Eine Rakete, die aus einem Smartphone startet
20.08.2020    Madeline Sieland
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Die Krise beschleunigt die Digitalisierung. Neue Geschäftsmodelle und innovative Arbeitsweisen, denen Unternehmer jahrelang eher skeptisch gegenüberstanden, sind nun an der Tagesordnung. Doch Corona zeigt auch deutlich die Mängel in der Infrastruktur auf. Wo ist der Nachholbedarf am größten? Wo steht die IT-Branche aktuell? Antwort geben Hagen Rickmann, Telekom-Geschäftsführer für den Bereich Geschäftskunden, und Achim Berg, Präsident des Digitalverbandes Bitkom.

Zur Person

Ein Portrait von Hagen Rickmann

Hagen Rickmann

ist Geschäfts­führer für
den Bereich Geschäftskunden der Telekom Deutschland

Zur Person

Ein Portrait von Achrim Berg

Achim Berg

ist seit 2017 Präsident
des Digital­verbands
Bitkom

Das Coronavirus beschleunigt die Digitalisierung und verhilft New Work zum Durchbruch – zwei Thesen, die derzeit oft zu hören waren. Stimmen Sie zu?

Hagen Rickmann: Satya Nadella, der CEO von Microsoft, hat nach dem Lockdown festgestellt: „Wir haben jetzt in zwei Monaten so viel Digitalisierung erlebt wie sonst in zwei Jahren.“ Das unterschreibe ich! Und Hand in Hand mit der Turbo-Digitalisierung ging die Etablierung von New Work. Vor Corona war Heimarbeit eine Randerscheinung, verpönt in den meisten Konzernen. Ich selbst hatte auch Vorbehalte. Durch den Lockdown hat sich das geändert. Jetzt weiß ich, dass Homeoffice sehr gut funktioniert. Man ist zu Hause sogar konzentrierter und arbeitet entsprechend effizienter, sodass man sich Zeitfenster schaffen kann. Dadurch konnte ich beispielsweise in der Mittagspause auch mal eine Runde joggen gehen. Vor Corona war das undenkbar.

Achim Berg: Wir haben gesehen, dass sich über Videokonferenzen viele Themen gut abarbeiten lassen. Gleichzeitig sparen wir uns die Fahrten ins Büro; Arbeitgeber brauchen weniger Büroflächen. Ich hoffe, dass wir nicht wieder in den alten Trott fallen. Es wäre auch an der Zeit, dass der Gesetzgeber das Arbeitszeitgesetz in ein Wochenarbeitszeitgesetz umwandelt, damit wir unsere Arbeitszeiten besser nach unseren Bedürfnissen einteilen können.

Wie sieht „the new normal“ konkret bei der Telekom und beim Bitkom e.V. aus?

Rickmann: Wir arbeiten nach einem hybriden Konzept: Etwa die Hälfte der Belegschaft hat die Möglichkeit, Homeoffice zu machen – und nutzt diese auch. Durch das geringere Personalaufkommen im Betrieb lassen sich dort Abstandsregeln gut einhalten, weshalb ich davon ausgehe, dass wir auch in Zukunft einen gesunden Mix von Anwesenheit im Büro und Homeoffice beibehalten werden.

Berg: Der Bitkom hat erst vor Kurzem eine Büroeinweihung gefeiert – dann kam Corona. Aus meiner Sicht läuft die tägliche Arbeit sehr, sehr gut. Allerdings glauben wir beim Bitkom sehr stark an den persönlichen Austausch und das Erlebnis bei Veranstaltungen wie einer „hub conference“ oder einer „Smart Country Convention“, wo wir verschiedene Interessenvertreter zusammenbringen. Daraus entstehen die dringend notwendigen spannenden übergreifenden Diskussionen. Hier testen wir jetzt neue Formate.

Wenn Sie einmal die vergangenen Monate rekapitulieren: Was hat in Deutschland während der Krise besser funktioniert, als Sie gedacht hätten – und wo wurden Mängel erst recht offensichtlich?

Berg: Na, da schaue ich doch direkt mal zu Hagen rüber – wer hätte gedacht, dass unsere Netze so stabil bleiben, während wir fast alle gleichzeitig Corona-Updates abrufen, Videos streamen und Videokonferenzen abhalten? Das hat sehr gut funktioniert. Ich denke, die größten Mängel haben Eltern schulpflichtiger Kinder gespürt… und auch Bürger, die zum Beispiel mal schnell ein Auto anmelden wollten.

Rickmann: Gut funktioniert hat aus Sicht der Telekom eine ganze Menge: die Aufrechterhaltung der Netze, das Digitalisieren von analogen Unternehmensbereichen und die Realisierung der Corona-Warn-App. Die App haben wir nach dem „Go“ der Regierung zusammen mit SAP in weniger als 50 Tagen entwickelt! Aus bundesdeutscher Sicht hat ebenfalls sehr vieles gut funktioniert – das generelle Krisenmanagement der Regierung nach dem landesweiten Lockdown, die Solidarität innerhalb der Sozialgemeinschaft und die zumindest anfänglich große Bereitschaft  der Bürgerinnen und Bürger, sich an die strikten Einschränkungen zu halten. Mängel sind vor allem im Schulsystem zutage getreten, wie Achim Berg schon angemerkt hat. Die Anbindung an das Internet war teilweise sehr schlecht, es gab keinen einheitlichen oder überhaupt keinen Online-Unterricht.

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Wer ist im Hinblick auf die Beseitigung dieser Mängel eigentlich eher gefordert – die Wirtschaft oder die Politik?

