Justizia mit Tablet
21.12.2020    Arne Gottschalck
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Zur Person

Brigitte Zypries

Brigitte Zypries

Die ehemalige Bundesjustiz- und -wirtschaftsministerin ist Heraus­geberin des DUB UNTERNEHMER-Magazins

Zur Person

Dr. Benjamin Parameswaran von DLA Piper

Benjamin Parameswaran

ist Anwalt und Country Managing Partner bei DLA Piper Germany

Zur Person

Matthew Lepore von BASF

Matthew Lepore

ist Senior Vice President Global Legal Department bei BASF

Zur Person

Andreas Voßkamp von BASF

Andreas Voßkamp

ist Head of Global Legal Operations & Innovation bei BASF

Wie sehr hat Technologie die klassische Rechtsberatung disruptiert? 

Benjamin Parameswaran: Wie in vielen anderen Branchen hat Technologie auch in der Rechtsberatung einen immer stärkeren Einfluss. Anwendungen und Arbeitsweisen, die vor zehn oder 15 Jahren innovativ waren, sind heute absoluter Standard. Insgesamt wird die Rechtsbranche in den nächsten Jahren noch wesentlich digitaler, flexibler und technisierter.

Matthew Lepore: Covid-19 hat diese Entwicklung noch beschleunigt. Wir haben uns schnell ein neues mobiles Arbeitsumfeld geschaffen, in dem uns Technologie bei allen Arten der täglichen Interaktion intern, aber auch mit Kunden stark unterstützt. Generell werden uns die LegalTech-Anwendungen zunehmend nicht nur unterstützen, sondern sie werden mithilfe Künstlicher Intelligenz sogar einen Teil der Tätigkeit übernehmen. In der täglichen Arbeit zeigt sich die Disruption kosteneffizient und qualitativ – beispielsweise in den Bereichen E-Discovery und Due Diligence oder bei der automatisierten Vertragserstellung durch unser Vertragsmanagementsystem.

Wie nutzen Sie als Anwälte LegalTech praktisch?

Parameswaran: Bei DLA Piper nutzen wir LegalTech auf verschiedenen Feldern. Dazu gehört unter anderem die Automatisierung von Dokumentenvorlagen, die es uns ermöglicht, mit einem einheitlichen Standard Schriftsätze zu erstellen, was durch die Automatisierung der Vorlagen im Interesse des Mandanten beschleunigt wird. Dazu kommt die Prüfung und Bearbei­tung großer Mengen elektronischer Daten. Eine E-Discovery-Software ermöglicht uns erst, auf ökonomische Weise große Datenmengen auszuwerten. So kann man in wenigen Sekunden den gesamten Datenbestand nach Stichwörtern durchsuchen und nur die relevanten Treffer herausfiltern. Dazu kommt die Zusammenarbeit mit Mandanten auf einer gemeinsamen Plattform. Dadurch erhalten sie einen direkten Überblick über den aktuellen Stand aller laufenden Verfahren einschließlich der entstandenen Kosten sowie aller verfahrensrelevanten Dokumente, ohne erst per E-Mail oder Telefon nachfragen zu müssen. Darüber hinaus arbeiten wir im Rahmen unseres internationalen „Law&“-Programms auch an neuen LegalTech-Anwendungen wie etwa einer Künstlichen Intelligenz, die Unternehmensdaten auf mögliche regulatorische Risiken hin untersucht und so einen Rechtsverstoß schon während der Begehung abfangen kann.

Und Sie als Mandant – wie viel „Tech“ erwarten Sie?

Andreas Voßkamp: Wir erwarten, dass die Anwaltskanzleien den Trend zur Verbesserung der Qualität und Effizienz ihrer Dienstleistungen weiter ausbauen. Welche Technologien oder Programme speziell in den Kanzleien eingesetzt werden, ist für uns weniger rele­vant. Entscheidend ist für uns, dass wir eine Verbesserung des Services spüren und es keine Anwendungsprobleme gibt. Wir erwarten, dass die technischen Möglichkeiten und die zur Verfügung stehenden Daten es den Kanzleien auch ermöglichen, attraktive alternative Honorarvereinbarungen zu kalkulieren.

Welche Technologie würden Sie sich wünschen?

