Fahrzeugsilhouette eines E-Autos ist angedeutet, im Heck befindet sich eine große Batterie. Blick von schräg oben.
06.04.2021    Christian Buchholz
  • Drucken

Für Hartung Wilstermann privat ist Elektromobilität seit 15 Jahren Alltag – und Passion, wenn er in seinem E-Auto nahezu lautlos und mit enormem Schub binnen Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigen kann. Der Executive Vice President Battery Systems bei Webasto im Gespräch über Energieträger und Antriebe der Zukunft.

Zur Person

Portraitfoto von Dr. Hartung Wilstermann von Webasto, Herr mit dunklen Haaren und Brille

Dr. Hartung Wilstermann

ist beim Automobilzulieferer WEBASTO als Executive Vice President global verantwortlich für den Bereich Batteriesysteme. Zuvor war er 20 Jahre bei Daimler, davon 10 Jahre im Bereich E-Mobilität, tätig

Der ÖPNV wurde in der Coronapandemie zur potenziellen Gefahrenquelle, das eigene Auto zum Ort der Sicherheit. Wird diese Entwicklung auch längerfristig einen Einfluss auf unser Mobilitätsverhalten haben?

Hartung Wilstermann: Die Pandemie wird uns am Ende einige Veränderungen gebracht haben, die bleiben werden. Zum Beispiel bei der Digitalisierung, dem Mobilitätsverhalten, den Arbeitsplätzen. Ich kann aber – offen gestanden – nicht sagen, wo es hingehen wird. Ich brauche diese Prognose für mich aber auch nicht, weil ich eine veränderte Mobilität voraussichtlich ja erleben werde. Mein Credo lautet: Versuche nicht, die Zukunft genau vorherzusagen und dann daran festzuhalten, dass du recht oder unrecht hattest, sondern richte dich nach dem, was die Zukunft dir wirklich zeigt. Ich beschäftige mich beispielsweise seit 15 Jahren mit der Elektromobilität und habe gelernt, dass so ziemlich alles, was vorhergesagt wurde, nicht eingetreten ist. Zumindest nicht zu den Zeitpunkten, zu denen man es vorhergesagt hat.

Sind E-Autos die Lösung für eine neue Mobilität?

Wilstermann: Elektromobilität löst vermutlich das Emissionsproblem, aber nicht das Mobilitätsproblem. Wir werden leider auch mit dem E-Auto noch im Stau stehen. Die Frage der Mobilität wird für mich deshalb erst in der dritten Dimension – in der Luft – entschieden. Und die wird, zumindest auf den urbanen Raum bezogen, mit Flugtaxis und damit elektrisch stattfinden.

Das klingt nach einem interessanten Zukunftsszenario …

Wilstermann: Ich rechne damit, dass wir ab 2024 die ersten Flugtaxis im Einsatz sehen, ab 2025 dann im größeren Maßstab. Und dann wird sich bei der Akzeptanz in der Bevölkerung und mit entsprechenden Gesetzesvorschriften zeigen, wie schnell es dort vorangeht. Ich gehe davon aus, dass die Technologie in den nächsten zwei bis drei Jahren soweit sein wird.

Welche Chancen sehen Sie für andere Energieträger?

Wilstermann: Es gibt auch heute noch Pferde, obwohl es Autos gibt. Und so wird es in Zukunft in bestimmten Anwendungen auch noch Verbrennungsmotoren für fossile Energie geben. Man wird der Einschätzung der Zukunft nicht gerecht, wenn man immer nur über die für uns erlebbare Mobilität redet. Da gibt es noch ein ganz weites Feld, das in der Öffentlichkeit gar nicht wahrgenommen wird, sich quasi unsichtbar entwickelt. Ich sage: Lasst uns davon ausgehen, dass alles seine Daseinsberechtigung haben wird.

Brauchen wir Menschen bei der Wahl der Technologie nicht aber auch Orientierung?

Wilstermann: Ich glaube erstens, dass man mit Hilfe von legislativen und monetären Anreizen die Richtung beeinflussen kann und auch muss. Ein zweiter Aspekt aber ist die Akzeptanz. Die kann ich entweder mit Brachialgewalt durchsetzen oder – und das ist der bessere Weg – die Technologie bietet einen Mehrwert, sodass sie angenommen wird.

Die Reichweite von Elektroautos steht noch immer in der Kritik. Wie weit sind wir heute?

