Sven Lindig präsentiert das Nurflügel-Flugzeug HORTEN HX-2
03.09.2020    Jana Janßen
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Als Staatsministerin Dorothee Bär 2018 in einem Interview mit dem „heute journal“ von Flugtaxen sprach, schlug ihr große Skepsis entgegen. Was für viele abgehoben klang, war für Sven Lindig aber schon vor zwei Jahren keine Zukunftsmusik mehr. „Mir war früh bewusst, dass die Zukunft der Mobilität in der Luft liegt“, sagt der Chef der LINDIG Gruppe. Das Unternehmen aus der Nähe von Eisenach ist als Vertragshändler für Gabelstapler und Lagertechnik von Linde Material Handling ein Dienstleister für innerbetriebliche Logistikprozesse.

Als einer seiner Kunden aus dem Luftfahrtbereich insolvent ging, brachte ihn das auf die Idee, in den Bereich zu investieren. „In nachhaltiger Luftfahrt steckt großes Potenzial, ein attraktives Geschäfts­modell für unsere Zukunft“, so Lindig. Mit einer unternehmerischen Perspektive will er Deutschland als Technologietreiber in diesem Sektor nach vorn bringen. Über seine Projekte und welche Rolle moderne Führung dabei spielt, sprach er im Interview.

Zur Person

Sven Lindig

ist seit 2001 Gesellschafter der LINDIG Fördertechnik GmbH und führt das Unternehmen seit 2011
in der vierten Generation. Gegründet 1899 als Hufschmiede, hat die in den vergangenen Jahren entstandene Gruppe heute mehr als
500 Mitarbeiter

Sie investieren in die Luftfahrttechnik, in Lufttaxen und Lastendrohnen. Wie reagieren andere, wenn Sie davon erzählen?

Sven Lindig: Wir haben verschiedene Marken im Luftfahrtbereich wie Flight Design und Horten Aircraft. Da ist von Elektro- über Wasserstoff­flieger bis zu Lastendrohnen alles dabei. Viele unserer Technologiepartner teilen die Begeisterung für diese unterschiedlichen Projekte und sehen darin dasselbe Potenzial. Sicher hält mich auch der eine oder andere für verrückt, weil ich als Gabelstaplerhändler solches Neuland betrete. Wenn allerdings Virgin-Gründer Richard Branson den Spruch „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ für bare Münze genommen hätte, würde er wahrscheinlich heute in einem geschlossenen Schallplattenladen sitzen. Darum ist es mir wichtig, in guten Zeiten die Weichen für die Zukunft zu stellen.

Was brauchen Sie, um unternehmerisch in der Luftfahrt wirklich abzuheben?

Lindig: Es würde uns helfen, wenn auch die Politik noch stärker das Potenzial erkennt. Sie geht zwar klei­ne Schritte – beispielsweise mit der Klärung von Luftkorridoren für Drohnen. Aber allein in unserer Region in Thüringen sind in den letzten Jahren über 3.500 Arbeitsplätze im Automobilbereich verloren gegangen, und es werden sicher noch mehr. Jetzt müssen wir als Standort Deutschland nach vorn denken und uns überlegen, ob wir woanders wiedergutmachen können, was wir im Automobilbereich durch den langsamen technologischen Wandel verschlafen haben. Da sehe ich in der Luftfahrt sehr gute Potenziale.

Das dreiachsgesteuerte Leichtflugzeug Fwe

Elektrischer Jungfernflug 2019: Flight Design entwickelt in der Nähe von Eisenach dreiachsgesteuerte Leicht­flugzeuge wie die F2e

In welchen Zeithorizonten denken Sie da?

Lindig: Das ist ganz unterschiedlich. Beim Elektroflieger von Flight Design sind wir letztes Jahr mit einem Jungfernflug gestartet. Bis zur zertifizierten Serienfer­tigung dauert es sicher noch etwas. Aber das hängt auch davon ab, wie schnell es gelingt, die Zulassung zu erhalten. Das Horten Aircraft als Fünfsitzer mit Wasserstoffantrieb in Serie in die Luft zu bringen, erfordert einen größeren Zeithorizont. Dort sprechen wir eher über 2030 als über 2024. Deswegen braucht es da ent­sprechende finanzielle Mittel, auch von weiteren externen Investoren. Die Potenziale sind aber riesig.

Für ein solches Unterfangen brauchen Sie Menschen, die mitmachen, die Sie begeistern. Wie muss die Unternehmensstruktur sein, damit Sie so groß und visionär denken können?

Lindig: Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit moderner Führung und konnte seitdem viel lernen. Führung steht in einem hochkomplexen Umfeld, in dem keiner von sich behaupten kann zu wissen, wie es geht. Man muss Dinge ausprobieren, experimentieren und dafür sichere Räume schaffen. Ich habe zudem angefangen, die Strukturen umzubauen – und zwar vom klassischen Management hin zu primärer Selbst­organisation. Denn mir ist irgendwann klar geworden, dass mit dieser klassischen Pyramiden-Organisation Silos entstehen und Abteilungen quasi voneinander abgetrennt werden. Darum bin ich vor Kurzem auch noch einmal mit Kollegen für drei Tage in eine Waldhütte gefahren. Dort entstand Nähe, alle konnten ihre Maske fallen lassen.

Sie verstehen sich auch als Impulsgeber. Was ist Ihre Führungsmaxime?

Lindig: Da gibt es nicht den einen Satz. Der größte Frustfaktor für Mitarbeiter ist, wenn sie Vorgaben erhalten, die nichts mit ihrer Arbeitsrealität zu tun haben. Gute Führungskräfte sollten stattdessen den Kollegen mehr zutrauen und sie mehr einbinden. Dann muss man sie auch nicht „mitnehmen“ oder „ins Boot holen“. Das sind typische Redewendungen, die für eine Führung von oben sprechen. Das entspricht aller­dings nicht meinem Menschenbild. Ich gehe davon aus, dass jeder, der einen Arbeitsvertrag unterschreibt, eine Grundmotivation hat. Sicherlich gibt es da auch Ausnahmen. Aber ich denke, dass die meisten Menschen etwas Sinnvolles mit der vielen Lebenszeit anstellen wollen, die sie bei der Arbeit verbringen. Ich versuche jedoch auch, den Kollegen vorzuleben, dass Anwesenheit eher ein Indikator für den Energieverbrauch ist: Ob die Lampe im Büro leuchtet, sagt ja nicht viel darüber, ob tatsächlich viel geschafft wird. Es ist manchmal sinnvoller, die Freiräume zu nutzen, die uns das mobile Arbeiten bietet.

03.09.2020    Jana Janßen
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