Flagge der Europäischen Union mit Coronaviren
22.04.2020    Miriam Rönnau
  • Drucken

Business-Speaker im Call:

  • Christoph Kull, Vice President und Managing Director Central Europe von Adobe
  • Dipl.-Ing Adrian Willig, Geschäftsführer IWO Institut für Wärme und Öltechnik
  • Andrea Eggers, Head of Marketing bei Unibail Rodamco Westfield Germany

Das sind die dringendsten Fragen:

Welche finanziellen Mittel stellt die EU für Unternehmer und Selbstständige bereit?

„Insgesamt drei Billionen Euro konnte Europa innerhalb von zwei Wochen mobilisieren – in der Finanzkrise 2008 haben wir dafür drei Jahre gebraucht“, sagt Nicola Beer (FDP), Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Diese sollen vor allem für kleinere und mittelständische Unternehmen, aber auch für Gesundheitssysteme, Kurzarbeit und Digitalisierung eingesetzt werden. Einige Mitgliedsstaaten bauen sukzessive ihre Kurzarbeitssysteme aus und nehmen sich Deutschland dazu als Vorbild.

Woher kommt das Geld?

Die Mittel setzen sich aus den bereits bestehenden Instrumenten des EU-Haushalts zusammen – dazu gehören Strukturfonds, Konvergenzfonds, Sozialfonds und andere Instrumente. „Daneben wurden zusätzliche Funds geschaffen, insbesondere in Bezug auf Kurzarbeitergeld – so soll die Initiative „Sure“ allen von der Corona-Krise betroffenen EU-Staaten helfen. Abgesichert werden soll dies durch eine Garantie aller Mitgliedsstaaten. Außerdem setzt die Europäische Investitionsbank zusätzliche Fonds ein, ebenso der europäische Stabilisationsmechanismus mit seinen Kreditlinien und natürlich nutzen wir auch die Möglichkeiten der Europäische Zentralbank“, so Beer.

„In der Diskussion steht außerdem der Recovery-Funds, oder, wie ihn Ursula von der Leyen kürzlich nannte, der Marshall-Plan“, sagt Beer. Dieser Fund soll helfen, die Konjunktur möglichst schnell wieder anzukurbeln und ein Wirtschaftswachstum nach der Krise zu ermöglichen. „Es gibt verschiedene Szenarien, wie eine Wirtschaftskrise verläuft, als L-Form, als U-Form oder als V-Form (siehe Abbildung). Unser Ziel ist Letzteres – so schnell wie möglich wieder hoch. Sprich: heute schon an übermorgen denken“, sagt Beer.

 

Klar ist bislang aber nicht, woher die Gelder dafür kommen sollen und wie viel konkret bereitgestellt wird. Einige sprechen von einer Billion Euro, andere von 0,7 Billionen, wieder andere von 1,5 Billionen. „Ich sehe da eine ähnliche Finanzierung wie beim Kurzarbeitergeld. Es wird auch noch diskutiert, ob es sich um Darlehen handeln soll oder auch um Zuschüsse“, sagt Beer. Sie betont zudem, dass dieser Fund nicht zu verwechseln sei mit Euro-Bonds. Das Parlament habe sich erst am Freitag gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden ausgesprochen.

Wie wird das Geld eingesetzt, wie kommt es zu den Unternehmern?

„Die Gelder sollen zielgerichtet eingesetzt werden, vor Ort und an die jeweilige Situation angepasst“, sagt Beer. Die Gelder gehen über die Wege der Mitgliedsstaaten, als Selbstständiger gibt es im jeweiligen Bundesland und bei der KfW spezielle Ansprechpartner.

Neben den finanziellen Maßnahmen – was wird in Brüssel aktuell noch diskutiert?

Beer appelliert: „Wir tun gut daran, nicht nur über finanzielle Mittel zu sprechen – Geld ist nicht unendlich verfügbar, das muss am Ende auch jemand bezahlen.“ Deshalb reicht ein Paket an Notmaßnahmen nicht aus, es braucht für den Aufschwung weitere Mittel, gerade für den Mittelstand.

Welche Mittel sind das konkret, mit welchen Ansprüchen will das Europäische Parlament aus der Krise kommen?

