Verschwommen Bewegung Blick der Passanten auf der Straße in der Nacht
25.03.2020    Thomas Eilrich
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Gleich zu Beginn seines Beitrags zur Corona-Diskussion, die aktuell die ganze Welt in Atem hält, prägt Horx einen entscheidenden Satz. Er werde derzeit oft gefragt, wann Corona denn „vorbei sein wird”, und alles wieder zur Normalität zurückkehre. Seine Antwort: „Niemals. Es gibt historische Momente, in denen die Zukunft ihre Richtung ändert. Wir nennen sie Bifurkationen. Oder Tiefenkrisen. Diese Zeiten sind jetzt.“

Um sich einer Welt nach dem Virus zu nähern, nutzt der Zukunftsforscher einen Prozess, den er RE-Gnose nennt. Im Gegensatz zur PRO-Gnose wird mit dieser Technik von der Zukunft aus zurück ins Heute geschaut. Denn, wenn wir üblicherweise in die Zukunft schauen, würden wir ja meist nur die Gefahren und Probleme auf uns zukommen sehen. „Eine Angst-Barriere, die uns von der Zukunft trennt“, so Horx. Re-Gnosen hingegen würden unseren inneren Wandel in die Zukunftsrechnung einbeziehen.

Wir haben 13 Szenarien aus Horx‘ Analyse herausgefiltert, die uns aus der Perspektive von Herbst 2020 (einer Welt nach dem Virus) einen Blick zurückwerfen lassen:

1. Laut Horx werden wir im Herbst 2020 darüber wundern, dass die sozialen Verzichte, die wir leisten mussten, selten zu Vereinsamung geführt haben. Im Gegenteil. Nach einer ersten Schockstarre hat die Erkenntnis Einzug gehalten, dass Verzichte nicht unbedingt Verlust bedeuten, sondern sich sogar neue Möglichkeitsräume eröffnen. Die uns auferlegte körperliche Distanz hat neue Nähe kreiert und alte Bindungen gestärkt.

2. Auch die gesellschaftliche Höflichkeit, die wir vorher zunehmend vermissten, hat nach der Krise wieder angezogen. Dies zeigt sich nicht nur, aber auch in der Stimmung bei Fußballspielen.

3. Die Abwehrhaltung gegen den Einsatz digitaler Technik wie Tele- und Videokonferenzen oder E-Learning, die sich in der Praxis bewährt haben, ist aufgegeben worden. Das Homeoffice und die damit verbundene Flexibilität sind für Viele zu einer Selbstverständlichkeit geworden.

4. Auch scheinbar veraltete Kulturtechniken, wie lange Telefonate oder das Beachten von Messages haben eine Renaissance erlebt. Man kommuniziert tatsächlich wieder, es ist eine neue Kultur der Erreichbarkeit und der Verbindlichkeit entstanden.

5. (Gerade junge) Menschen, die vor lauter Hektik bislang quasi nie zur Ruhe gekommen sind, machen plötzlich ausgiebige Spaziergänge oder lesen Bücher – Reality Shows verlieren in der Wahrnehmung rasend an Wert. Out geworden ist Zynismus, die lässige Art, sich die Welt durch Abwertung vom Leibe zu halten. Die Übertreibungs-Angst-Hysterie in den Medien hat sich, nach einem kurzen ersten Ausbruch, in Grenzen gehalten.
Krisen, so Horx im Zwischenfazit „wirken vor allem dadurch, dass sie alte Phänomene auflösen, sie überflüssig machen.“

6. Laut Horx werden wir uns im Herbst 2020 wundern, dass schließlich doch schon im Sommer Medikamente gefunden wurden, welche die Überlebensrate erhöhten. So wurde Corona zu einem Virus, mit dem wir umgehen müssen wie zum Beispiel mit einer Grippe. Medizinischer Fortschritt half. Aber nicht so sehr die Technik, sondern die Veränderung sozialer Verhaltensformen war das Entscheidende. Die human-soziale Intelligenz hat geholfen. Die vielgepriesene Künstliche Intelligenz, die ja bekanntlich alles lösen kann, hat dagegen in Sachen Corona nur begrenzt gewirkt. Nur wenige glauben heute noch an Technologie als Allheilmittel. Der Hype ist vorbei. Wir richten unsere Aufmerksamkeiten wieder mehr auf die humanen Fragen.

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Zur Person

Matthias Horx

ist Publizist und hat 1998 das Zukunftsinstitut mit Sitz in Frankfurt und Wien gegründet.

25.03.2020    Thomas Eilrich
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