03.11.2020
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Was braucht ein Schiff auf hoher See, das Leck geschlagen ist? Einen starken Kapitän. Die Commerzbank ist ein Tanker, der in unruhigem Gewässer, aber ohne Führung herumschippert. Aktuell steht die Bank still. Alle warten auf Manfred Knof. Der neue CEO sitzt ausgerechnet bei der Deutschen Bank fest. Zum gelben Wettbewerber soll er erst Anfang 2021 wechseln.

Commerzbank in Not

Ohne Strategie, ohne Führung, ohne Ideen für Digitalisierung ist die einst stolze Bank ohne Plan unterwegs. Verantwortlich für das Desaster ist Olaf Scholz. Der Bund, als größter Gesellschafter mit knapp 16 Prozent beteiligt, kümmerte sich um die Neubesetzung des Managements der Bank.

Die Commerzbank war im Sommer nach einer Aktionärsrevolte des US-Finanzinvestors Cerberus in eine tiefe Personalkrise gerutscht. Der zweitgrößte Aktionär des Instituts hatte der Führung vorgeworfen, „über Jahre eklatant versagt“ zu haben. Aufsichtsratschef Stefan Schmittmann und Vorstandschef Martin Zielke gaben daraufhin ihren Rücktritt bekannt.

Die Malaise in Zahlen: Die Aktie dümpelt bei 4 Euro herum, das gesamte Institut bewertet die Börse mit knapp 6 Milliarden Euro. Im europäischen Benchmark-Bankenindex notieren im Sommer nur eine italienische und eine spanische Bank auf ähnlichen Tiefstständen. Zum Vergleich: 2018 kostete die Commerzbank-Aktie knapp 13 Euro.

Zielke hatte nicht geliefert. Mit dem Abbau von Filialen und einigen Arbeitsplätzen hatte er eine dürftige Sachkapitalrendite von vier Prozent anvisiert. Die Deutsche Bank strebt acht Prozent an.

Neue Führungsriege ist altbekannt

Wer jetzt dachte, dass zwei agile, weltgewandte und digital tickende Top-Manager kommen würden, um das Ruder rumzureißen, wurde enttäuscht.

Die Berliner Agenda ist eine andere: Experten glauben, dass Scholz kein Risiko eingehen möchte, das seiner Kanzlerkandidatur schaden könnte. Schließlich wäre es für ihn ein Desaster, wenn die schwächelnde Unternehmerbank von einer Pleitewelle im Mittelstand im Wahljahr 2021 erfasst wird. Dann müsste der Staat seine eigene Beteiligung womöglich zum zweiten Mal nach der Finanzkrise durch Finanzspritzen retten.

Schon jetzt ist der Ruf von Scholz als Wirtschaftsfachmann angeschlagen. Der Wirecard-Skandel und dubiose Cum-Ex-Geschäfte bei der Hamburger Warburg Bank schaden dem Finanzminister. Weiteres Ungemacht kann er vor der Bundestagswahl nicht gebrauchen.

Beim Personalrecruiting hat Scholz deshalb mit Hans-Jörg Vetter und Manfred Knof einen Aufsichtsratschef und einen CEO anheuern lassen, die für Sanierung sowie Fokus auf Deutschland stehen. Vetter wurde aus dem Ruhestand geholt. Davor war er bis 2016 Aufsichtsratschef der in der zweiten Finanzliga dümpelnden Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).

Knof arbeitet bis zum Ende des Jahres bei der Deutschen Bank. Der Jurist leitet dort seit dem 1. August 2019 das Privatkundengeschäft. Allerdings soll sich Knof weder mit Deutsche Bank-Vizechef Karl von Rohr noch mit CEO Christian Sewing verstanden haben. Wieder ein Zerwürfnis mit den Bossen? Ende 2017 hatte der 56-Jährige bereits bei der Allianz das Handtuch geschmissen. Damals lautete die offizielle PR-Begründung: „Auszeit aus gesundheitlichen Gründen“. Alles vorgeschoben? Die „Süddeutsche Zeitung“ mutmaßte ein „schlechtes Verhältnis“ und einen „handfesten Krach“ mit Allianz-CEO Oliver Bäte.

