Porträt von Jeff Bezos
02.04.2019    Martin Hintze
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p class="p2">Und ganz nebenbei stellt Bezos mit dem Marktplatz seinen Glauben an die Plattformökonomie unter Beweis. Er macht das Wissen, das er in einem Bereich (Bücher, CDs & Co.) gesammelt hat, anderen Bereichen auch außerhalb des Unternehmens (externe Händler) zugänglich und baut so noch mehr Marktmacht auf. Bezos hat sich also nicht auf seinem Erfolg ausgeruht, sondern das, was gut funktioniert, als Blaupause für andere Geschäftsfelder genutzt – das Gegenteil von Silodenken.

Ein noch eindrucksvolleres Beispiel ist Amazon Web Services (AWS). Schon früh erkennt Bezos die Vorteile von Clouddiensten für Amazon und baut eine riesige Infrastruktur auf. Und nachdem er die Technologie erfolgreich innerhalb des Unternehmens etabliert hat, öffnet er das Angebot. Heute ist AWS Weltmarktführer vor Microsoft und Google. Auf die schier endlosen Serverkapazitäten setzt Netflix genauso wie die NASA oder auch die CIA. Die Sparte wächst rasant, ist hochprofitabel und spült so Milliarden in Amazons Kasse. Von 7,4 Milliarden Dollar Umsatz blieb im vierten Quartal 2018 ein Profit von 2,2 Milliarden Dollar – eine Marge von annähernd 30 Prozent. Ein fast schon astronomischer Wert, verglichen mit der geringen Gewinnspanne im Handel.

Gewinnmaschine Cloud

Mit der Gewinnmaschine Cloud unter der Haube kann Bezos die Drehzahl von Amazon weiter hochschrauben. „Wachstum vor Gewinn“, lautete schon seit Langem seine Devise. In neue Geschäftsbereiche investiert er so lange, bis er dank massiver Größenvorteile Produkte billiger anbieten kann als die Konkurrenz.

Dass es bei diesem Expansionstempo auch Fehltritte gab, leugnet Bezos nicht. Die Fire-Phones beispielsweise lagen wie Blei in den Regalen. „Damals hatten wir keine Erfahrung als Hardwarehersteller“, erklärte Bezos dem „Forbes“-Magazin. Doch trotz interner Kritik hielt er an dem Plan fest, solche Produkte selbst zu fertigen. „Manchmal braucht es eben Zeit, bis man die Früchte ernten kann.“ 2015 zahlt sich seine Geduld aus: Der Amazon Echo, der erste smarte Lautsprecher mit dem Sprachassistenten Alexa, kommt auf den Markt. Ein echter Game-Changer. „In ihrer Rolle als Gatekeeper können Sprachassistenten entscheiden, welches Produkt von welchem Händler bestellt werden soll“, mahnt Stephan Tromp, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland. Schätzungen zufolge nutzte im vergangenen Jahr bereits eine Milliarde Menschen Sprachassistenten, Tendenz stark steigend. Dass Bezos für seine Vision kämpft und nicht beim ersten Rückschlag klein beigibt, hat sich also mehr als bezahlt gemacht.

Die spannende Frage lautet: Wo schlägt Amazon als Nächstes zu? Beim Ziel, den Kunden alles aus einer Hand anzubieten – also der vertikalen Integration –, ist der Konzern weit fortgeschritten, angefangen bei der Bestellung via Sprache (Alexa) über die Lagerhäuser und die Auslieferung (Amazon Logistics) bis hin zur Bezahlung (Amazon Pay). Unter anderem verfügt Bezos über die fünftgrößte Frachtflugzeugflotte. Und spätestens beim Bestellen der Weihnachtsgeschenke dürfte vielen Deutschen aufgefallen sein, dass Amazon die Pakete auch selbst zustellt – obwohl diese Aufgabe bislang noch ein Zulieferer aus Fleisch und Blut und nicht eine Drohne (erster erfolgreicher Testflug Dezember 2016) oder ein Roboter übernimmt.

