Illustration eines Menschen mit verschwimmenden Kopf
09.12.2020    Miriam Rönnau
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Wir haben es in diesem Jahr alle erlebt: Kollegen, die plötzlich selbst noch um 23 Uhr berufliche E-Mails schreiben. Andere, die via Zoom Einblicke in ihren Familienalltag geben. Und wieder andere, die durch die Umstellung aufs Homeoffice ihren Workload um 50 Prozent steigern konnten – oder aber nach eigenem Empfinden nur noch halb so viel geschafft haben. Seit Beginn der Coronapandemie im März und verstärkt auch wieder seit Herbstbeginn wurde eines immer deutlicher: Das mobile Arbeiten hat wesentlichen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit und die Produktivität von Beschäftigten – und Chefs tun gut daran, dies nicht zu unterschätzen. 

Trotz Homeoffice produktiv und gesund?

Welche Faktoren führen aber dazu, dass Menschen produktiver oder unproduktiver im Homeoffice sind? Warum ist es für Beschäftigte so wichtig, beim mobilen Arbeiten örtliche, zeitliche und kommunikative Grenzen zu setzen? Und was können Unternehmen tun, um die Belegschaft zu unterstützen und sicherzustellen, dass Chefs auch auf Distanz Teams gut führen können?  

Diesen und weiteren Fragen sind die ­BARMER und die Universität St. Gallen in der Studie „social health@work“ nachgegangen, für die rund 8.000 Beschäftigte in Deutschland befragt wurden. Im Fokus stand dabei vor allem eines: die Gesundheit. Neben der körperlichen und mentalen Gesundheit, die in diesem Jahr insbesondere thematisiert werden, gibt es noch eine weitere Dimension, die häufig unbeachtet bleibt: die soziale Gesundheit.

Im Arbeitskontext beschreibt der Begriff einen Zustand des sozialen Wohlbefindens. Personen entwickeln und nutzen gesunde Verhaltensweisen und Arbeitsbeziehungen, um auch das Spannungsverhältnis von Erreichbarkeit und Abgrenzung, Autonomie und Eingebundenheit sowie produktiven und Erholungsphasen erfolgreich und gesund zu gestalten. 

Soziale Gesundheit im Fokus

In einer gemeinsamen Studie analysieren die BARMER und die Universität St. Gallen auf Basis von acht Befragungswellen die Auswirkungen der Digitalisierung auf die soziale Gesundheit im Arbeitskontext. Die erste Welle ist jetzt abgeschlossen.

„Die Studie ‚socialhealth@work‘ zeigt bemerkenswerte Zusammenhänge zwischen den individuellen Fähigkeiten von Beschäftigten, der Führungsqualität und der Organisation eines Unternehmens und der Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten in einer sich rapide verändernden Arbeitswelt“, fasst Professor Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER, die Ergebnisse der ersten Welle zusammen. Diese bildet den Startschuss für die langfristig konzipierte Studie zum Thema soziale Gesundheit im Arbeitskontext. Die Studie begleitet eine repräsentative Auswahl von mehr als 8.000 Beschäftigten in Deutschland über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren. In acht halbjährlichen Befragungen werden die Beschäftigten ihre Eindrücke schildern. Jede zusätzliche Befragungswelle soll das entstehende Bild des Wandels schärfen und die Entwicklungen im Kontext der digitalen und mobilen Arbeit nachvollziehbar machen, um entsprechende Maßnahmen zu entwickeln, die darauf reagieren. „Schon heute können wir sehen, dass große Unterschiede zwischen den einzelnen Beschäftigten, Teams und Unternehmen bestehen, die auf deren Leistungsfähigkeit und Gesundheit einzahlen. Mit jeder weiteren Studie werden diese Erkenntnisse zunehmen“, sagt Professor Stephan A. Böhm von der Universität St. Gallen.


„Mobil und flexibel arbeiten ist nicht entweder gut oder schlecht, schwarz oder weiß. Was zählt, ist, wie wir damit umgehen“, sagt Professor Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER. Die soziale Gesundheit spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle. Denn sie entscheidet darüber, ob sich die Digitalisierung der Arbeitswelt positiv auf das Wohlergehen und die Leistungsfähigkeit der Beschäftigen auswirkt. 

