Illustration vom digitalen Datenverkehr
24.06.2020    Miriam Rönnau
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Die digitale Wirtschaft wächst aktuell schneller als die Gesamtwirtschaft – und war noch nie so wichtig wie während der Covid-19-Pandemie. Das zeigt der „Adobe Digital Economy Index“, ein Echtzeit-Barometer der digitalen Wirtschaft. Der Grund dafür ist offensichtlich: Bleiben Menschen notgedrungen vermehrt zu Hause, setzen Konsumenten und Unternehmen verstärkt auf digitale Lösungen. Doch wer meint, dies sei nur ein kurzzeitiger Trend, der irrt sich. Warum, das erklärt Adobes CTO für Zentraleuropa und Mittelstands­experte Hartmut König.

Zur Person

Porträt von Hartmut König

Hartmut König

ist CTO Central Europe bei Adobe und verantwortet aus dieser Rolle heraus die Mittelstands­strategie in der DACH-Region

Corona gilt als Digi­talisierungsbeschleuniger. Wird es tatsächlich eine „Neue Normalität“ in der Wirtschaft geben? Oder gewinnt der analoge Trott wieder Oberhand?

Hartmut König: Unsere Art zu arbeiten hat sich verändert – auf allen Ebenen. Viele Firmen haben über Nacht auf Homeoffice umgestellt, sprich: digitale Strukturen für das „Arbeiten aus der Ferne“ bereitgestellt. Auch in der Unternehmenskultur lassen sich Veränderungen beobachten, etwa in Sachen Dresscode. Zwar ging der Trend bereits vor Covid-19 hin zu weniger strengen Kleidungsregeln, doch seit Beginn der Krise setzt sich dieses Umdenken auch in Unternehmen durch, die bislang auf strikten Business-Dresscode und die damit verbundene Haltung bedacht waren.

Wenn Siemens-Chef Joe Kaeser etwa ohne Krawatte in einer Talkshow sitzt oder Verleger Jakob Augstein für sich mitnimmt, im Job künftig keinen Anzug mehr tragen zu wollen, macht dies die Veränderung deutlich. Damit es nicht bei einem vorübergehenden Trend bleibt, müssen sich Geschäftsführer allerdings hinter das Projekt klemmen und am Ball bleiben. Digitalisierung ist Chefsache – und sie lässt sich jetzt nicht mehr aufschieben. Die Krise zeigt, dass eine flexiblere Arbeitsorganisation nicht nur möglich, sondern zugleich erfolgreich ist. Darauf werden Mitarbeiter pochen – und Flexibilität auch weiterhin einfordern.

Wer gilt als Gewinner, wer als Verlierer der Krise?

König: Hart getroffen sind etwa Hotellerie, Gastronomie, Kosmetik- und Bekleidungsmarken. Die Ausnahme bilden Sportartikelhersteller, weil viele jetzt ihre Fitness-Seite entdecken. Festzuhalten ist: 83 Prozent der Unternehmen insgesamt sorgen sich um den Cashflow, doch nur drei Prozent der Tech-Unternehmen erwarten harte Einschnitte für ihr Geschäft. Unternehmen, die digital operieren oder ­digitale Produkte anbieten, kommen also besser durch die Krise. Doch Friseure, Kosmetiker, Gastronomen oder die Veranstal­ter im Kulturbereich können ihr Angebot nur schlecht digital abbilden. Auch das produzierende Gewerbe steht vor Herausforderungen. Nicht nur dass sich Autos oder Vakuumpumpen nicht im Homeoffice montieren lassen, auch die Unterbrechung der globalen Lieferketten setzt Firmen zu. Hier werden wir künftig eine stärkere Rückorientierung auf die Herstellung von Grundstoffen und Vorprodukten in Europa sehen. Jetzt sollten sich produzierende Unternehmen darauf konzentrieren, ihre Kundenbeziehungen zu digitalisieren, um einen engen Austausch zu ermöglichen.

„Vor allem im Bereich Industrie 4.0 ist der Mittelstand sehr gut aufgestellt. Doch nun zeigt sich: In der Kundenkommunikation steht eine zweite Digitalisierungswelle bevor.“

Vor welchen Herausforderungen steht derzeit ins­besondere der Mittelstand?

König: Vor allem im Bereich Industrie 4.0 ist der Mittelstand sehr gut aufgestellt. Doch nun zeigt sich: In der Kundenkommunikation steht eine zweite Digitalisierungswelle bevor. Die Herausforderung liegt nicht allein darin, den Kontakt zu den bestehenden Kunden per Videokonferenz aufrechtzuhalten. Die Strecke vom Erstkontakt mit einem potenziellen Kunden hin zum ersten Videotelefonat – das ist die Kunst. Und das gelingt nur über Relevanz. Kunden sind durchaus bereit, ihre Daten mit Unternehmen zu teilen, sofern sie dafür einen Mehrwert bekommen.

Zugleich braucht es einen Plan, wie Marketing und Vertrieb ohne Messen funktionieren können. Eine Option ist, wenig erklärungsbedürftige Produkte direkt über einen Online-Shop zu vertreiben. Komplexe Produkte, für die eine persönliche Beratung nötig ist, können per Video-Call individuell konfiguriert und der Verkauf online abgewickelt werden. Diese Zweiteilung spart wertvolle Ressourcen: Wenn Phasen des Verkaufs­prozesses ohne direkten Kontakt abgewickelt werden, haben Vertriebler mehr Kapazitäten für die Beratung

Welche Erkenntnisse und daraus resultierenden Ziele sollten Mittelständler aus der jetzigen Entwicklung mitnehmen?

König: Die zentrale Erkenntnis muss sein: Kundenbeziehungen zu digitalisieren lohnt sich – nicht nur aktuell, sondern auch langfristig. Wir sehen jetzt, dass sich die Stärken des Mittelstands – seine langjährigen, engen Kundenbeziehungen – in gleicher Qualität von der analogen in die digitale Welt verlängern lassen. Das heißt: Nach der Krise werden Kundentermine seltener vor Ort und häufiger per Video stattfinden. Es ist doch viel effizienter, Termine per Videokonferenz abzuhalten. Das spart Zeit und Kosten für Anreise und schont das Klima. Eine klare Win-win-Situation.

US-Plattformen und Online-Händler wie Amazon erleben derzeit einen immensen Aufschwung. Was sollten Politik und Unternehmen hierzulande tun, damit die Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt?

König: Die Politik muss jetzt gezielt in die digitale Bildung investieren. Nur so bleibt die deutsche Wirtschaft langfristig wettbewerbsfähig. Die Zukunft ist digital. Darauf muss nicht nur jeder vorbereitet sein, der die Schule oder Universität verlässt. Auch Unternehmen müssen in die Pflicht genommen werden, ihre Mitarbeiter weiterzubilden. Wir haben schon jetzt einige Weltmarktführer im Digitalbereich. So kommen etwa EOS, der größte Hersteller für den 3-D-Druck metallischer Werkstoffe, oder auch Mindsphere beziehungsweise Cumulocity aus dem Bereich Internet of Things, aus Deutschland. Wenn wir die Stärken des deutschen Mittelstands – seine Innovationskraft und seine erstklassigen Produkte – mit digitalen Technologien kombinieren, bleiben wir auch künftig eine der führenden Volkswirtschaften.

24.06.2020    Miriam Rönnau
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