt. Eine Verdoppelung im Vergleich zu 2018 (22%).

01.06.2019    Anke Ralle
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