„Ich habe den Ehrgeiz, dass Europa besser aus der Krise kommt, als es hineingegangen ist. Das heißt: den Anspruch, wieder Vorreiter zu werden, um nachher als ein Hub für Exzellenz erneut in den Wettbewerb mit China, USA oder welcher Region der Welt auch immer zu treten“, sagt Beer. „Der Aufstieg nach dem Abschwung kann uns nur gelingen, wenn wir unseren Rucksack von unnötigem Ballast befreien. Deshalb weg mit zu viel Bürokratie, weg mit zu starker Steuerbelastung für Unternehmen und Bürger, her mit einem attraktiven, wettbewerbsfähigen Standort Europa.“

Dafür setzt sie auf verschiedene Maßnahmen:

  • Bürokratie-Abbau: „Wir haben der Kommission vorgeschlagen, dass nicht nur für eine neue Regelung eine alte abgeschafft werden soll – es müssen zwei raus!“
  • Es braucht einen Test für Mittelständler: Keine Regelung soll in Brüssel beschlossen werden, die nicht von einem Mittelständler umgesetzt werden kann. Was für die großen Player funktioniert, klappt nicht zwangsläufig für die kleinen
  • Eine EU-Steuer ist der falsche Weg. Diejenigen, die jetzt kreativ sein müssen, neue Jobs schaffen und neue Produkte sowie Dienstleistungen anbieten sollen, dürfen nicht mehr belastet werden
  • Europa muss gemeinsam investieren, wo Zukunft unterstützt werden kann: Innovation, Infrastruktur, Forschung, Entwicklung, Bildung
  • Ganz schnell den Binnenmarkt wiederherstellen. Die Krise hat gezeigt: Wenn wir die internen Grenzen hochziehen, dann wird vieles gestoppt. Wir haben Nachholbedarf – etwa bei der Digitalisierung oder der Energie-Union. Daraus ergibt sich …
  • … dass die Konferenz über die Zukunft von Europa nicht verschoben werden darf. Die Krise muss einen Anlass für Fragen darstellen: Was klappt, was nicht? Das gilt insbesondere für Infrastruktur, Innovation, Energie(preise)
  • Im Zuge des Green-Deals gilt es Elemente vorzuziehen, die auch Wachstum generieren und unterstützen könnten. Und andererseits: ganz sensibel darauf zu schauen, wo es auch zu einer zusätzlichen Last kommen könnte

Wenn der Lockdown bis Juli weitergeht ­– rollt eine Pleitewelle auf Deutschland zu?

„Wir müssen jetzt schauen, wie wir Arbeits-, Job- und Gewinnmöglichkeiten schaffen können“, so die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Die Belastungen sind gestiegen, trotz einiger Zuschüsse. Meistens waren es Darlehen, die irgendwann zurückgezahlt werden müssen und die Bilanzen belasten. Falsch wäre, enthusiastisch zu glauben, alles was jetzt ausgefallen ist, wie etwa die Reisen in den Osterferien, würde einfach nachgeholt.

Stichwort Amazon-Effekt. US-Plattformen und Online-Händler erleben gerade einen Aufschwung. Werden europäische Unternehmen unterstützt, um wettbewerbsfähig zu bleiben?

Eine Top-Managerin einer Shoppingmall stellt eine derzeitige Win-Situation für amerikanische Online-Händler fest. Als Immobilienfirma haben die politischen Beschlüsse, wie etwa das Aussetzen der Miete über Monate hinweg, ohnehin erhebliche Einbüßen zufolge. Hinzu kommt: ihre Kunden sind vor allem im Multichannel-Bereich tätig, sie sind online und offline unterwegs. Hat die Politik bereits ein Fahrplan, wie sich dieses künstliche Ungleichgewicht wieder ausgleichen lässt? Konkreter: Möchte die Politik den europäischen Mittelstand auch hier mehr unterstützen?

„Das ist definitiv ein Thema des Wachstumspakts“, so Beer. Wichtig sei es auch, über eine Standortverbesserung zu sprechen, über strukturelle Maßnahmen in der Infrastruktur, im Fachkräftebereich, in der Besteuerung, aber auch über eine Digital-Union und die Energiepreise. Und nicht über die Abschottung von Märkten. Diese Diskussion habe es auch schon vor dem Virus gegeben. „Wir dürfen auch nicht vergessen: Sehr viele Plattformen und Apps aus Europa wurden von Amerikanern aufgekauft und zum Erfolg geführt. Das hat vor allem mit der Standortqualität zu tun. Da wir keinen digitalen Binnenmarkt haben, gibt es in Europa einen sehr fragmentierten Markt. Diese Fragmentierung gilt es zu unterbinden.“

Geschäfte bis zu 800 Quadratmetern dürfen in Deutschland wieder öffnen. Wie kommt diese Größe zu Stande?

