Brigitte Zypries im Gespräch
05.12.2019    Manuel Kunst
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Kundennähe und Digitalisierung. Wie lassen sich beide Aspekte miteinander verknüpfen? 1820 gründete Ernst Wilhelm Arnoldi den ersten deutschen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Der Gründungsort war namensgebend: Gotha. 200 Jahre Geschichte sind lang – jedoch kein Frei­fahrtschein in das digitale Morgen. Brigitte Zypries, Herausgeberin von DUB UNTERNEHMER, hat bei dem Vorstandsvorsitzenden der Gothaer, Dr. Karsten Eichmann, zu den Themen Mensch, Technik und ­Zukunft nachgehakt.

 

Zur Person

Porträt von Karsten Eichmann

Dr. Karsten Eichmann

ist seit 2014 Vorstandsvor­sitzender der Gothaer. Der promovierte Betriebswirt arbeitete zuvor unter anderem bei der Allianz Lebensversicherung und Generali Deutschland

DUB UNTERNEHMER-Magazin: Sie wissen es nicht, aber ich bin bereits seit mehr als 30 Jahren bei Ihnen Kundin.

Karsten Eichmann: Dann sind Sie nicht nur Kundin, sondern auch meine Chefin. Wir haben nur einen Stake­holder, und das sind eben unsere Mitglieder. Entsprechend richten wir unsere ganzen Bemühungen an den Interessen unserer Kunden aus. Wir können daher nicht nur stolz auf 200 Jahre zurückblicken, sondern sind zuversichtlich, dass wir dadurch auch für die ­Zukunft gut aufgestellt sind.

Für Innovation und den digitalen Wandel brauchen Unternehmen Diversity. Wie stellen Sie sich auf?

Eichmann: Der Vorstand ist auch verantwortlich für den Frauenanteil beziehungsweise das Thema Vielfalt insgesamt. Ich glaube, wir können für die ganze Branche sprechen, wenn wir mit der Vielfalt – gerade im Vorstand – noch nicht zufrieden sind. Unsere Mitgliedervertreterversammlung besteht zu 30 Prozent aus Frauen. Selbst wenn die Tendenz steigt, muss an der Diversity weiter gearbeitet werden. Und zum Thema Rollenmodell gibt es zu sagen: Fünf Frauen haben bei uns eine exponierte Position. Nur eine dieser Frauen hat Kinder. Wir sehen das als Warnsignal und arbeiten daran, Karriere und Familie vereinbarer zu machen.

Mit welchen Herausforderungen sehen Sie sich zurzeit konfrontiert?

Eichmann: Das zentrale Problem: Geld kostet momentan nichts mehr. Kapitalaufbau über Zinsen, egal ob über eine Lebensversicherung oder andere Sparformen, ist kaum möglich. Das hat nicht nur für Sparer, sondern auch insgesamt für die Volkswirtschaft negative Folgen, weil ineffiziente Marktteilnehmer über günstige Kredite im Markt gehalten werden.

Inwieweit haben sich bereits neue Geschäftsfelder im Zuge des digitalen Wandels ergeben?

Eichmann: Beispielsweise Veränderungen im Risikomanagement: Wir möchten Kunden bei allen Risiken begleiten. Die Digitalisierung bietet uns ganz andere Möglichkeiten bei der Analyse. Darin sehen wir eine enorme Chance. Ein weiteres Feld: Die Cyberversi­cherung. Hier geht es ebenfalls um Risikoanalyse – aber auch um Präventionsmaßnahmen und dass Daten nach einer Cyberattacke möglichst schnell wiederhergestellt werden müssen. Die Gothaer ist einer der ersten Versicherer, die dieses Produkt für Mittelständler anbieten.

Für die Unterstützung bei Präventionsmaßnahmen von Cyberschäden kooperieren Sie mit Perseus, die nicht zum Konzern gehören. Welche Konsequenzen hat das für Ihr Geschäftsmodell?

Eichmann: Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. Wir gehen sehr gezielt solche Kooperationen ein. Dass wir mit innovativen Start-ups oder auch etablierten Unternehmen kooperieren, ist aus unserer Sicht ein Erfolgsrezept für die Zukunft. Uns soll nicht das passieren, was dem Einzelhandel mit Amazon passiert
ist. Wir legen großen Wert auf den Zugang zum Kunden, auf seine Beratung und seine Kaufentscheidung auch im digitalen Kontext.

Gilt das genauso für die App Vivy? Ich habe mich als Staatssekretärin bereits um die Jahrtausendwende mit elektronischen Gesundheitsakten beschäftigt.

Eichmann: Unsere elektronische Patientenakte Vivy ist eine Kooperation zwischen verschiedenen Krankenversicherungen und -kassen. Gemeinsam können wir bezüglich der Funktionalität, der Technologie und der Relevanz am Markt mehr erreichen. Die Daten müssen technologisch zeitgemäß verfügbar sein. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland dabei noch weit zurück. Unser Anspruch ist, dass unsere Kunden auch datenschutzrechtlich die Datenhoheit haben.

Setzen Sie auf Künstliche Intelligenz?

Eichmann: Ja, zum Beispiel bei der Steuerung der Anrufe in unserem Servicecenter oder bei der Klassifizierung und Verteilung der eingehenden E-Mails. Mithilfe eines KI-basierten Ansatzes werden die E-Mails elektronisch ausgelesen, analysiert und den zuständigen Sachbearbeitern vollautomatisch zugeroutet. So kommt der Vorgang in Sekundenbruchteilen zum zuständigen Sachbearbeiter, und dieser kann, sofern rechtlich zulässig, dem Kunden direkt per E-Mail antworten.

Wie verändert die Digitalisierung Ihre Branche?

Eichmann: Da ist etwa der riesige Schatz an Daten, der analysiert und für bessere Lösungen genutzt werden kann. Hinzu kommt das sukzessive Ersetzen von menschlichen Routinetätigkeiten. Viele haben wir bereits durch IT-Abläufe substituiert. Hier kommt auch Deep-Learning zum Einsatz. Schön wäre es, wenn über die Digitalisierung die Effizienz unseres Zusammenlebens so optimiert werden kann, dass die CO2-Belastung und Klimaschädigung abnehmen. Da sehen wir Zukunftspotenzial und werden solche Projekte auch dementsprechend fördern.

05.12.2019    Manuel Kunst
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