Lars Klingbeil Politiker SPD
28.08.2020    Madeline Sieland
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Wie die Stellenbeschreibung eines Generalsekretärs aussieht? „Das ist derjenige, der im Zweifelsfall jedes Feuer austreten muss“, sagt Lars Klingbeil. „Und zugegeben: Es hat nicht wenige Feuer gegeben in den letzten zweieinhalb Jahren.“ Wie unruhig die Zeiten für die SPD zuletzt waren, macht der Blick auf die Zahl der Parteichefs in den letzten Jahren deutlich: Seit Dezember 2017 ist Klingbeil Generalsekretär; mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans erlebt er nun die Parteivorsitzenden sieben und acht.

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Am DUB Digital Business Talk nahmen teil:

Moderation: Jens de Buhr, Verleger DUB UNTERNEHMER-Magazin

Und dass man sich auch unter Parteifreunden definitiv nicht immer einig ist, zeigte sich im DUB Digital Business Talk, als Moderator Jens de Buhr das Gespräch auf das Konjunkturpaket der Bundesregierung lenkte. „Ich habe das Gefühl, dass die Mehrwertsteuersenkung etwas gebracht hat“, sagt Klingbeil.

Brigitte Zypries, die von 2005 bis 2017 für die SPD im Bundestag saß, kontert: „Die Mehrwertsteuersenkung halte ich gelinde gesagt für misslungen. Die Umstellung für ein halbes Jahr sorgt für einen wahnwitzigen Aufwand in Unternehmen, der Effekt ist jedoch relativ marginal.“

Wie stehen Sie heute – gut zweieinhalb Monate nach dem Beschluss – zum 130 Milliarden Euro schweren Konjunkturpaket? Hat es bewirkt, was es bewirken sollte?

Lars Klingbeil: Ich habe mich vor Kurzem mit einem Gastronomen unterhalten, der Restaurants in Hamburg und auf Mallorca betreibt. Er verwies darauf, dass es auf Mallorca keinerlei Unterstützung gibt. Gerade dieser Blick auf das Ausland zeigt: Das, was Olaf Scholz auf den Weg gebracht hat, hat ganz vielen geholfen. Und es hat dazu geführt, dass wir bisher viel besser als andere Länder durch die Krise gekommen sind.

Auch auf der Sommertour durch meinen Wahlkreis habe ich gemerkt, dass in vielen Bereichen eine Stabilisierung zu beobachten ist. Andererseits: Ich habe kürzlich Schausteller besucht. Für die ist es eine Katastrophe, dass Großveranstaltungen jetzt bis Ende des Jahres abgesagt sind. Es gibt Branchen, die sind richtig schlecht dran. Da muss die Politik nochmal genau schauen, welche Maßnahmen ergriffen werden können.

Sie sehen ganz klar den Staat bei der Bewältigung der Coronakrise in der Pflicht und sagten: „Es ist mein Anspruch, dass wir keine Wildwest-Mentalität haben wie in den USA, wo jeder für sein eigenes Glück verantwortlich ist.“ Aber laufen wir nicht Gefahr, durch Maßnahmen wie die Verlängerung des Kurzarbeitergelds „Zombie-Firmen“ aufzubauen, die langfristig keine Chance haben, aber künstlich am Leben gehalten werden?

Klingbeil: In meinem Wahlkreis haben mir viele Mittelständler berichtet, dass ihnen Kurzarbeit aktuell dabei hilft, Fachkräfte zu halten. Ich habe allerdings auch Firmenchefs kennengelernt, die Leute entlassen haben und jetzt, da das Geschäft wieder anläuft, Probleme bekommen. Und das meine ich mit Wildwest: In den USA stürzen die Leute teils ins Bodenlose ab, wir dagegen halten sie im Job. Natürlich kann man Kurzarbeit nicht über Jahre durchziehen. Aber wenn wir davon ausgehen, dass die wirtschaftliche Entwicklung nächstes Jahr wieder anzieht, dann ist es das richtige Instrument.

Wie hat die Coronakrise Ihr Berufs- und Privatleben verändert?

Klingbeil: Für mich war das die krasseste Vollbremsung in meinem beruflichen Leben. Als Generalsekretär war ich drei, vier Tage pro Woche in Deutschland unterwegs. Und auf einmal saß ich jeden Abend um 20 Uhr mit meiner Frau zu Hause, wir haben „Tagesschau“ geguckt und gekocht. Mittlerweile denke ich: Wie bekloppt ist man eigentlich gewesen, dass man vier, fünf Stunden irgendwo hingefahren ist, um in einem zweistündigen Termin 130 Leute halbwegs glücklich zu machen und dann ging es wieder vier, fünf Stunden zurück.

Was sich auch geändert hat: Als Politiker trifft man nicht mehr jeden Tag Menschen, die einem auf die Schulter klopfen. Stattdessen hatte man plötzlich viel mit Unternehmern zu tun, die Angst hatten, die bis heute echte Sorgen haben. Das hat dazu geführt, dass ich an vielen Abenden total deprimiert ins Bett gegangen bin.

Es heißt: Unternehmen, die digital aufgestellt sind, kommen besser durch die Krise. Technologien, vor allem Künstliche Intelligenz, lösen aber auch Ängste aus.