Voßkamp: Es werden bereits Anwendungen für eine Vielzahl von Aufgaben im juristischen Bereich angeboten, die auf Prozessgeschwindigkeit und -effizienz und/oder Qualitätsverbesserungen ausgerichtet sind. Konkret hoffen wir sehr, dass uns in naher Zukunft automatisierte Vertragsprüfungen von Entwürfen Dritter zur Verfügung stehen werden, die Abweichungen zu unseren Standards anzeigen und im besten Fall gleich alternative Ideen aufzeigen. Mit den Datensätzen unseres Vertragsmanagementsystems sollten wir in Zukunft eine automatisierte Überprüfung der Vertragseinhaltung und -erfüllung leisten können. Da kann die Rechtsabteilung künftig mehr als nur juristische Dienstleistungen anbieten, indem sie durch entsprechende Tools Mehrwert für das Unternehmen generiert. Zudem könnte ich mir Anwendungen vorstellen, die über Gesetzesänderungen informieren und notwendige Vertragsanpassungen vorschlagen. Auch beim Knowledge-Management wäre ein Instrument hilfreich, welches verfügbare Daten über alle Anwendungen hinweg „durchforstet“ und proaktiv das richtige Dokument anbietet.

Spüren Sie in Ihrer Kanzlei Berührungsängste bei neuen Anwendungen?

Parameswaran: Veränderungen bringen immer gewisse Berührungsängste mit sich. Bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beobachte ich unterschiedliche Ausprägungen – je nachdem, wie stark die Technik-Affinität ist. Um dem weiter entgegenzuwirken, haben wir in diesem Geschäftsjahr in Deutschland erstmals drei Legal Tech Fellows ernannt. Das sind Anwältinnen und Anwälte aus unterschiedlichen Standorten und Praxisgruppen. Sie sind von ihrer anwaltlichen Tätigkeit teils freigestellt, um anderen als Ansprechpartner für Fragen zu LegalTech zur Verfügung zu stehen und die Möglichkeiten von Legal­Tech in der Kanzlei auszubauen. Durch ihre anwaltliche Tätigkeit haben sie eine große Nähe zu den Bedürfnissen der Kollegen und Mandanten. Damit kann insbesondere die Mandatsarbeit durch den Einsatz von LegalTech verbessert werden, und die Vorteile von LegalTech bleiben nicht nur theoretischer Natur. 

Wie digitalfreundlich ist das deutsche Recht?

Parameswaran: Das deutsche Recht ist an sich technikneutral. Das bedeutet, dass es flexibel genug ist, um auf neue technische Entwicklungen reagieren zu können, ohne diese aber explizit zu erwähnen oder gar zu fördern. In bestimmten Bereichen muss der Gesetzgeber aber immer wieder nacharbeiten, wie in der Vergangenheit zum Beispiel bei der Einführung der Textform im bürgerlichen Recht, die den elektronischen Vertragsschluss auch ohne Papier und Unterschrift ermöglicht. Ein aktuell noch weitgehend un­geklärtes Thema ist dagegen die Regulierung von Künstlicher Intelligenz.

Voßkamp: Bisher hat sich gezeigt, dass das deutsche Recht tatsächlich flexibel genug ist, um auf viele Anforderungen der technischen Neuerungen zu reagieren. Gleichwohl sehen auch wir an manchen Stellen Nachbesserungsbedarf – vor allem in den Bereichen, in denen die aktuelle Rechtslage den Nutzen neuer Technologien oder Arbeitsweisen eher erschwert als unterstützt, etwa im Bereich der agilen Softwareprogrammierung oder im Datenschutz und in der Datenübermittlung im internationalen Konzernverbund.

Von wem können Sie in Sachen Tech-Einsatz lernen?

Parameswaran: Ich habe den Eindruck, dass die Kollegen in den USA oder in Asien schon weiter sind als wir. Und wir können als Kanzlei von Start-ups lernen, die viel schneller neue Technologien in der täglichen Arbeit nicht nur erproben, sondern auch nutzen. 