„Die Digitalisierung hat durch Corona in vielen Bereichen einen Schub bekommen — nicht nur im Gesundheitswesen. Und auch die Bereitschaft, sich da­rauf einzulassen, ist gestiegen.“

Zum Themenkomplex mobiles Arbeiten und Führung auf Distanz haben sich zuletzt – auch im Gespräch mit DUB UNTERNEHMER – zahlreiche prominente wie kluge Köpfe aus Wirtschaft, Medien, Sport und Politik geäußert. Die BARMER liefert dazu nun den Studien-Unterbau. Wie es Deutschland mit der plötzlichen Umstellung auf das Homeoffice im Zuge der Coronapandemie ergangen ist, warum einige Beschäftigte die neue Situation besser meistern als andere und worauf Chefs jetzt achten sollten, erklärt Straub auf Basis der Ergebnisse der ersten von acht Studienwellen.

Zur Person

Porträt von Prof. Christoph Straub

Professor Christoph Straub

Seit Sommer
2011 ist Straub Vorstandsvorsitzender der BARMER. Zuvor war der Mediziner Vorstand des Rhön-Klinikums

Was hat Sie an den Studienergebnissen am meisten überrascht?

Christoph Straub: Wie hoch Beschäftigte die Führungskompetenz tatsächlich gewichten, hat mich überrascht. Am meisten gewundert hat mich, wie stark die Arbeitszufriedenheit und die Kündigungsbereitschaft von Beschäftigten mit der Kompetenz von Chefinnen und Chefs zusammenhängt, wie gut sie aus der Ferne führen können. Überraschend waren die Reaktionen der Beschäftigten im Homeoffice aber auch insgesamt. Wer neu ins Homeoffice musste, hatte vielleicht zunächst gemischte Gefühle. Unter dem Strich sind die Erfahrungen der Neulinge und der sogenannten alten Hasen aber ähnlich positiv gewesen. Ein fundamentaler und zügiger Wandel hin zu mehr mobiler Arbeit ist also durchaus machbar. Das geht umso besser, wenn die Führungskräfte diesen Wandel gezielt vorantreiben. Denn das Homeoffice lässt sich aktiv gestalten, und es muss auch aktiv gestaltet werden.

Porträt Hubertus Heil

Hubertus Heil (SPD), Bundesarbeitsminister

„Ein Bäcker kann die Brötchen in der Regel nicht von zu Hause aus backen. Aber wir haben sehr viele Berufe, in denen es möglich ist, zeitweise von zu Hause zu arbeiten.“ Hubertus Heil (SPD), Bundesarbeitsminister

Sie haben mit der Studie zum Themenkomplex soziale Gesundheit Neuland betreten. Es gibt dazu kaum Erfahrungswerte; auch der Begriff ist vielen fremd. Was genau verstehen Sie unter sozialer Gesundheit?

Straub: Wenn man an Gesundheit denkt, kommt einem erst einmal die körperliche oder psychische Gesundheit in den Sinn. Social Health ergänzt den Begriff der Gesundheit um eine dritte Dimension. Vordergründig sind damit die Faktoren gemeint, die sich um soziale Beziehungen drehen. Treten hier Spannungen auf, wirkt sich das auch negativ auf die mentale Gesundheit aus. Und im Arbeitskontext kann das nicht nur Folgen auf das Individuum haben, sondern auch auf die Zusammenarbeit im Team. Es kann sogar die Zufriedenheit innerhalb der Organisation infrage stellen. Reagieren Führungskräfte nicht, kann das im schlimmsten Fall zu einer deutlich geringeren Produktivität führen. Es geht also nicht darum, soziale Gesundheit isoliert zu betrachten, sondern zu zeigen, wie sich die Digitalisierung auf die Einzelne oder den Einzelnen, das Team und die Organisation auswirkt, und entsprechend zu reagieren.

Wie entstand die Idee, eine Studie zu dem Thema zu entwickeln?

Straub: Wir haben mit der Universität St. Gallen vor zwei, drei Jahren mehrere repräsentative bundes­weite Studien dazu durchgeführt, wie sich die zunehmende Digitalisierung auf den privaten und beruflichen Bereich auswirkt. Dabei stellte sich heraus, dass manche Menschen von der Mobilisierung und Flexibilisierung, die die digitalen Medien mitbringen, stark profitieren. Andere hingegen fühlen sich dadurch eher gestresst, gar überlastet. Diesen Ansatz wollten wir fortsetzen und genauer untersuchen. Wir haben eine Panelstudie gestartet, die in acht Wellen über mehrere Jahre etwa 8.000 Berufstätige verfolgt, die repräsentativ nach Alter und Geschlecht zusammengesetzt wurden. Die erste Welle ist nun abgeschlossen.

„Wir sehen gerade: Wir können doch Digitalisierung! Offenbar waren wir vorher nur zu bequem – und haben dadurch die große Technologiewelle verschlafen. Jetzt geht ein Ruck durchs Land, es ist eine große Chance.“

Welches Ziel verfolgen Sie dabei konkret?

