Wall Street Verkehrsschild
10.06.2020    Arne Gottschalck
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Seit Beginn des Niedrigzinszeitalters hieß der Ratschlag für die Anleger kategorisch: Es gibt keine Alternative zu Aktien. Gilt das auch nach dem Corona-Crash noch?

„Dass an Aktien kein Weg vorbeiführt, gilt weiterhin, vor allem wenn es um die Altersvorsorge geht“, sagt Fürpaß-Peter. Und viele Anleger geben ihr Recht: „Bei Lyxor ETF Deutschland verzeichneten wir nach Beginn der Krise im März hohe Nettomittelzuflüsse von Endanlegern in ETFs.“ LIQID-Chef Schneider-Sickert sieht Aktien als Beteiligung an Firmen in der Krise sogar noch mehr im Vorteil gegenüber Staatsanleihen: „Unternehmen verfügen über eine deutlich größere Anpassungskraft als die öffentliche Hand.“ Er rät zudem, einen Blick auf Private Equity zu werfen, auf Beteiligungskapital an Unternehmen, die noch nicht an der Börse notieren. Fidelity-Stratege Roemheld: „Aktien bleiben für mich eine Basisanlage.“ Immerhin hätten sie in den vergangenen 150 Jahren in jeder Dekade zwischen vier und fünf Prozent Rendite pro Jahr beschert.

Haben sich die Bewertungen von Aktien verschoben?

„Eine ganze Generation ist von der Corona-Pandemie überrascht worden“, sagt Axa IM-Chefstratege Stranz, „und die Medien haben das Thema hochgepusht“. Ob die Billionen Euro teuren Hilfsleistungen der Regierungen die Krise beenden können? Stranz: „Niemand weiß das, es bleibt nur, abzuwarten.“ Und entsprechend gelte das auch für die Bewertungen von Unternehmen. So ist beispielsweise der Kurs des US-Videokonferenzanbieters Zoom über die Pandemie-Wochen extrem stark gestiegen. Doch ob das Unternehmen auch langfristig erfolgreich sein wird? Viele Entwicklungen seien derzeit „seriös nicht zu prognostizieren“.

Zuletzt zogen die Aktienkurse wieder kräftig an. Eher zynisch eingestellte Börsianer sprechen von einer „Schrott-Rally“. Wie stehen Sie dazu?

„Aktuell spiegelt der Aktienmarkt nicht die Situation der Wirtschaft wider,“ urteilt Wolf von BNY Mellon. „Es ist schwer zu sagen, ob es sich um eine Schrott-Rally handelt,“ sagt Fürpaß-Peter, „aber auf jeden Fall haben sich die Märkte von der realen Wirtschaft abgekoppelt,.“ Roemheld verweist auf die Frage nach dem Anlagehorizont: „Niemand schafft das optimale Timing, es ist besser langfristig investiert zu sein.“ LIQID-CEO Schneider-Sickert zeigt sich beeindruckt vom Verhalten seiner Kunden in der schwierigen Börsenphase: „Die meisten sind bei der Stange geblieben.“

Wie ist es um die Aktienkultur in Deutschland bestellt?

Unisono beklagen die Experten die negative Einstellung der meisten Bundesbürger zu Aktien, sehen die Schuld dafür vor allem in der Politik. „Beispiel Riester-Produkte. Bei deren Entwicklung wurde immer nur – Risiken in den Vordergrund gestellt, nicht die Chancen,“ so Fürpaß-Peter. Wolf attackiert das Bildungssystem: „Wir müssen an den Schulen anfangen, Finanzwissen zu unterrichten. Manche, die ein Praktikum bei einer Bank absolvieren, kennen nicht einmal den Unterschied zwischen Aktien und Anleihen.“

Stranz von AXA IM pflichtet ihm bei: „Wir sponsern Pädagogen an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, die ein Schulfach Kapitalmarkt entwickeln. Es tut sich etwas.“ Private-Equity-Befürworter Schneider-Sickert: „Deutschland hat keine Aktien-, aber eine Unternehmerkultur.“

Welchen Anteil sollten Aktien in der privaten Altersvorsorge einer 40-jährigen Anlegerin oder eines gleichaltrigen Anlegers einnehmen, und auf welche Titel sollten sie setzen?

Tendenziell liegen die Börsianer im Video-Call auf einer Linie. Bezogen auf den Teil der Ersparnisse, der ausschließlich für die Altersvorsorge vorgesehen ist und nicht mittelfristig etwa für einen Immobilienkauf benötigt wird, sollten Aktien zwischen 80 und 100 Prozent ausmachen. Alle messen dabei einer breiten Diversifikation höchste Bedeutung bei. Für Schneider-Sickert bedeutet das größte Risiko für einen 40-jährigen Anleger, „nur auf Sicherheit zu gehen“.

Seiner Meinung nach könnten Unternehmensbeteiligungen sogar bis zu 100 Prozent des Vorsorgekapitals ausmachen, „einen Teil in Aktien, einen in Private-Equitiy.“ „So hoch wie möglich“, solle der Aktienanteil sein, meint Wolf. Roemheld: „Allerdings muss sich der Anleger damit wohlfühlen.“ Bei der Wahl der Investmentziele sollten Anleger auf Zukunftsentwicklungen beachten, sagt Lyxor-Expertin Fürpaß-Peter. „Digitalisierung, Gesundheit, Smart Cities – dies sind Bereiche, die vom Wandel profitieren dürften.“ Wolf erachtet auch Titel von Unternehmen für interessant, die von der sich ändernden Mobilität profitieren.“

Und bei noch einem Urteil kommen die Experten in der Runde insbesondere vor dem aktuellen Umfeld auf einen gemeinsamen Nenner: Anleger müssen einen langen Atem haben.

10.06.2020    Arne Gottschalck
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