Doch damit nicht genug. Der Konzern lockt seine Kunden auch zu sich. Genauer gesagt in die Amazon-Go-Shops. 2016 wurde das erste stationäre Geschäft in Seattle eröffnet, bis 2021 sind 3.000 Läden in den USA geplant. Im vergangenen Weihnachtsgeschäft gab es für eine Woche einen Pop-up-Store in Berlin. Das Besondere an den Läden: Sie haben keine Kasse. Kameras und Sensoren erfassen, welche Produkte aus den Regalen genommen werden. Sie landen automatisch in der Kasse der Smartphone-App. Was sich wie Ladendiebstahl anfühlt, zeigt, wozu Amazon im Bereich Künstliche Intelligenz und Internet of Things inzwischen fähig ist. Und es liefert Bezos noch mehr von seinem Lieblingsrohstoff: Daten.

Amazon als Krankenkasse?

Aber auch bei der horizontalen Integration hat Bezos viele heiße Eisen im Feuer: Prime-Kunden können Musik und Videos zu Kampfpreisen streamen. Das Werbegeschäft wird auf Hochtouren ausgebaut, womit Amazon in direkte Konkurrenz zu Google und Facebook tritt. Mitte Februar schluckte der Konzern den WLAN-Spezialisten Eero und macht Ikea mit zwei eigenen Möbelmarken Konkurrenz. Und mit der Übernahme der Online-Apotheke Pillpack im Juni 2018 könnte der Startschuss zum Angriff auf den Gesundheitsmarkt gefallen sein.

Wenige Monate zuvor hatte Amazon bereits mit der größten US-Bank JPMorgan Chase sowie Berkshire Hathaway, der Beteiligungsgesellschaft des Star-Investors Warren Buffett, eine Krankenkasse für Mitarbeiter gegründet. Offiziell nannte Bezos die horrenden Gesundheitskosten in den USA als Grund für die Kooperation. Wer auf die Zwischentöne achtet, kann sehr wohl die Ambitionen des Projekts erahnen. „Unser Ziel ist es, Lösungen zugunsten unserer US-Angestellten, ihrer Familien und – möglicherweise – aller Amerikaner zu finden“, deutete Partner und JPMorgan-Chef Jamie Dimon an.

Vielleicht wird es auch in Deutschland eines Tages die Amazon-Krankenkasse geben. Schließlich ist nichts ausgeschlossen. Nicht in der Welt von Jeff Bezos. Allerdings werden auf beiden Seiten des Atlantiks momentan Verfahren wegen Wettbewerbsmissbrauchs geprüft. Ironie der Geschichte: Am Ende könnte Bezos nur der eigene Erfolg im Weg stehen.

„Viele Unternehmen haben begrenzte Märkte. Wir nicht.“ Jeff Bezos

Was Jeff Bezos inspiriert

Bücher sind Amazons Keimzelle. Sie prägen den Ausnahmeunternehmer nachhaltig und liefern ihm Ideen für neue ­Geschäfte.

  1. Kazuo Ishiguro: The Remains of the Day. Obwohl Bezos-Biograf Brad Stone („The Every­thing Store“, 2014) schreibt, dass sich der Amazon-Gründer mehr von Geschichten als von Sachbüchern inspirieren lasse, ist dies der einzige Roman unter seinen Lieblingsbüchern. Das 1989 veröffentlichte Werk des Literaturnobelpreisträgers handelt von Pflichterfüllung.
  2. Sam Walton: Made in America. In seiner 1992 erschienenen Autobiografie beschreibt der Walmart-Gründer die Prinzipien des Discount-Einzelhandels und die eigenen Werte: Einfachheit und den Drang, vieles auszuprobieren ohne Angst vor Fehlern. Diese Werte hat Bezos in seine Firmenphilosophie integriert. Das Buch ist mehrfach auf Deutsch erschienen.
  3. Nassim Taleb: The Black Swan. Der Bestseller  aus dem Jahr 2008 handelt vom zweifelhaften Wert von Vorhersagen angesichts folgenschwerer Ereignisse, für die es keinerlei Anzeichen gegeben hat – beispielsweise die weltweite Finanzkrise.
Credit: JDB MEDIA/Steffi Georgie

 

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