Wie Unternehmer geht in eine andere Richtung als alle anderen
29.06.2021    Madeline Sieland
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„Ich bin fest davon überzeugt, dass die Mehrheit der Industrieunternehmen mit ihrem aktuellen Technologie-Stack und ihrem heutigen Geschäftsmodell ihre Marktposition in den kommenden Jahren nicht halten kann“, sagt Stephan Seifert. Er ist CEO von Körber. Der Hamburger Technologiekonzern hat rund 10.000 Mitarbeiter an 100 Standorten weltweit und ist in fünf Geschäftsfeldern aktiv: Pharma, Supply-Chain, Tissue, Tabak – und seit 2017 auch im Geschäftsfeld Digital. Denn für Körber-CEO Seifert ist die digitale Transformation des Unternehmens eine zwingende Notwendigkeit, um auch in Zukunft als Marktführer erfolgreich zu bleiben.

Zur Person

Porträt von Stephan Seifert

Stephan Seifert

kam 2007 zur Körber-Gruppe und gehörte seitdem zur Spartenleitung von Körber Process Solutions. Im Oktober 2002 übernahm er dann das Amt des Finanzvorstands

Bei Körber streben Sie die Marktführerschaft durch Technologieführerschaft an. Was zeichnet einen Technologieführer aus?

Stephan Seifert: Ganz klar: Wer Technologieführer sein will, muss zugleich die Innovationsführerschaft in seiner Branche innehaben und bei seinen Kunden als zentraler Kompetenz- und Lösungspartner wahrgenommen werden. Das ist unser Maßstab.

Wie definieren Sie Innovation?

Seifert: Innovationen zeichnen sich in der Regel durch ganz neue Technologien, Denkweisen und Lösungsansätze aus und bieten zudem häufig die Möglichkeit, auch neue Geschäftsmodelle zu etablieren. Aus unserer Sicht bieten die Digitalisierung und das Industrial IoT enorme Chancen und Innovationsmöglichkeiten im B2B-Bereich, lösen gleichzeitig aber auch substanzielle nachhaltige Marktveränderungen aus.

Eine Innovation muss demnach disruptiven Charakter haben. Oder können auch graduelle Veränderungen innovativ sein und dabei helfen, international wettbewerbsfähig zu bleiben?

Seifert: Bei Körber brauchen und machen wir definitiv beides. Die Maschinen und Anlagen, die wir unserenKunden anbieten, entwickeln wir kontinuierlich mit vielen Innovationen weiter. Zugleich bauen wir unsereKompetenz in den Bereichen Software, Digitalisierung und Industrial IoT ganz massiv aus. Hier finden aktuell und zukünftig ganz wesentlich die technologische Weiterentwicklung und Disruption statt.

Ein Disruptionsprozess, den Sie seit einigen Jahren mit vorantreiben.

Seifert: Im B2C-Bereich haben die großen Plattformen aus den USA und aus Asien das Rennen im Wesentlichen schon für sich entschieden. Aber im B2B-Bereich ist das Rennen noch offen. Da sind wir inEuropa und vor allem in Deutschland aufgrund unserer exzellenten Kompetenz im Maschinen- und Anlagenbau im Moment noch in einer guten Ausgangsposition.

Das heißt?

Seifert: Ich bin fest davon überzeugt, dass sich in den nächsten fünf Jahren entscheidet, wer hier international das Rennen machen wird. Und wir sehen, dass weltweit zunehmend auch viele neue Spieler – insbesondere aus dem Software- und IoT-Umfeld – sehr ambitioniert in den B2B-Markt eintreten. Aus diesem Grund treiben wir unsere zukunftsorientierte Digital- und Technologiestrategie mit einem klaren Fokus auf Hardware, Software und Industrial IoT mit hoher Geschwindigkeit weiter erfolgreich voran.

Können Sie das erläutern?

Seifert: Körber entwickelt und produziert seit 75 Jahren Maschinen und Anlagen für seine Kunden. Wenn Sie so wollen, die Hardware. Dadurch kennen und verstehen wir die Prozesse unserer Kunden sehr genau und sind ein langjähriger strategischer Partner. Mit unserer Digitalisierungsstrategie treiben wir nun ganz massiv das Zusammenspiel dieser Hardware mit Software- und Industrial-IoT-Lösungen zu einem integrierten Technologie-Stack voran. Denn in der Zukunft steht die Weiterentwicklung und Optimierung der gesamten Wertschöpfung – die intelligente Fabrik – bei unseren Kunden im Fokus. So definieren wir für die Zukunft Marktführerschaft durch Technologieführerschaft zum Nutzen unserer Kunden.

Und wie erfolgreich sind Sie dabei?

Seifert: In Zahlen ausgedrückt, realisieren wir bereits heute mehr als 20 Prozent unseres Geschäfts mit Softwareprodukten und digitalen Lösungen und gehen von einem weiteren substanziellen Wachstum in den nächsten Jahren aus. Mit unseren Lösungen sind wir vielfach ausgezeichnet worden und gehören zu den weltweit führenden Anbietern. Eine tolle Bestätigung unserer Strategie vom Markt und von unseren Kunden!

In welcher Technologie sehen Sie das größte Potenzial für die Zukunft?