Klingbeil: Ich arbeite in diesem Zusammenhang ungern mit Angstszenarien. Denn die Digitalisierung sorgt dafür, dass wir gewisse Tätigkeiten, die vielleicht auch unangenehm sind, nicht mehr selbst ausüben müssen. Und: Ob die Früherkennung von Krankheiten oder moderne Verkehrssteuerung – in der Anwendung Künstlicher Intelligenz liegen viele Chancen.

Wir müssen zu Künstlicher Intelligenz allerdings auch vernünftige Debatten, ethische Diskussionen führen. Wir müssen definieren, wo die Grenzen Künstlicher Intelligenz liegen, oder wie man mit Gesundheitsdaten umgeht. Solchen Diskussionen dürfen wir uns nicht verweigern. Ich denke in diesem Zusammenhang auch an den Verteidigungsbereich: Ich möchte nicht, dass eines Tages Kriege mit Algorithmen oder durch Algorithmen geführt werden. In letzter Instanz muss es immer eine Person geben, die entscheidet, ob ein Angriff erfolgt. Und auch in der Justiz muss es ein Mensch sein, der schlussendlich das Urteil spricht. Debatten darüber müssen präventiv geführt werden und nicht erst dann, wenn es zu spät ist.

Wo sehen Sie in der Digitalisierung aktuell große Herausforderungen?

Klingbeil: Bei den großen Plattformen. Ich saß vergangene Woche mit Künstlern zusammen. Wir haben unter anderem über die Vergütung bei Streamingdiensten wie Spotify gesprochen. Da gibt es ja leider ernste Hinweise, dass Klickzahlen manipuliert werden. Deutsche Hip-Hop-Bands etwa machen Millionenumsätze und solide Rock-Alben werden eher niedrig gerankt. Das hat schlussendlich massiven Einfluss auf die Bezahlung von Künstlern und damit auch auf die Entwicklung der Kulturszene. Diese Macht großer Plattformen zu brechen ist in meinen Augen einer der zentralen Kämpfe, die wir in den kommenden fünf bis zehn Jahren politisch führen müssen.

Das nicht zu tun führt automatisch zu einer Spaltung der Gesellschaft. Das sieht man zum Beispiel in San Francisco, wo ich in den letzten Jahren regelmäßig war. Ich habe noch nie so viel Obdachlosigkeit erlebt wie dort. Inzwischen müssen selbst Menschen, die bei Google arbeiten, in Trailer Parks leben, weil sie sich die Mieten für Wohnungen nicht mehr leisten können. So etwas haben wir hierzulande Gott sei Dank nicht. Da erkennt man den Wert der sozialen Marktwirtschaft und einer vernünftigen politischen Regulierung.

DUB Business Talks

Sie sind Wahlkampfleiter von Olaf Scholz. Wie sieht ein Bundestagswahlkampf in Coronazeiten aus?

Klingbeil: Das wird der digitalste Wahlkampf aller Zeiten. Mit der Aussage gewinnt man jetzt aber keinen Preis mehr, weil das sehr offensichtlich ist. Ich wage zu prognostizieren, dass wir aufgrund von Corona nächstes Jahr keine Veranstaltungen mit 4.000 oder 5.000 Menschen auf Marktplätzen in Köln, München oder Berlin sehen werden. Das heißt, es ist derjenige im Vorteil, der als Erster begreift, wie man über das Internet Menschen anspricht.

Ein Beispiel: Kevin Kühnert und ich haben in der Coronazeit ein Instagram-Live-Format gestartet. Wir quatschen jeden Montagabend um 21 Uhr über unterschiedlichste Dinge – Privates, Politisches, Musik, Fußball. Am Folgetag bringen wir das dann als Podcast heraus. Und dann hören sich das schon mal 10.000 oder 15.000 Leute an. Ich hätte nie gedacht, dass auf diesem Wege so viele Menschen zu erreichen sind. Dies zeigt, wo die Entwicklung hingeht und dass jetzt auch Formate spannend werden, die man so im letzten Wahlkampf noch nicht auf dem Schirm hatte.

In den USA ist der Präsidentschaftswahlkampf aktuell in vollem Gange. Wie stehen Sie zu dem Land?

Klingbeil: Ich bin jemand, der einen sehr engen Kontakt zu den Vereinigten Staaten pflegt und das auch für wichtig hält. Aber die USA unter Donald Trump sind kein verlässlicher Partner mehr. Ich halte die USA nicht mehr für berechenbar. Und jetzt hoffen alle, dass Trump im November abgewählt wird. Doch dass unter Joe Biden auf einmal alles wieder wird wie früher – auch da habe ich meine Zweifel.

Zwischen den USA und China tobt ein Wirtschaftskrieg. Wo steht Deutschland beziehungsweise Europa in diesem Wettstreit?

Klingbeil: Wir müssen sehr selbstbewusst sagen, dass wir uns in diese Auseinandersetzung zwischen China und den USA nicht einmischen. Ich will nicht, dass wir uns von den USA erpressen lassen und keine Kontakte zu China mehr haben dürfen. Denn ich habe kein Interesse daran, dass wir mit den Chinesen brechen. Wir brauchen für unsere wirtschaftliche Entwicklung auch einen starken Kontakt zur Volksrepublik.

28.08.2020    Madeline Sieland
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