Ein Portrait von Rober Mayr, welcher sich für die Digitalisierung einsetzt
25.08.2020    Manuel Kunst
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Plötzlich musste die deutsche Arbeitswelt ­digital werden. Ein Mehrwert entsteht in Zeiten der Krise aber nicht nur durch neue Kommunikationswege oder angepasste Businessmodelle. Kaufmännische Daten tragen beispielsweise in kleinen und mittelständischen Unternehmen wesentlich zum geschäftlichen Erfolg bei. Das sagten 95 Prozent der Unternehmen bereits im Jahr 2016 im Rahmen einer Studie der ­Universität Bamberg im Auftrag der DATEV. Robert Mayr, CEO des IT-Dienstleisters, wünscht sich jetzt mehr unternehmerischen Mut in Deutschland und setzt sich aktiv für die Digitalisierung kaufmännischer Abläufe ein.

Zur Person

Dr. Robert Mayr

ist seit 2016 CEO der Genossenschaft DATEV. Mayr ist erst
der dritte Chef in der 50-jährigen Geschichte des Unternehmens

Das Coronavirus beschleunigt die Digitalisierung und verhilft New Work zum Durchbruch – ist das tatsächlich so?

Robert Mayr: Ja, die Erfahrungen der letzten Wochen haben ein Umdenken bewirkt. Wir erlebten die Optimierung und Digitalisierung vor allem bei den kaufmännischen Abläufen und in der Gestaltung der Zusammenarbeit von Unternehmen und Steuerberatungskanz­leien. Notgedrungen beschäftigten sich außerdem viele Organisationen mit New-Work-Konzepten. Dabei haben die meisten mit Homeoffice und flexiblen Arbeitsstrukturen positive Erfahrungen gemacht. Selbst Chefs der „alten Schule“ müssen eingestehen, dass Zusammenarbeit auch ohne direkte Kontrolle vor Ort gut funktionieren kann.

Welche Änderungen gab es bei der DATEV durch Corona? Und wie stellen Sie sicher, dass nicht bald wie- der Business as usual herrscht?

Mayr: Bei DATEV wurde schon vorher mobil gearbeitet. Ab März haben wir kurzfristig über tausend zusätzliche Re­mote-­Berechtigungen ausgestellt. So können rund drei Viertel unserer Belegschaft im Homeoffice arbeiten. Die Zusammenarbeit mit virtuellen Tools wie beispielsweise Videokonferenzen funktioniert hervorragend. In Teilen ist sie nach meiner Einschätzung sogar effizienter geworden – es ist doch ganz praktisch, wenn Wegezeiten zwischen den Meetings entfallen. Ein Zurück zum ­Büroalltag vor Corona wird es bei DATEV definitiv nicht geben, denn im Prinzip haben sich lediglich Entwicklungen beschleunigt, die wir bereits eingeleitet hatten.

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei Ihnen?

Mayr: DATEV ist eine Genossenschaft. Dieses Wirtschaftsmodell hat einen entscheidenden Vorteil: Im Zentrum unseres Handelns steht, durch die Satzung festgelegt, das Wohl unserer Mitglieder und Kunden. Losgelöst vom Druck der unmittelbaren Gewinnmaxi­mierung ist damit nachhaltiges Wirtschaften gewissermaßen Teil der DNA unseres Unternehmens. Auch in einer Ausnahmesituation kann eine starke Gemeinschaft leisten, wozu ein Einzelner nicht in der Lage ist. Das hat sich ganz aktuell wieder gezeigt.

Betriebswirtschaftliche Prozesse will DATEV zunehmend automatisieren. Geben Sie uns einen Ausblick: Welche Prozesse werden künftig unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz erleichtert?

Mayr: Bei den meisten KI-Systemen geht es vor allem um eine praktische Anwendung von Mathematik durch Optimierungsverfahren und Statistik. Muster und Gesetzmäßigkeiten in bereits verarbeiteten Daten sollen erkannt und dann strukturell ähnliche Daten nach den erlernten Kriterien beurteilt werden. Auf dieser Basis lässt sich auch bürokratischer Aufwand verringern. Wir arbeiten beispielsweise an einem selbstlernenden System für die Buchführung. Es ­erkennt, nach welchen Mustern im Regelfall gebucht wird, und wendet diese Systematik auf neue, ähnlich gelagerte Sachverhalte an. Schafft das System die Klassifizierung gut, lassen sich Buchungsvorgänge damit zumindest teilweise automatisieren.

Die Nachfrage nach IT-Lösungen ist während der ­Coronapandemie gestiegen. Sehen Sie Ihr Unternehmen als Krisengewinner?

Mayr: Wir sind bislang wirklich gut durch die Krise gekommen. Wir waren in der Lage, sehr schnell zu reagieren und passende Informationsangebote und Lösungen zu erstellen. Natürlich haben wir vor diesem Hintergrund auch keinen akuten Einbruch unserer geschäftlichen Tätigkeit verzeichnen müssen. Als Krisengewinner würde ich uns aber dennoch nicht betrachten. Angesichts der vielen Unsicherheiten, die mit Corona einhergehen, können auch wir nicht ­abschätzen, wie sich das laufende Geschäftsjahr wei­terentwickelt. Wir mussten beispielsweise Präsenzseminare, Veranstaltungen und Vor-Ort-Berat­ungen aussetzen. Und konjunkturbedingt ist zu erwarten, dass es weniger Lohn- und Gehaltsab­rechnungen geben wird. Diese Entwicklungen werden sich in unseren Umsatzzahlen für dieses Jahr ­niederschlagen.

Steht die staatliche Bürokratie mit ihren langwieri- gen Genehmigungsverfahren der Digitalisierung in Deutschland im Wege?

Mayr: Was das Thema Digitalisierung anbetrifft, sind wir wirklich nicht in der Poleposition. Wenn ich mein Auto ummelden will, muss ich im Jahr 2020 immer noch physisch vor Ort sein. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Man läuft dort oft gegen Wände an, weil noch Skepsis und Berührungsängste bezüglich der digitalen Transformation bestehen. Ich bin beispielsweise selbst ausgebildeter Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Warum nicht diesen Berufsstand mehr in Digitalisierungsprozesse einbinden? Es ist doch nicht die Kernkompetenz eines Mittelständlers, seine kaufmännischen Prozesse abzubilden. Das könnte man einfach an den Steuerberater auslagern. Die kollaborativen Instrumente stehen zur Verfügung. Man muss sie nur nutzen.

Welche Schritte sind noch nötig, damit deutsche Unternehmen die Herausforderungen, welche die Digitalisierung mit sich bringt, bewältigen können?

Mayr: Zum einen brauchen wir eine funktionierende digitale Infrastruktur. Die verfügbaren Internetbandbreiten sind stark verbesserungswürdig, vor allem auf dem Land besteht Nachholbedarf. Zusätzlich fehlt eine Dateninfra- und Datenschutzstruktur auf Grundlage europäischer Standards und Werte. Des Weiteren müssen die Unternehmen in Sachen ­Digitalisierung mehr Offenheit und Mut für Neues entwickeln. Gerade in der Coronazeit ist deutlich geworden, dass die technische Ausstattung nur bedingt weiterhilft, wenn wir nicht grundsätzlich durch­gän­gige ­digitale Prozesse haben. Deshalb sollten die ­Unternehmen ruhig klein anfangen, statt vor der ­vermeintlichen Mammutaufgabe zurückzuschrecken. Ich empfehle für den Start die kaufmännischen Prozesse.

25.08.2020    Manuel Kunst
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