Grafik: Aufwärtstrend wird gehalten
17.06.2020    Madeline Sieland
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  • Dr. Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden, Deutsche Bank,
  • Professor Stefan May, Leiter Anlagemanagement der Quirin Bank, sowie
  • Brigitte Zypries, Bundeswirtschaftsministerin a. D.

… zudem darüber, worauf es bei der Geldanlage jetzt ankommt.

Viele reiben sich derzeit beim Blick auf die Aktienkurse verwundert die Augen: Es geht vielfach steil nach oben. Woran liegt das?

Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege der Deutschen Bank, sieht dafür vor allem vier Gründe:

1. Der Dax hat wenig Korrelation mit der hiesigen Wirtschaft. Das heißt: Da beispielsweise die Umsätze von Volkswagen in China wieder gestiegen sind, wirkt sich das auch auf den Aktienkurs der Wolfsburger aus.

2. Investoren denken, nachdem sie den ersten Corona-Schock überwunden haben, bei Anlageentscheidungen wieder langfristig.

3. Aufgrund der fiskalpolitischen Maßnahmen ist derzeit viel Geld im Umlauf. Für Stephan ist das ein Haupttreiber der aktuellen Börsenrallye. Aktien von manch einem Unternehmen werden auch deshalb gekauft, weil sie derzeit einfach billig seien, so der Anlagestratege. Anleger spekulieren darauf, dass diese Firmen aufgrund der staatlichen Hilfen gerettet werden und wieder durchstarten.

4. Nicht alle Firmen gehen als Verlierer aus der Krise hervor. Amazon, Netflix, Google und andere Tech-Unternehmen zählen zu den großen Gewinnern. Mit Blick auf den Index S&P 500, der die 500 größten börsennotierten Konzerne der USA umfasst, sagt Stephan: „30 Prozent der Unternehmen im Index gehören zum Segment Technologie, knapp 20 Prozent zu Pharma. Diese Werte haben von der Krise profitiert. Da ist es nicht verwunderlich, dass es am Aktienmarkt wieder aufwärtsgeht.“

BigTechs oder Old Economy – auf welche Sparten sollten Anleger aktuell setzen?

„Es gehört zu unserer Anlagephilosophie Kunden zu überzeugen, diversifiziert anzulegen“, sagt Stefan May von der Quirin Bank. Er rät davon ab, im Portfolio einen Schwerpunkt auf bestimmte Segmente oder Länder zu legen. „Wir wollen global in allen Branchen investiert sein.“

Stephan betont ebenfalls, dass Sparer breit diversifiziert, also gestreut, investieren sollten. „Man kann den Markt nicht durch systematische Anlage schlagen.“ Mittelfristig ist es für den Anlagestrategen der Deutschen Bank allerdings durchaus denkbar, Tech-Werte stärker in den Fokus zu nehmen. „Insbesondere Softwareunternehmen setzen inzwischen stark auf Lizenzeinnahmen. Das garantiert einen kontinuierlichen Cashflow. Dadurch sind diese Unternehmen stabiler und weniger konjunkturabhängig“, so Stephan.

Sind Aktien das Nonplusultra oder sollten auch alternative Anlagen in Betracht gezogen werden?

Aktien sind zumindest eine wichtige Basis, sind sich die Experten im DUB Business Talk einig. Insbesondere wer früh mit der privaten Altersvorsorge beginnt, sollte auf einen Aktiensparplan setzen, rät Stephan.

Aber: „Ich denke, in ein wirklich ausgewogenes Portfolio gehört auch anderes, Immobilien etwa“, sagt May. Doch es ist Vorsicht geboten: „Jede Immobilie ist anders; pauschale Aussagen über den Markt zu machen, ist sehr schwer. Auch deshalb empfehlen wir eine Mischung aus Aktien und Anleihen sowie mehr oder weniger illiquiden Anlagen.“

Auch die ehemalige Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries hält Immobilien für eine gute Idee. Sie empfiehlt „jedem jungen Menschen, eine kleine Wohnung zu kaufen, sie zu vermieten und als einen Teil der Altersvorsorge zu nutzen.“

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Ist China auf lange Sicht der ganz große Gewinner der Krise?

Chinas Macht wird zunehmen; der Konflikt zwischen China und den USA weiter schwelen – und Europa steht zwischen beiden Mächten, meinen sämtliche Experten im Call. Aber: „Ich glaube nicht, dass sich Deutschland zwischen China und den USA entscheiden muss“, sagt Zypries. „Es ist Sache von Europa mit beiden vernünftige Beziehungen zu pflegen.“

Und wo sieht die frühere Spitzenpolitikerin, die zu Beginn des Jahrtausends die Rechtsstaatsdialoge mit China leitete, den größten Unterschied zwischen der Volksrepublik und Europa? Die Chinesen haben einen klaren Zukunftsplan, sagt sie. Stephan ergänzt: „Meiner Meinung nach ist Xi Jinping der einzige Leader auf der Welt, der eine echte Vision für sein Land hat. China soll 2049 das mächtigste, industrialisierteste, technisch fortschrittlichste Land sein.“ Doch dies, so Zypries, sei nur eine Seite: „Das heißt natürlich nicht, dass es in China nicht auch Probleme gibt und manches Sorgen bereiten müsste, zum Beispiel was die innere Stabilität des Landes anbelangt.“

Mit Blick eines Investors auf China zeigt sich Quirin-Experte May eher skeptisch: „Die Volksrepublik ist wirtschaftlich ein mächtiger Block. Aber in viele Unternehmen kann man nicht vernünftig investieren. Hinter ihnen steht oftmals die Kommunistische Partei, welche die Unternehmen entsprechend kontrolliert.“ Fairer Handel sei daher oft nicht möglich.

Wie steht es Ende 2020 um die Wirtschaft? Wird es Nachholeffekte geben?

Stephan erwartet eine Erholung ab dem dritten Quartal: „Das machen wir vor allem daran fest, dass Mobilitätsindizes, Frachtraten und Stimmungsindikatoren im Moment wieder steigen. Wir gehen aber nicht davon aus, dass wir das Niveau des Jahres 2019 in 2021 wieder erreichen. Das wird erst später der Fall sein.“

May blickt verhalten optimistisch auf die nächsten Monate. „Wir sind davon überzeugt, dass wir sehr starke Nachholeffekte sehen werden“, sagt er. „Denn wir dürfen eines nicht vergessen: Der Kapitalstock der Volkswirtschaft wurde nicht zerstört. Wir haben die Rezession, wir haben die Krise, weil die Leute weggesperrt wurden.“ Deshalb erwartet er eine steigende Nachfrage, wenn die Lockerungen zunehmen und die Menschen zudem die Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus verlieren. Doch etwas Anderes wird sich an den Aktienmärkten noch bemerkbar machen: „Ich bin überzeugt, dass wir in der Industrie relativ starke Produktivitätsschübe sehen werden.“

17.06.2020    Madeline Sieland
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