Luxusuhren werden zusammengebaut
15.06.2019    Arne Gottschalck
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Es fiel der Hammer. Nicht im wörtlichen, sondern im sprachbildlichen Sinne. Dustin Fontaine hatte diese Vision. Die Idee, Uhren im Bauhaus-Stil zu produzieren. Er probierte, testete und startete 2016 mit Sternglas seine eigene Marke. Und dann eben der Hammer: Er musste aus rechtlichen Gründen die Kollektion des Vorjahres ein- und eine neue aus dem Boden stampfen. Wer hat gesagt, das Start-up-Geschäft sei einfach? Trotzdem stellen sich immer mehr dieser Herausforderung. Der Markt ist bereits aufgeteilt? Von wegen.

Zwar gibt es eine ellenlange Reihe renommierter Hersteller jeglicher Preisklasse mit gut laufendem Geschäft. Doch technologische Quantensprünge, mit denen etwa FinTechs die Bankenbranche durchrütteln, machen auch vor der Uhrenindustrie nicht halt. Sie sorgen dafür, dass die Zeit schneller läuft. Zum Beispiel beim Zugang zu Investoren. Früher hieß es, den Bankier in wochenlanger Arbeit zu überzeugen, einen Kredit zu vergeben. Heute bringt das Internet Geldgeber und Geldsucher schnell zusammen. Doch von Anfang an.

„In knapp vier Monaten haben wir unsere Marke (…) überarbeitet und vier neue Modelle präsentiert“
Sternglas Gründer & Geschäftsführer Dustin Fontaine

Der Markt sortiert sich

Weil Computer immer leistungsfähiger werden, -Kunde und Hersteller durch moderne Medien immer näher zusammenrücken, verliert sich auch das Gefühl der Einzigartigkeit mancher Waren und Dienstleistungen – der Konkurrent ist nur einen Mausklick entfernt.

Beispiel Vertrieb: Ähnlich wie bei Reisen oder Versicherungen hat sich eine Reihe von Portalen zwischen Uhrenhersteller, Händler und Endkunden geschoben. Wie mächtig diese Portale sind, belegen auch Zahlen. Wie zum Beispiel 34 Millionen Euro. So viel Geld bekam Chronext von den Venture-Kapitalisten Endeit Capital und Tengelmann Ventures. Solche Summen bewegen die Finanzexperten nur dann, wenn sie sich ihrer Sache ziemlich sicher sind. Und damit rechnen, dass Chronext so etwas wie „the next big thing“ ist. Und das ist in diesem Fall der An- und Verkauf hochwertiger Uhren.

Revolution oder vielleicht doch nur Evolution? Das Label „Disruption“ wird in der eher konservativen Uhrenbranche recht schnell verliehen, findet Sternglas-Gründer Fontaine. „Etablierte Uhrenfirmen beobachten sehr genau, was wir machen.“ Was, das ist zum Beispiel ein anderer Angang in Sachen Finanzierung. Zum Beispiel im Falle Bólido: 2017 wurde die Marke gegründet, die erste Baureihe mit Kickstarter angeschoben. Dafür bekamen die zwei Schweizer Simon Husslein und Pierre Nobs den begehrten Red Dot Design Award 2018 verliehen. Nun läuft die Finanzierung des zweiten Modells. Wichtig für alle Neugründungen: Ohne eigenständige Idee, ohne Anspruch funktioniert es auch heute nicht. Sonst geht die neue Marke, die neue Idee im lauten Ticken des Mainstreams einfach wieder unter.

Ideenmacht statt Marktmacht

Lehmann Präzisionsuhren aus dem Schwarzwald haben augenscheinlich einen Ansatz gefunden. Was qua Herkunft nach Tradition pur klingt, hat nur bedingt diesen Hintergrund. Zwar hatte Markus Lehmann das Haus bereits 1998 von seinem Vater übernommen, doch erst seit 2011 werden die eigenen Uhren gefertigt und vertrieben. Ein Kindheitstraum von der eigenen Uhr, nach Jahren der Erfahrung in der Branche in Schramberg erfüllt. Auch das ist Start-up-Kultur.

Nachhaltigkeit hat man sich bei Styrman & Crew aufs Zifferblatt geschrieben. Genauer: Das Armband besteht aus zertifiziertem Bioleder, die Geschenkbox aus dem Holz balinesischer Fischerboote.

Cronus wiederum, 2017 aus der Taufe gehoben, setzt in erster Linie auf Robustheit. „Die Funktion soll die Form diktieren. Wenig Schnickschnack“, sagt Gründer Juri Schob. Der Kronenschutz etwa? Soll 
vor allem das Werk vor eindringender Feuchtigkeit schützen. Inspiration lieferten die Uhren russischer Kampftaucher.

Das Bauhaus-Design wiederum ist die Währung für Dustin Fontaine von Sternglas. „Social Media, Blog-Artikel und Foren haben dazu beigetragen, dass die Uhr bekannt wurde. Und dank Facebook-Werbung erreiche ich heute meine potenziellen Kunden. Für Besitzer einer Sternglas habe ich sogar eine eigene Gruppe gegründet, in der es regelmäßige Updates und Einblicke in die aktuelle Entwicklung gibt.“

Nutznießer steht fest

Der Direktvertrieb wirkt dagegen schon beinah „old school“. Weil er die Kosten niedrig hält, nutzen etliche Newcomer dennoch diesen Weg. Henri Benett etwa. Wer aufgrund des Namens eine ehrwürdige britische Traditionsmarke vermutet, erliegt dem vermutlich nicht ganz unbeabsichtigten Irrtum. Benett war tatsächlich ein englischer Geschäftsmann, der 1928 eine Europareise antrat und diese zum Grundstein seiner Karriere als Uhrmacher machte. Und die Marke Henri Benett? Sie wurde im vorletzten Jahr gegründet – in Deutschland.

„Marke machen“ war vermutlich noch nie so einfach wie heute. Dank des Internets. Das ist auch ein Grund für die zahlreichen Neugründungen rund um die Uhrenindustrie. Die Großen der Branche müssen dieser Entwicklung jedoch keinesfalls paralysiert gegenüberstehen. Und sie tun es auch nicht. Omega etwa hat 2017 einen Teil seiner „Speedmaster“-Uhren online verkauft. Genauer: via Instragram. Möglich machte das eine Kooperation zwischen dem Uhrenhersteller und dem Blog Fratello Watches. Fotos des Modells wurden auf Instagram gepostet – und per Link auf die Website ließ sich das gute Stück bestellen, eines von 2012 Exemplaren. Und nur jene User wussten Bescheid, die bereits Teil der Speedy-Tuesday-Community waren. Die Uhren waren schnell vergriffen, #SpeedyTuesday sei Dank.

Was bleibt? Unter anderem die Erkenntnis, dass das Smartphone der Armbanduhr keinesfalls den Garaus macht, ganz anders als von so manchem erwartet. Sondern dafür sorgt, dass auch Uhren ihren Weg ins Digitale finden. Im Vertrieb, in der Finanzierung. Beweglichkeit ist nicht die schlechteste Antwort auf diese Herausforderung. Weder für die arrivierten noch für junge Unternehmen.

Zumindest ein Nutznießer dieser Entwicklung steht schon fest. Denn mehr Neugründungen bedeuten auch mehr Auswahl. Für den Uhrenfreund.

15.06.2019    Arne Gottschalck
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