Ein Triebwerk von Bugatti
20.12.2019    Michael Brückner
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Während eines Essens in Tokio sprach Ferdinand Piëch von seinen großen Plänen. Den besten Sportwagen mit dem mächtigsten Motor wollte er bauen. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von rund 400 Stundenkilometern fast halb so schnell wie ein Jet. Ab dem Jahr 2005 konnte man „Piëchs Spielzeug“, wie es manche nannten, bei entsprechender Bonität kaufen – den Bugatti Veyron. Ein Sportwagen der Superlative: 16 Zylinder, vier Turbolader, acht Liter Hubraum, 1.001 PS. Für den damaligen VW-Vorstandsvorsitzenden war die Verwirklichung seines automobilen Traums aber mehr als ein „Spielzeug“. Der Super-Bugatti zeugte von der Kompetenz der Sportwagenschmiede. Und natürlich ging es ums Prestige; den Ingenieuren der High-End-Marke des VW-Konzerns ebenso wie den Käufern, von denen wohl keiner auf deutschen Autobahnen den Veyron jemals ausfahren konnte.

Prestige und Kompetenz

Ähnlich verhält es sich mit dem Tourbillon, jener filigranen Komplikation, die aus einer Luxusuhr ein teures Kunstwerk macht. Der legendäre Uhrmachermeister Abraham Louis Breguet, dem die Haute Horlogerie so manche raffinierte Innovation verdankt, entwickelte das Tourbillon – zu deutsch „Wirbelwind“–, um die Ganggenauigkeit von Taschenuhren zu optimieren. Seit die Uhren ihren Weg aus der Westentasche ans Handgelenk gefunden haben, sind Tourbillons eigentlich überflüssig. Nüchtern betrachtet.

Doch wer bleibt schon nüchtern, wenn es um wahre Meisterwerke der hohen Uhrmacherkunst geht? Für die Luxusmanufakturen in der Schweiz und im sächsischen Glashütte sind Tourbillons das, was Bugatti für den VW-Konzern ist – Prestige und Kompetenznachweis. Wer einen dieser Edelticker möchte, muss in der Regel einen fünfstelligen Betrag zahlen. Oft werden Tourbillon-Uhren mit weiteren aufwendigen Komplikationen ausgestattet. Dann entspricht die erforderliche Investition schon mal der für eine mittlere Eigentumswohnung.

Ultimativer Männerschmuck

Ungeachtet der stolzen Preise grassiert seit Jahren eine Art „Tourbi-Mania“. Gekauft werden die „Wirbelwinde“ nicht nur von chinesischen Multimillionären und russischen Oligarchen. Uhrenkenner entdecken diese Leckerbissen der Haute Horlogerie häufig auch an den Handgelenken mittelständischer Unternehmer und einkommensstarker Freiberufler.

Im Zeitalter der Taschenuhren war das Tourbillon eine echte technische Innovation. Uhrmachermeister Breguet dachte Ende des 18. Jahrhunderts über eine Lösung nach, um die Lageveränderungen und die daraus folgende Gangungenauigkeit einer Taschenuhr zu überlisten. Er erfand den später patentierten Drehkäfig, eben das Tourbillon. In den werden das Ankerrad, der Anker und die Unruh eingebaut. Das Drehgestell wird mit dem Sekundentrieb der Uhr verbunden. Das heißt: Dreht sich das Sekundentrieb, macht das Tourbillon diese Bewegung mit. Das Tourbillon dreht sich einmal pro Minute. Lagen- oder Schwerpunktfehler werden so ausgeglichen. Neben der klassischen Version gibt es unter anderem das bei vielen begehrte „fliegende Tourbillon“.

Ein Uhrenwerk im Detail

Neues Modell: Glashütte Original hat die „Senator Chronometer Tourbillon“ vorgestellt. Sie ist randvoll mit technischen Highlights

Im Gegensatz zu Taschenuhren sind Armbanduhren am Handgelenk ihrer Träger nahezu ständig in Bewegung. Insofern ist das Tourbillon für Armbanduhren aus technischer Sicht eigentlich ein Anachronismus. Aber wer will ein solches Meisterwerk der Uhrmacherkunst, das trotz seiner im Schnitt 70 Einzelteile in der Regel weniger als 0,3 Gramm wiegt, schnöde für überflüssig erklären? Heute wird es zumeist aus Prestigegründen und bisweilen auch als alternative Form der Geldanlage gekauft.

