Porträt von Jeff Bezos
02.04.2019    Martin Hintze
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Es  war nur eine unauffällige Meldung, die kürzlich über die Ticker lief: „Amazon testet Lieferroboter bei Seattle“. Und doch könnte sie der Vorbote einer weiteren Revolution sein, die zur Angriffstaktik des Konzerns und seines Masterminds Jeff Bezos passen würde wie die Faust aufs Auge. „Scout“ heißt der Roboter. Er sieht aus wie eine himmelblaue Kühlbox auf sechs Rädern und soll Bestellungen genau dann zum Kunden bringen, wenn der zu Hause ist. Und zwar auf die Minute genau.

Neu ist die Technologie nicht. Das Start-up Starship Technologies aus Estland beispielsweise baut schon seit Jahren rollende Paketlieferanten und testet sie unter anderem in den USA und Deutschland. Bei den Esten dürfte die Meldung dennoch für Panik sorgen. Und nicht nur bei ihnen. Verliert jeder Paketbote seinen Job, wenn Amazon seine Roboterarmee losschickt? Mag utopisch klingen. Aber ausgeschlossen ist nichts. Nicht in der Welt von Bezos.

Die Macht des Imperiums

Buchhändler, Logistiker, Cloudanbieter, die Betreiber von Einkaufsmeilen können ein – trauriges – Lied davon singen, wie es ist, wenn Amazon Ernst macht und seine schiere Größe und Finanzkraft ausspielt. Bezos hat aus dem Buchversand ein Imperium geschmiedet, das seinesgleichen sucht und in immer neue Geschäftsbereiche vorstößt. Er hat Amazon zum wertvollsten Unternehmen der Welt – Börsenwert zwischenzeitlich eine Billion Dollar – gemacht. Und er wurde zum reichsten Mann. Laut „Forbes“-Magazin beträgt sein Vermögen knapp 160 Milliarden Dollar – die Scheidung von seiner Frau MacKenzie ist dabei noch nicht berücksichtigt. Zudem entwickelte er sich zum gefürchtetsten Manager des Planeten.

„Was Jeff Bezos tut, ist die bemerkens­werteste Leistung, die ich je gesehen habe.“
Star-Investor Warren Buffet

Wie ist ihm dieser beispiellose Aufstieg gelungen? Was treibt ihn an? Wie geht er vor? Und vor allem: Was können Unternehmer von ihm lernen? Wie groß die Macht Amazons ist, zeigen folgende Zahlen: „44 Prozent der amerikanischen Haushalte haben eine Schusswaffe, und 52 Prozent haben Amazon Prime“, stellte der US-Marketing-Guru Scott Galloway bereits 2017 fest.

Von jedem Dollar, den Amerikaner im Online-Handel ausgeben, kassiert Amazon knapp die Hälfte, schätzt der Datendienstleister Rakuten Intelligence. In Deutschland ist die Dominanz ähnlich, zeigt eine Studie der Universität Sankt Gallen. Andere Schätzungen gehen sogar von einem Marktanteil von bis zu 77 Prozent aus. Der Aktienkurs ist seit dem Börsengang um das 96.500-Fache gestiegen (siehe Grafik in Teil 2). International kann allenfalls die chinesische Plattform Alibaba dem Konzern noch das Wasser reichen. Im Weihnachtsgeschäft 2018 verdiente Amazon so viel Geld wie nie zuvor in einem Quartal.

Wie reagiert Bezos? Kein stolzer Kommentar, keine verbalen Streicheleinheiten. Er setzt andere Prioritäten. „Wenn Freunde mir zu einem erfolgreichen Quartal gratulieren, antworte ich: Danke, daran habe ich vor drei Jahren gearbeitet. Zurzeit beschäftige ich mich mit den Ergebnissen für 2021“, verriet Bezos im September dem „Forbes“-Magazin. Auch sein Führungsteam, das Senior- oder kurz S-Team, arbeitet zwei bis drei Jahre in der Zukunft. In die Untiefen des Tagesgeschäfts lässt sich Bezos nur selten herab. Beschwerde-Mails soll er einfach an seine Mitarbeiter weiterleiten – nur versehen mit einem Fragezeichen. Die Lehre für andere Unternehmer: Das operative Geschäft konsequent an andere delegieren, um an der Zukunft des eigenen Unternehmens zu arbeiten.

„Was ist das Internet?“

Ob er auch bei der Gründung Amazons vor 25 Jahren mit seinen Plänen der Zeit ein paar Jahre voraus war? Fest steht: Einen Masterplan, um das Unternehmen zu dem zu machen, was es heute ist, gab es 1995 nicht. Mit Anfang 30 ging Bezos das wohl größte Wagnis seines Lebens ein. Er – Sohn einer alleinerziehenden Mutter im Teenageralter, bekennender „Star Trek“-Fan und Computer-Nerd – hatte sich mit einem Princeton-Abschluss in der Tasche bis zum Vizepräsidenten einer Investmentbank hochgearbeitet.