Seifert: Für uns stehen derzeit zwei Themen besonders im Vordergrund: zum einen Künstliche Intelligenz (KI). Wir bauen hier ganz stark unsere eigenen Kompetenzen aus und arbeiten gleichzeitig mit Start-upszusammen, um KI-basierte Softwarelösungen zu entwickeln. Zweitens: Autonomous Mobile Robots – sogenannte AMRs. Diese Roboter ermöglichen ganz neue Lösungsansätze und werden künftig bei vielenunserer Kunden im Einsatz sein. Zwei wichtige Technologien, die die Entwicklung zur intelligenten Fabrik stark beschleunigen werden.

Was kann ein Konzern wie Körber in diesem Zusammenhang von Start-ups lernen?

Seifert: Start-ups haben ein enormes Verständnis für neue Technologien. Sie haben zudem eine ganz andere Entwicklungs- und Innovationsgeschwindigkeit – Stichwort „fail fast“. Und sie helfen uns dabei, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Wir arbeiten deshalb sehr intensiv und erfolgreich mit unterschiedlichen Start-ups zusammen. Inzwischen haben wir mit FactoryPal auch ein eigenes Start-up mit extremem Innovations- und Disruptionspotenzial gegründet.

Inwiefern?

Seifert: FactoryPal stattet komplette Fertigungsanlagen mit einer auf Künstlicher Intelligenz basierenden Softwarelösung aus, die den gesamten Produktionsprozess und -footprint bei unseren Kunden optimiert und so die Produktivität und Profitabilität substanziell steigern kann. Und das alles ohne nennenswerte Investitionen in neue Maschinen oder Anlagen. Gleichzeitig bieten wir unseren Kunden damit ein völlig neues Geschäftsmodell an: „gain sharing“, also Erfolgsbeteiligung.

Was heißt „gain sharing“ genau?

Seifert: Statt einer einmaligen Zahlung bekommen wir zum Beispiel einen Anteil des durch die Optimierung zusätzlich erzielten Ertrags. Oder anders ausgedrückt: Wir bekommen nur Geld, wenn unser Kunde auch mehr verdient. Diese Kombination aus neuer digitaler Lösung und neuem Geschäftsmodell bietet momentan nur Körber seinen Kunden an. Ein tolles Beispiel für Marktführerschaft durch Technologieführerschaft. Und auch hier gilt: Wir gehen neue Wege, bevor andere sie gehen!

So einen Wandel positiv und aktiv zu gestalten ist sicherlich eine enorme Herausforderung. Wie macht Körber das?

Seifert: Kompetenzen entwickeln, Menschen zusammenbringen und gemeinsames Lernen und Erfolge ermöglichen. Heute arbeiten bereits gut 20 Prozent unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit in diesen Bereichen. Zudem haben wir das Thema Digitalisierung schon sehr früh auf die Agenda jedes Meetings gesetzt, um auch all diejenigen damit vertraut zu machen, für die das Thema Neuland war. Und wir haben schnell gelernt, Wege zu finden, diese unterschiedlichen Erfahrungen, Kompetenzen und Menschen immer wieder zusammenzubringen, damit sie mit- und voneinander lernen können und zusammen Erfolge feiern können.

Wie wichtig ist es für ein Unternehmen, angesichts einer solch umfangreichen Veränderung einen klaren Purpose zu haben?

Seifert: Es ist sehr wichtig, eine klare Vorstellung davon zu haben, wer man ist, wohin man will und wie man sein Ziel erreichen will. Unser Purpose lautet: „Wir sind die Heimat für Unternehmer“. Wir wollen also ein Ort sein für Unternehmer – für unsere Kunden, Mitarbeiter und Partner. Ein Ort, an dem wir auch mit neuen Ansätzen wie Ideation und Co-Creation zusammen mit unseren Kunden unternehmerisches und innovatives Denken und Handeln kreativ weiterentwickeln.

Welche Rolle spielen Sie als CEO in diesem Transformationsprozess?

Seifert: Natürlich ist es absolut wichtig, so einen umfassenden und weitreichenden Transformationsprozess als Person aus tiefster Überzeugung und mit großer Motivation als Vorbild glaubhaft und ernsthaft zu vermitteln. Besonders wichtig ist es dabei, immer und immer wieder über die Vision, die Ziele, den Weg und die erforderlichen Veränderungen und Weiterentwicklungen zu sprechen und sie zu erklären. Denn die erfolgreiche Veränderung gestalten jeden Tag und Schritt für Schritt unsere Führungskräfte und unsere 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit in der persönlichen Zusammenarbeit und im Austausch mit unseren Kunden. Und da wir alle zusammen ganz neue Wege gehen, ist es absolut wichtig, der Organisation, den Führungskräften und den Mitarbeitern Freiraum und Verantwortung für die Umsetzung neuer Ideen und Herangehensweisen zu geben. Getreu unserem Selbstverständnis „Wir sind die Heimat für Unternehmer“.

Die gemeinnützige Körber-Stiftung ist alleinige Aktionärin der Körber AG. Erleichtert diese Eigentümerstruktur solch einen Wandel?

Seifert: Ja, absolut, das ist ein sehr großer Vorteil. Unsere Eigentümerstruktur hilft uns definitiv dabei, im Sinne des Unternehmens, unserer Geschäftspartner und Mitarbeiter sehr langfristig, innovativ und zukunftsorientiert zu denken und auch – wie Sie sehen – ganz neue Wege für eine erfolgreiche Zukunft zu gehen. Eine sicherlich einzigartige Konstellation, die extrem motivierend ist und viel Spaß macht!

29.06.2021    Madeline Sieland
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