Wilstermann: Reichweitenangst kenne ich heute mit einem E-Auto genauso wenig wie mit einem Wasserstofffahrzeug. Wenn man die Gewohnheiten an die neue Technologie angepasst hat, funktioniert es. Wie bei den Verbrennern auch kommt es natürlich auf das Auto beziehungsweise die eingebaute Batterie an. Wenn ich längere Strecken fahre, entscheidet aber nicht die Reichweite des Tanks, sondern die Ladeinfrastruktur – in den Aspekten Quantität und Qualität. Und die muss man mitaufbauen – nicht nur auf der Autobahn, auch am Arbeitsplatz, beim Einkaufen und zu Hause. Der Vorteil gegenüber Wasserstoff: Der Strom liegt schon an jedem Haus und jeder Laterne.

Warum ist eine intelligente Ladeinfrastruktur nötig?

Wilstermann: Die große Herausforderung beim Aufbau der Ladeinfrastruktur sehe ich im Thema Leistung. Deshalb müssen intelligente Lademanagementsysteme eingeführt werden. Das heißt, dass sich die Autos über intelligente Systeme untereinander abstimmen, wer wo mit welcher Leistung lädt. Die Energie ist da, das ist nicht das Problem. Die Leistung, also die Energie, die ich im Zweifel innerhalb einer kurzen Zeitspanne gleichzeitig zur Verfügung haben muss, ist die eigentliche Herausforderung. Einfach nur dickere Kabel zu verlegen, kann da nicht die Lösung sein.

Die Nachfrage nach Batterien steigt, die Ressourcen werden knapper. Wie können Batterien nachhaltiger produziert werden?

Wilstermann: Darin sehe ich kein unlösbares Problem. Ich sehe zwar Herausforderungen, die wir definitiv adressieren müssen, aber keinen Showstopper. Ich glaube, die Elektromobilität wird in den nächsten zehn Jahren dorthin gelangen, wo ihr Potenzial am Ende auch liegt. Nämlich dorthin, dass eine CO2-neutrale Produktion und Fortbewegung möglich ist. Ob das dann jeder tut? Das entscheiden am Ende wir als Kunden. Sie entscheiden heute ja auch selbst, welchen Stromtarif Sie wählen.

Wird Deutschland zu einem konkurrenzfähigen Standort in der Batterieproduktion?

Wilstermann: Deutschland wird angesichts der zahlreichen Aktivitäten vieler Player aus dem Aus- und Inland sowohl ein zentraler Batterie- als auch ein Zellstandort werden. Die Frage ist eben nur, welches Firmenlogo auf den hiesigen Zell- und Batteriefabriken kleben wird. Aber die Produktion für den lokalen Markt wird hier stattfinden.

Welche Rolle kommt dabei den Zulieferern zu? Sind sie die eigentlichen Innovationstreiber im Automobilsektor oder sind es die Hersteller?

Wilstermann: Aus meiner Sicht ist es eine partnerschaftliche Zusammenarbeit. Wenn man die Batterie nimmt, ist sie allein schon aufgrund ihrer Größe ein elementarer Baustein im Gewichts- und Crashkonzept des Autos. Die Batterie ist die wertigste Einzelkomponente im Fahrzeug. Allein das zeigt, dass die klassische Sicht auf die Zulieferer gar nicht mehr stimmen kann. Hersteller und Zulieferer arbeiten an der Zukunft Hand in Hand. Der Autobauer wählt zum Beispiel die Zellen aus, wir als Batteriehersteller stellen dann dazu das Batteriesystem her. Da lässt sich gar nicht mehr so richtig auflösen, wer für wen der Lieferant und wer der Kunde ist. Es geht deshalb nur gemeinsam. Nur die Summe der Einzelteile ergibt am Ende die Innovation.

Sie sind passionierter Hobbyflieger, welche Innovationen sehen Sie in der Luftfahrt, um mehr Nachhaltigkeit zu erreichen?

Wilstermann: In der allgemeinen Luftfahrt sehe ich derzeit ein Verharren in der Situation, denn durch die Pandemie wurde die Branche hart getroffen. Dort gibt es aktuell ganz andere Sorgen, als Millionen in Innovationen zu stecken. Aber es gab vor der Pandemie interessante Ansätze, wie man zum Beispiel das Verbrennen von Kerosin durch verändertes Groundhandling vermindern kann. Oder wie ein elektrisches Triebwerk den Boost beim Start unterstützen kann. Ich sehe Wasserstoff eher als Thema für die Luftfahrt als den rein batteriebetriebenen Flieger. Ganz anders verhält es sich in der urbanen Luftfahrt – zum Beispiel mit Flugtaxis, wie ich eingangs erwähnt habe.

06.04.2021    Christian Buchholz
  • Drucken
Zur Startseite