Seiner damaligen Frau MacKenzie, die er dort kennengelernt hatte, erzählte er von seiner Idee: einem Online-Buchhandel. „Was ist das Internet?“, soll sie gefragt haben. Doch rasch hatte er sie von Produkt und Kanal überzeugt. Warum ausgerechnet Bücher? Weil es in dieser Branche mehr Produkte gab als in jeder anderen, verriet Bezos bei einem Besuch in Berlin 2018. Mehr als drei Millionen Bücher seien damals auf dem Markt gewesen. Doch selbst die größten Buchhandlungen hatten maximal 150.000 Exemplare auf Lager. Wollte er also das größte Angebot der Welt schaffen, mussten es Bücher sein. Nur so konnte seine Erfolgsformel „Sortiment ist gleich Wachstum“ aufgehen.

Jeff MacKenzie Bezos Ehefrau Scheidung

Im Januar 2019 gaben Jeff und MacKenzie Bezos ihre Scheidung bekannt. Die Vermögensaufteilung: unklar. Zudem liegt Jeff Bezos mit dem US-Klatschblatt „National Enquirer“ im Clinch, das intime Details über eine Affäre veröffentlicht hat (Bildcredits: picture alliance/Jörg Carstensen/dpa).

Diese Gleichung ist Teil des legendären Amazon-Geschäftsmodells „Circle of Growth“, das Bezos einst auf eine Serviette gemalt haben soll. Schnell feiert das Start-up Amazon Erfolge als Nischenanbieter. Doch statt „nur“ der weltgrößte Buchhändler zu sein, legt Bezos erst so richtig los: 1998 erweitert er das Sortiment um CDs und DVDs. Kurze Zeit später folgen Spielzeug, Elektronik, Möbel und vieles mehr. Dabei nutzt Amazon die aus dem Buchhandel bewährten Systeme in der Lagerhaltung oder beim Online-Shop. Aus dem Buchhandel wird „The Everything Store“, das Geschäft für alles.

Zwei strategische Entscheidungen fallen besonders ins Gewicht. Erstens: Bezos setzt von Anfang an konsequent auf die Daten der Amazon-Nutzer – wohlgemerkt seit Mitte der 1990er-Jahre. Sie werden zum Fundament seines Erfolgs. Jeder Klick auf dem Webshop wird verfolgt und fließt in neue Empfehlungen ein, um den Absatz anzukurbeln. Seine Erfahrungen von der Wall Street, als er Algorithmen für die Investmentbank entwickelte, dürften dem brillanten Informatiker sehr nützlich gewesen sein. Während andere Unternehmen allenfalls halbherzig den Kunden zum König ausrufen, fordert er eine „obsessive Kundenorientierung“.  Für ihn steht fest, dass Kunden immer „wunderbar unzufrieden“ sind – auch wenn sie selbst es gar nicht wissen.

„Kein Kunde hat uns jemals gebeten, es zu starten. Doch es stellte sich heraus: Sie wollen es.“
Jeff Bezos über Amazon Prime

Es ist das „Day one“-Mantra, das er gebetsmühlenartig wiederholt. Für sein Unternehmen ist jeder Tag der erste Tag, denn dann strotzt es nur so vor Energie und Tatendrang. Tag zwei dagegen bedeute „Stillstand, gefolgt von Irrelevanz, gefolgt von entsetzlichem, qualvollem Niedergang, gefolgt von Tod“, schrieb Bezos 2017. Den Vorschlag eines Verlegers, nur positive Kundenrezensionen auf der Website zu veröffentlichen, schlägt er in den Wind. „Am Ende helfen negative Kritiken den Herstellern, ihre Produkte weiter zu verbessern“, so Bezos.

Die zweite sehr bemerkenswerte strategische Entscheidung: Die Eröffnung des Amazon-Marktplatzes 2000. Mit diesem Schachzug gelang es ihm, jede noch so winzige Lücke in seinem Sortiment zu schließen, ohne selbst Risiken in Kauf nehmen zu müssen. Das übernahmen andere Händler, die ihre Produkte über Amazon anbieten. Auf die „Amazonierung des Konsums“ folgt die „Amazonierung der Hersteller“, analysiert Eva Stüber vom Institut für Handelsforschung Köln (IFH). So ist Amazon heute nicht nur das größte Online-Kaufhaus der Welt, sondern auch Produktsuchmaschine Nummer eins. Hersteller müssen auf Amazon zu finden sein. „Begegnen Konsumenten auf ihrer Customer-Journey, die auch immer häufiger direkt bei Amazon startet, der Marke nicht, wird sie im Relevant Set auch nicht berücksichtigt“, so Stüber.

 

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