Seit einiger Zeit jedoch scheint sich die Nachfrage nach Tourbillon-Uhren etwas abzuschwächen. Das bestätigt auch Stefan Muser, Inhaber des Auktionshauses Dr. Crott in Mannheim: „Das luxuriöse Prestige verblasst etwas, seit massenweise chinesische Billig-Tourbillons auf den Markt kommen und vor allem über Teleshopping vermarktet werden.“ Auf dem Sekundärmarkt seien jedoch nach wie vor Tourbillon-Uhren mit kleinerem Durchmesser aus den 1980er- und 1990er-Jahren gefragt, so Muser. Auf seiner nächsten Auktion bietet er ein Tourbillon Automatique von Audemars Piguet aus dem Jahr 1986 an. Schätzpreis: 7.000 bis 12.000 Euro.

Doch es geht auch preiswerter, sofern man sich mit Tourbillons aus dem Land der Mitte begnügt. Einer, der von sich sagt, er habe das Tourbillon auch für weniger betuchte Uhrenfreunde erschwinglich gemacht, ist der Münchner Manfred Strohmayer, Chef von Bon-Mercato. Unter verschiedenen Markennamen verkauft er chinesische Tourbillon-Uhren über einen deutschen Teleshopping-Sender – mitunter für unter 1.000 Euro. Das seien „vollwertige Tourbillons“, wenngleich sie hinsichtlich ihres Finishs und ihrer Fertigungspräzision natürlich nicht mit den Edel-Tourbillons aus der Schweiz und Glashütte verglichen werden könnten, sagt Strohmayer. Übertragen auf die Automobilbranche bedeutet diese Aussage wohl: Natürlich ist zum Beispiel ein Dacia ein vollwertiges Auto. Aber eben doch Lichtjahre von einem Bugatti entfernt.

Vom Tourbillon-Bauer zum CEO

Für viele Uhrenfreunde ist es das Höchste, ein Tourbillon zu besitzen, für viele Protagonisten der Uhrenbranche ist es das Höchste, einmal selbst Tourbillons gebaut zu haben. Der gelernte Uhrmacher Matthias Stotz zum Beispiel, der als CEO von Junghans die Schwarzwälder Traditionsmarke aus einer existenzbedrohenden Krise führte, baute 1991 eine Tourbillon als Gesellenstück. Im Angebot hat der Anbieter eine solche Komplikation derzeit aber nicht. Ob er deshalb zumindest aus uhrmacherischer Sicht bei Junghans etwas unterfordert ist? „Keinesfalls“, sagt Stotz. „Die Herausforderung ist eine andere. Ein Tourbillon bauen zu können bedeutet, Technik zu verstehen und diese umzusetzen. Genau das machen wir auch bei Junghans, nur auf einer anderen Ebene.“

Diese Faszination treibt Uhrmachermeister und Konstrukteure bis heute an – ob in den Manufakturen der bekannten großen Marken in Glashütte und in der Schweiz oder aber in den kleinen Ateliers von Idealisten. Die uhrmacherische Raffinesse kennt keine Grenzen. Erst im vergangenen Jahr kam mit der „Octo Finissimo Tourbillon Automatik“ von Bulgari die flachste Uhr mit Tourbillon auf den Markt, Gesamthöhe: nur 3,95 Millimeter. Das Gyrotourbillon von Jaeger-LeCoultre wiederum dreht sich nicht – wie das klassische Tourbillon – nur um eine, sondern gleich um zwei Achsen. Dadurch wird die Bewegung des Tourbillons räumlich wahrgenommen. Von einem „Tanz der Mechanik“ schwärmen Uhrenliebhaber. Bei so viel Innovationskraft in Sachen „Wirbelwind“ – sei es nun in Manufakturen oder bei Großunternehmen – wird der „Tanz der Mechanik“ wohl noch geraume Zeit andauern.

20.12.2019    Michael Brückner
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