Berg: Ich denke, dass viele Unternehmer gute Ideen hätten, wie sich unsere Verwaltungseinrichtungen und die schulische Bildung digitalisieren und – im Sinne der Bürger – optimieren ließen. Der erste Schritt muss aber von der öffentlichen Hand beziehungsweise von der Kultusministerkonferenz kommen.

Rickmann: Ich bin der Meinung, dass die Bewältigung der Mängel eine Gemeinschaftsaufgabe ist. In vielen Fragen muss die Politik vorweggehen, aber sie bedarf der Unterstützung durch die Wirtschaft. Beispiel Breitbandausbau an Schulen: Der Staat muss die Rahmenbedingungen schaffen, aber für die Realisierung braucht es private Investoren und eine unbürokratische Verwaltungspraxis.

Ein Bild auf dem ein Smartphone und Laptop abgebildet ist

Gute Infrastruktur reicht nicht: Europa braucht Standards und Regeln, an die sich jeder Anbieter halten muss

Kann das Konjunkturpaket uns dabei helfen? Oder ist das Geld nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Rickmann: Das Konjunkturpaket kann ganz sicher helfen. Es ist genau der Impuls, den die Wirtschaft jetzt braucht. Zwei Dinge sind jetzt aber wichtig: erstens, dass viel Geld in die Förderung von Digitalisierungsprojekten fließt, damit Unternehmen einen Anreiz zur Transformation haben. Zweitens, dass diese Förderungen auch leicht in Anspruch genommen werden können. Konkret heißt das: Abbau von Bürokratie. Die Wirtschaft kann und sollte der Politik hier unter die Arme greifen und ihr beratend zur Seite stehen.

Berg: Wir haben uns stark dafür eingesetzt, bewusst nicht auf Themen von gestern zu setzen, sondern jetzt eine Förderung der Digitalisierung stärker anzugehen, die schnell bei den Unternehmen ankommen kann. Die Bundesregierung hat einen guten Job gemacht und fast ein Drittel der gesamten Investitionen für die Digitalisierung reserviert, Stichwort „Digital Next“. Wir als Unternehmer treffen jetzt und heute die Entscheidung, ob daraus ein analoges Strohfeuer oder ein digitales Feuerwerk wird.

Ja, ein gutes Drittel der Konjunkturförderungsmaßnahmen entfällt auf Digitalisierungsthemen. Gibt es Ihrer Meinung nach Aspekte, die dabei außer Acht gelassen wurden und die dringend auf die politische Agenda gehören?

Berg: Ehrlich gesagt, finden wir die Maßnahmen in Summe gut. Wenn ich noch einen kleinen zusätzlichen Wunsch frei hätte, würde ich die Arbeit im Homeoffice steuerlich noch stärker fördern wollen.

Rickmann: Die Förderprogramme sind ganz sicher wichtige Zukunftsthemen, aber die meisten Mittelständler brauchen jetzt eine konkrete Förderung zur Digitalisierung ihrer Prozesse. Sie brauchen vielleicht eine leistungsfähige Cloudlösung, um flexibler arbeiten zu können, oder ein CRM-System mit weitreichenden Data-Analytics-Möglichkeiten. Es sollten unbedingt Gelder für solche betriebsspezifischen Digitalisierungsprojekte bereitgestellt werden.

Welche Digitalisierungsimpulse sollte die Bundesregierung während ihrer EU-Ratspräsidentschaft setzen?

Berg: Europa hat sich in der Vergangenheit durch zögerliches Handeln stark von den USA und von China abhängig gemacht, Stichwort digitale Souveränität. Inzwischen hat die Bundesregierung unter Wirtschaftsminister Altmaier gemeinsam mit Frankreich das Projekt „GaiaX“ auf den Weg gebracht. Hier sollen europaweite Standards und Regeln definiert werden, an die sich jeder Anbieter halten muss. Gute Fortschritte hier könnten Klarheit schaffen und den europäischen Binnenmarkt stärken.

Wie lautet Ihre Botschaft für Unternehmer, die Digitalisierung noch immer nicht für erfolgsrelevant halten?

Rickmann: Ich habe zwei Botschaften. Erste Botschaft: Verstehen Sie die Krise als Weckruf! Sie hat gezeigt, wie wichtig Digitalisierung für Unternehmen jeder Größe ist. Ein „Weiter wie bisher“ kann es nicht geben. Zweite Botschaft: Es ist noch nicht zu spät. Auch wenn Sie bislang vollständig analog arbeiten – Ihr Geschäft ist trotzdem digitaltauglich. Sie müssen auch nicht gleich alles auf den Kopf stellen. Beginnen Sie in kleinen Schritten mit der Transformation. Die Deutsche Telekom berät und unterstützt Sie gern.

Berg: Bei einer Bitkom-Umfrage, die unmittelbar vor Corona durchgeführt wurde, haben 22 Prozent der Unternehmen angegeben, keine Digitalstrategie zu haben. Ich hoffe, die Unternehmer haben inzwischen umgedacht.

Wie werden wir in fünf Jahren auf die Krise zurückblicken? Haben wir sie dann als reine Katastrophe in Erinnerung oder eher als Startzeitpunkt für einen beschleunigten Fortschritt?

Rickmann: Letzteres. Wenn nicht für beschleunigten Fortschritt, dann zumindest für Veränderung in der richtigen Richtung. If you do what you always did, you will get what you always got“ – das ist von Albert Einstein. Ohne Corona wären wir weiterhin im Do what you always did“ gefangen.

Berg: Keine Frage: Corona ist und bleibt eine große Tragödie. Wir haben aber jetzt die Chance, etwas zu drehen. Wie gesagt: Die Regierung hat schon gut vorgearbeitet. Jetzt ist es an uns Unternehmern, Deutschland und Europa aus der Krise zu führen.

20.08.2020    Madeline Sieland
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