„Wir müssen passgenaue Lösungen finden und alle mit den gleichen Parametern, wie etwa Hygiene-Konzepte, arbeiten“, sagt Beer. Nur so seien Regelungen transparent und planbar. Dennoch seien die Öffnungsschritte auch eine lokale Frage, weil die Situationen unterschiedlich sind. Es gibt Gebiete, in denen es keine Infizierten gibt, und andere, in denen viele sind. Und: „Es ist jetzt schon klar, dass wir im Herbst eine zweite Infektionswelle erleben – doch wir können dann unsere Erfahrungen aus der ersten Welle nutzen, um damit anders umzugehen.“

Wie können wir die Wiederbelebung der Wirtschaft mit Klimaschutz verbinden?

Dipl. Ing Adrian Willig ist Geschäftsführer des Instituts für Wärme und Öltechnik, kurz IWO. Auch er möchte mehr auf Nachhaltigkeit setzen und etwa treibhausneutrale Kraftstoffe herstellen. Doch ist das derzeitig überhaupt umsetzbar? „Wir sollten zielorientiert handeln“, betont Beer. Beispiel: Was weniger CO2 enthält, hat Vorteile – was wiederum Anreize setzt. Das zeigt etwa der Emissionszertifikatehandel – Branchen, die am Handel teilnehmen, haben ihre Klimaziele erreicht. „Es wäre sinnvoll, mit solchen Marktinstrumenten Anreize zu setzen“, sagt Beer.

Wenn alles digitalisiert wird – gibt es Maßnahmen über die DSGVO hinaus, um die Kunden-Unternehmen-Beziehung zu unterstützen?

Als Vice President und Managing Director Central Europe beim Softwareanbieter Adobe liegt Christoph Kull das Thema Datenschutz am Herzen. In der Regel gilt: Je mehr Daten Kunden zur Verfügung stellen, desto besser können Unternehmen ihren Service nach deren Bedürfnissen aufbauen. Adobe hat eine Umfrage durchgeführt, wer bei der Regulierung der Kunden-Unternehmens-Beziehung in der Pflicht ist.

Ergebnis: Die Politik sei in der Pflicht. Beer gibt zu bedenken, dass dies nicht nur eine Frage von Daten, sondern auch der Transparenz sei. Wichtig ist, dass Kunden selbst entscheiden können, welche Informationen sie bereitstellen wollen – im vollen Bewusstsein, dass der Service, die Dienstleistung oder das Produkt unterschiedlich ausfällt. „Wenn der Kunde nichts preisgibt, wissen Unternehmen nichts über sie. Wenn er ihnen mehr preisgibt, wissen sie sehr viel. Hauptsache, der Kunde entscheidet“, sagt Beer. „Doch viel Potenzial bleibt aus, da wir die Infrastruktur nicht haben. Deswegen: ganz schnell in die Gigabit-Gesellschaft mit 5G und anderen Technologien, die wir brauchen. Von heute auf morgen haben wir krisenbedingt die blitzschnelle, digitale Wende vollzogen. Das ist stark, dieses Tempo sollten wir jetzt halten und dafür sorgen, diesen Innovationsbooster über die Krise hinaus zu festigen. Auch deshalb setze ich mich auf EU-Ebene für eine starke Digitalunion ein.“

Zudem müsse das Fort- und Ausbildungsangebot ausgebaut werden – viele nutzen Technologie schlicht nicht, weil sie diese nicht verstehen. „Ich möchte aber nicht nur User haben, sondern jene, die diese Technologien entwickeln und verbessern können. Wir brauchen deshalb eine große Ausbildungs,- Fortbildungs,- und Weiterbildungsinitative.“

Schauen Sie sich hier den DUB Business Talk als Video an:

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

 

22.04.2020    Miriam Rönnau
  • Drucken
Zur Startseite