Straub: Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist Chance und Risiko zugleich. Corona hat dabei einen Prozess beschleunigt, der in vielen Unternehmen bereits gestartet war. Doch für andere war das mobile, flexi­ble Arbeiten komplettes Neuland. Rund 18 Prozent der Beschäftigten mussten sich neu auf mobile Arbeit einstellen, das Ausmaß an mobilen Arbeitsstunden hat sich landesweit verdoppelt. Im ersten Schritt wollen wir eine Evidenz-Grundlage entwickeln. Es geht uns darum zu lernen, wie einzelne Faktoren zusammenhängen und wie sie aufeinander wirken. Am Ende wollen wir eine Basis schaffen, die uns und unseren Unternehmen hilft, das Thema Gesundheit im Betrieb valide anzugehen. Als Krankenkasse wollen wir dafür entsprechende Angebote bereitstellen.

Welche Unterschiede sehen Sie zwischen den­jenigen, die bereits mobil gearbeitet haben, und jenen, die im Zuge der Coronakrise plötzlich ins Homeoffice mussten?

Straub: Wer schon länger mit den technischen Anforderungen umgehen kann, der kommt der Studie zufolge im Homeoffice deutlich besser zurecht. Diese Menschen leiden unter weniger Schlafproblemen, weniger Stress, sind zufriedener und produktiver. Diejenigen, die sich räumlich, zeitlich und kommunikativ abgrenzen, zeigen ähnliche positive Eigenschaften auf. Wir fassen dies unter dem Begriff Grenzmanagement-Taktiken zusammen. Beschäftigte, die ihre Arbeits- und Pausenzeiten einhalten und diese auch klar an ihr Team und im Unternehmen kommunizieren, sind ebenfalls weniger gestresst, haben weniger Schlafprobleme, sind produktiver und zufriedener. Entscheidend ist, sich einen gesonderten Arbeitsplatz in den eigenen vier Wänden einzurichten. So kann man sich besser vom Familienalltag abgrenzen und Ablenkung besser vermeiden.

Grenzmanagement-Taktiken zeigen Wirkung: Beschäftigte in Deutschland, die (teilweise) mobil arbeiten und ein hoch ausgeprägtes zeitliches Grenzmanagement-Verhalten aufweisen, zeigen 14,4 % weniger Stress, 11,4 % weniger Schlafprobleme, 11,3 und 12,2 % höhere psychische und physische Arbeitsfähigkeit. Weiterhin schätzen sie die Produktivität während Corona (im Vergleich zur Arbeitsleistung vor Corona) um 7,9 % höher ein als mobil Beschäftigte mit einem gering ausgeprägten zeitlichen Grenzmanagement-Verhalten

Doch vielen fällt es sicher schwer, solche Grenz­management-Taktiken zu entwickeln.

Straub: Sicher muss man sich erst einmal an die Situation gewöhnen und ein Setting schaffen. Drei Kinder bei den Hausaufgaben betreuen und nebenher mobil arbeiten funktioniert auf Dauer weder für die Angestellten noch für die Arbeitgeberin oder den Arbeitgeber. Doch neben der individuellen Ebene ist auch hier das Team entscheidend.

Portrait von Julia Jänkel

Julia Jäkel, CEO von Gruner+Jahr

„Mal verbringe ich die Hälfte des Tages im Büro, radel dann nach Hause und bin dann wieder im Mobile Office. Ich picke mir im Moment das Leben so zurecht, wie es mir gerade gefällt.“

Inwiefern?

Straub: Führungskräfte müssen so qualifiziert werden, dass sie auf Distanz führen können. Sie müssen ebenfalls andere Taktiken nutzen, als sie es vor Ort im Büro gewohnt sind. Die Studie zeigt deutlich, dass je besser Führung auf Distanz gelingt, desto niedriger der Stress bei den Teammitgliedern ist. Auf dieser Ebene sollten dann bestimmte Festlegungen wie etwa die Regelung der zeitlichen Abgrenzung und Erreichbarkeit getroffen werden. Teams, die auf Distanz gut geführt werden, haben eine starke Identität, ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Und das, obwohl nicht immer alle im Büro anwesend sind. Teams, deren Führungskräfte unerfahren und ungeschult in puncto Fernführung sind, halten weniger zusammen und stellen somit ein Risiko dar, im ersten Schritt in Bezug auf das Team, im zweiten für das gesamte Unternehmen. Denn dann droht der Verlust qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein Ergebnis der Studie ist, dass mobil Beschäftigte, die sich ihrem Team zugehörig fühlen, eine zu 50 Prozent geringere Kündigungsabsicht haben.