Top-Personal geht

Knof auf Abruf? Bei dieser Gemengelage passte es der Deutschen Bank in den Kram, dass Olaf Scholz einen neuen CEO für die Commerzbank suchte. In Frankfurt wird gemunkelt, dass sich zwei ehemalige Goldmann-Sachs-Manager auf die Personalrochade verständigten – auf der einen Seite Deutsche-Bank-Aufsichtsratschef Paul Achleitner und auf der anderen Seite Finanzstaatssekretär Jörg Kukies. Zwei Goldies, die sich kennen und verstehen.

Die Deutsche Bank teilte mit, dass sie solche Gerüchte nicht kommentiert; das Finanzministerium war für eine Stellungnahme nicht bereit.

Bis Knof 2021 wirklich in charge ist, verrinnt wertvolle Zeit. „Wer etwas auf sich hält, packt seine Koffer, um das führerlose Schiff zu verlassen“, erzählt ein Insider aus der Personalberatungsbranche. Perfide, denn wenn die Zukunft kündigt, schwinden auch die strategischen Wachstumsalternativen für die Bank.

Bestes Beispiel ist der jüngste Abgang von Top-Manager Kerem Tomak im Oktober 2020 zur Konkurrenz. Der Bereichsvorstand war erst im Sommer 2017 als digitaler Hoffnungsträger zur Commerzbank gewechselt. Davor arbeitete der Amerikaner für die US-Kaufhausketten Sears und Macy‘s sowie für die Technologiegiganten Google und Yahoo. Bei der Commerzbank war er etwa für die Analyse von Daten verantwortlich und trieb die Nutzung von Cloud-Lösungen voran. Durch den Einsatz von Algorithmen wollte die Bank schneller und effizienter etwa im Mittelstandsgeschäft Potenziale erschließen.

Gewinner und Verlierer

Ohne Ressourcen für Expansion durch Banking 4.0 bleibt nur der Rückzug. Sanierung durch Risikovermeidung. Für Wachstumsfirmen, die etwa mit ihrem Business Neuland besetzen, sind das schlechte Nachrichten. Bislang hatte die Bank einen glänzenden Ruf im Mittelstand. Insider gehen davon aus, dass die Bank sich in eine biedere CommerzSparkasse wandeln wird.

Gewinner sind die US-Beteiligungsgesellschaft Cerberus und die Deutsche Bank. Der Bankenprimus, der unlängst noch mit der Commerzbank auf Augenhöhe fusionieren sollte, entledigt sich eines nationalen Wettbewerbers.

Und Cerberus, das sowohl an der Commerzbank (5 Prozent entspricht 0,27 Milliarden Euro) als auch an der Deutschen Bank (3 Prozent entspricht 0,53 Milliarden) beteiligt ist, könnte unterm Strich an der Börse gewinnen. Geht der Coup auf, profitiert die Deutsche Bank doppelt – erstens als einzige relevante Adresse für internationales Geschäft und zweitens von einer gesund geschrumpften Commerzbank, die günstig zu haben wäre. Beides könnte dem Deutsche-Bank-Kurs soviel Auftrieb geben, dass Ceberus so das Investment-Desaster bei der Commerzbank überkompensiert.

Verlierer bei Scholz‘ Schachzug ist die deutsche Wirtschaft. Ohne nationalen Wettbewerb kann die Deutsche Bank Firmenkunden Preise diktieren. Dieser schwer messbare Schaden dürfte den Ruf von Scholz jedoch nicht ramponieren. Seine Rechnung, die Commerzbank für seine Kanzlerkandidatur zu opfern, könnte aufgehen.

03.11.2020
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