Arbeiter am Fließband, der seine Arbeit mit Maschinen vollzieht
12.12.2019    Miriam Rönnau
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Zwei Pinsel. Der große für die Scharniersäule; der kleinere für feinste Lackfehler an der Autotür. Alle anderthalb Minuten rollt ein neues Auto vom Band. Immer wieder die gleichen Handgriffe. „Ich stumpfe bei der monotonen Arbeit mehr und mehr ab“, schreibt Günter Wallraff im März 1970 über eine Welt, die sich heute wohl niemand mehr vorstellen mag. „Nach drei Stunden bin ich selbst nur noch Band“, so der Investigativ-Journalist, der für einige Wochen am Fließband Lackfehler korrigierte.

Zumindest den kleinen Pinsel nutzen Arbeiter auch heute noch am Band. Doch in der Autofabrik haben die Roboter längst die Oberhand – und folgen nüchtern den Vorgaben ihrer Algorithmen. Nun entscheiden Menschen per Mausklick über die Lackierung der Fahrzeuge. Und die monotone Arbeit sollte heute wohl keiner vermissen. Zumindest dann nicht, wenn er sich im Zuge der fortschreitenden Automatisierung ein neues Jobprofil zugelegt hat. Auch heute, in einer neuen Ära des technischen Umbruchs, gilt es, den Wandel als Chance und nicht als reine Bedrohung zu begreifen.

Fließband 2.0: Monotone und stupide Tätigkeiten am Rechner erledigen – das man niemand

„Es wird sich oft auf die Sorge konzentriert, dass Menschen ihren Arbeitsplatz an Roboter verlieren und bald nicht mehr gebraucht werden“, sagt Arbeitsmarktexpertin Dr. Britta Matthes vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). „Dabei verändern sich eher die zu erledigenden Tätigkeiten – und häufig sind das solche, die Menschen ohnehin nicht gern machen oder die sie gar krank machen.“ Denn wer erfasst heute schon begeistert Daten oder verwaltet Adressen in Excel? Manch ein Großraumbüro oder Callcenter versprüht eine ähnliche Aura, wie sie einst in Fabrikhallen herrschte – Arbeiter verrichten monotone, geradezu mechanisch anmutende Tätigkeiten.

Der Status Quo in Deutschland

Fakt ist auch: Bisher haben Roboter in keinem Industrieland zu Massenarbeitslosigkeit geführt. Die 2018 veröffentlichte ifo-Studie „Forschungsstand zu Digitalisierung und Wirkungen auf den Arbeitsmarkt“ zeigt, dass mit einer durchschnittlichen Dichte von 74 Robotern pro 10.000 Mitarbeiter der globale Durchschnitt in der Fertigungsindustrie schon 2016 einen zwischenzeitlichen Rekord erreicht hatte. In Deutschland kamen in der verarbeitenden Industrie auf 10.000 Beschäftigte 309 Industrieroboter. Damals lag die Bundesrepublik auf dem dritten Platz hinter Südkorea und Singapur. „Auch heute zählt Deutschland zu den Ländern mit der höchsten Anzahl an Robotern. Das zeigen Zahlen der International Federation of Robotics“, sagt Dr. Terry Gregory, Teamleiter „Digitale Transformation“ am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA).

Gleichzeitig ist das Beschäftigungsniveau in Deutschland insgesamt in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Für 2019 wird ein neuer Rekordwert von 45,3 Millionen Beschäftigten erwartet – trotz der sich abkühlenden Konjunktur. Laut Prognosen der Beratung EY kommen in diesem Jahr 400.000 neue Arbeitsplätze hinzu. Dabei sind bereits im vergangenen Jahr fast 600.000 neue Stellen ent-standen. Was lässt sich nun daraus schließen? Können sich die Bundesbürger damit also einfach zurücklehnen?

„Es wird sich oft auf die Sorge konzentriert, dass Menschen ihren Arbeitsplatz an Roboter verlieren. Dabei verändern sich eher die zu erledigenden Tätig­keiten – und häufig sind das solche, die Menschen ohnehin nicht gern machen.“

Zwei große Herausforderungen

„Es gilt, zwei Dinge nicht zu verwechseln: Es wird häufig von Digitalisierung gesprochen, wenn eigentlich Automatisierung gemeint ist“, sagt Matthes. „Das -Besondere an der Digitalisierung ist, dass es kaum einen Beruf gibt, der nicht auf irgendeine Weise von Veränderungen betroffen ist. Dabei geht es häufig gar nicht darum, menschliche Arbeit zu ersetzen, sondern vor allem darum, digitale Tools zu nutzen, um Prozesse effizienter zu gestalten und den Menschen bei seiner Arbeit zu unterstützen“, erklärt die Arbeitsmarktexpertin vom IAB. Und darauf müssen sich die Menschen zwangsläufig vorbereiten. 

Gregory ergänzt: „Was Maschinen und Algorithmen nach wie vor gut übernehmen können, sind Aufgaben, die einen Routinecharakter haben, nach einem klaren Muster oder Schema ablaufen. Menschen hingegen sind besonders gut darin, flexibel zu reagieren, aufeinander einzugehen und miteinander zu interagieren, neue Systeme zu entwickeln oder zu betreuen.“

Das seien Tätigkeiten, die den Menschen wirklich auszeichnen. Die Folge davon ist: Maschinen und intelligente Systeme verdrängen Arbeitsplätze nicht, sondern verändern vielmehr ihre Inhalte. Das heißt, Maschinen und intelligente Systeme erobern den Arbeitsmarkt nicht, sondern werden ihn lediglich verändern. 

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12.12.2019    Miriam Rönnau
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