Voßkamp: Wir schauen nicht nur auf bestimmte Regionen, sondern auch gezielt auf Unternehmen, die bereits Spitzentechnologie einsetzen – unabhängig von Branche, Größe oder Standort. Gleichwohl gibt es Länder, die beim Einsatz von LegalTech schon recht weit sind. Neben den von Herrn Parameswaran erwähnten USA und Asien kommen mir auch Länder in den Sinn, die gar nicht so weit entfernt sind: Österreich etwa bietet bereits allen Bürgern die Möglichkeit, eine qualifizierte elektronische Signatur zu erhalten, und Gerichte sind in der Lage, die Dokumentation vollständig elektronisch abzuwickeln. In Estland wurden die meisten Behördendienste bereits digitalisiert.

Was bedeutet die Entwicklung für die Juristenausbildung?

Parameswaran: Eine gute Ausbildung der juristischen Methoden ist weiterhin unerlässlich. Gerade wenn es darum geht, juristische Tätigkeit zu automatisieren, muss die Arbeit, die in diese Anwendungen fließt, besonders gut geleistet werden. Denn Fehler in einem Algorithmus oder beim Trainieren einer Künstlichen Intelligenz wirken sich bei jeder Anwendung der Software negativ aus. 

Voßkamp: Wie die juristische Fachkenntnis ist auch LegalTech ein weiteres Instrument im Werkzeugkasten eines Anwalts und sollte somit auch Teil der juristischen Ausbildung sein. Wir halten es für unerlässlich, dass unsere Juristen wissen, welche LegalTech-Tools zur Verfügung stehen, und dass sie auch praktische Erfahrung mit den in Rechtsabteilungen verwendeten Werkzeugen haben. Aber natürlich müssen Juristen deshalb nicht unbedingt Programmierer sein.

Wie Tech-lastig ist die Rechtsberatung der Zukunft?

Parameswaran: Im Vergleich zu anderen Branchen steht die Rechtsberatung noch am Anfang des technischen Wandels. Deshalb gehe ich davon aus, dass sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten einiges ändern wird. Einfache Tätigkeiten wie zum Beispiel die Prüfung von Rechtsansprüchen und Dokumenten in Massenverfahren werden mehr und mehr automatisiert. Weiterhin gebraucht werden Juristen jedoch unter anderem für das Entwickeln und Anlernen der Software, die diese Prüfungen übernimmt, sowie für die Beratung komplexer Projekte. 

Voßkamp: Wir erwarten, dass im Laufe der Zeit die gesamte Arbeit in einer Rechtsabteilung anhand von Qualifikationsmerkmalen und Risikobewertungen aufgeteilt und effektiv bearbeitet werden wird – in einem kombinierten Aufbau aus einem leistungsfähigen Vertragsmanagementsystem, Vertragszentren und einem multidisziplinären internen Team von spezialisierten Anwälten und operativen Mitarbeitern, einschließlich juristischer Projektmanager und Informatiker. Die „klassischen“ Rechtsanwälte werden sich zunehmend auf strategische Beratung, Risikomanagement und hochkomplexe, nicht standardisierbare Arbeiten fokussieren sowie spezialisierte Rechtsberatung anbieten.

Wo sehen Sie Grenzen der LegalTech?

Parameswaran: Aktuelle Anwendungen können den Menschen nicht ersetzen. Sie können die Arbeit lediglich unterstützen und verbessern. ­Komplexe Bewertungen wie die Urteilsfindung durch einen Richter oder die vertrauensvolle Beratung durch einen erfahrenen Anwalt sind aktuell selbst von der besten Künstlichen Intelligenz nicht zu ersetzen. Auch wenn LegalTech-Anwendungen besser werden, sind sie nicht fehlerfrei, und es braucht einen guten Juristen, um erkennen zu können, wenn Technik an ihre Grenzen stößt.

Lepore: Am Ende möchten wir als Mandant oft auch gern zum Telefonhörer greifen und den Anwalt unseres Vertrauens um Rat bitten. Dass der Anwalt sich LegalTechs bedient, kann für beide Seiten ein Effizienzgewinn sein. In vielen Bereichen kann die Technik jedoch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Mandant und Anwalt nicht ersetzen, etwa wenn es um Verhandlungen geht oder um sehr anspruchsvolle oder strategische Themen, die eine erfahrene Beurteilung und oft auch Empathie erfordern. Das Fazit: LegalTech wird Anwälte bei der täglichen Arbeit unterstützen, sie aber nicht ersetzen.

21.12.2020    Arne Gottschalck
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