Beschäftigte in Deutschland, die (teilweise) mobil arbeiten und bei ihrer direkten Führungskraft eine hohe virtuelle Führungsfähigkeit wahrnehmen, schätzen ihre Produktivität während der mobilen Arbeit (im Vergleich zur Produktivität im Büro) um 10 % höher ein als mobil Beschäftigte, die eine gering ausgeprägte virtuelle Führungsfähigkeit bei ihrer direkten Führungskraft wahrnehmen. Auch in Bezug auf die Arbeitszufriedenheit, Kündigungsabsicht oder das Level an Stress zeigen sich deutlich bessere Werte. Dies unterstreicht die Relevanz von virtuellen Führungsfähigkeiten in der Arbeitswelt 4.0.

Beschäftigte, die teilweise mobil arbeiten und bei ihrer direkten Führungskraft eine hohe virtuelle Führungsfähigkeit wahrnehmen, schätzen ihre Produktivität während der mobilen Arbeit um zehn Prozent höher ein als mobil Beschäftigte, die eine gering ausgeprägte virtuelle Führungsfähigkeit wahrnehmen. Wie ist Ihre Einschätzung: Haben Deutschlands Führungskräfte bei Remote-Leadership Verbesserungsbedarf?

Straub: Die digitale Kompetenz von Führungskräften wird in allen Bereichen des Arbeitslebens immer wichtiger. Führen auf Distanz wird zunehmend Normalität. Dabei ändern sich die Kommunikationswege. Ich denke, dass es ältere Führungskräfte mit diesem Wandel etwas schwerer haben könnten als Neueinsteigerinnen und Neueinsteiger. Fragen, mit denen sich Führungskräfte ganz generell beschäftigen sollten, sind etwa: Wie sollen auf Distanz Ziele vereinbart werden? Wie lässt sich die Leistung messen? Wer kümmert sich um Teambuilding-Maßnahmen und organisiert soziale Kontakte? Zudem sollte auch die Homeoffice-Regelung gut organisiert werden. Wir wissen, dass reines Homeoffice immer weniger favorisiert wird. Was sich eher durchsetzt, ist das Modell der alternierenden Telearbeit, also eine Mischung aus teilweise mobil und flexibel, teilweise im Büro. Die Herausforderung ist, unter diesen Bedingungen stabile, produktive Teams zu führen. Daneben gibt es noch einen anderen Aspekt. Studien zeigen, dass die Zahl an weiblichen Führungskräften wieder zurückgeht. Gleichzeitig tendieren Frauen eher zur alternierenden Telearbeit und setzen vermehrt auf Homeoffice. Möglicherweise werden eher diejenigen als Führungskraft in Betracht gezogen, die vor Ort sind und mit den Chefs im persönlichen Kontakt stehen. Das wäre aber unklug. Kein Unternehmen kann es sich heute leisten, auf qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch in der Führung zu verzichten, nur weil sie verstärkt im Homeoffice arbeiten.

Es gibt das Sprichwort „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Würden Sie also sagen, das gilt auch für Karrierechancen? Wer nicht im Büro präsent ist, wird bei der nächsten Beförderung also einfach vergessen?

Straub: Das ist genau der Punkt: Unternehmen müssen sicherstellen, dass auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die häufiger nicht im Büro sind und mehr Telearbeit machen, die gleichen Chancen haben. Das gilt nicht nur in Bezug auf das Geschlecht, sondern ganz allgemein. Organisationen müssen sich hier anders strukturieren als in der Vergangenheit.

Stichwort Geschlechterunterschiede. Ihre Studie zeigt: Rund 75 Prozent der Männer, aber nur 56 Prozent der Frauen sind bei den wichtigsten neuen Technologien auf dem Laufenden. Wie erklären Sie das?

Straub: Eine Erklärung könnte sein, dass Frauen und Männer noch immer häufig in unterschiedlichen Branchen arbeiten. Männer eher in technikaffinen, Frauen in sozialen Berufen, in denen diese Technologien nicht so verbreitet sind. Generell sollten Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber eine Basis für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Umgang mit neuen Technologien schaffen, damit alle gleichermaßen mobil und flexibel arbeiten können. Im Ringen um Talente werden wir auch gar nicht darum herumkommen. Die Rekrutierung qualifizierten Personals wird für alle Unternehmen immer wichtiger. Es ist auch im Interesse der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers, jeden im Umgang mit modernen Technolo­gien zu schulen.

Blicken wir auf die technische Kompetenz. Wie ist Deutschland im internationalen Vergleich aufgestellt?

Straub: Wenn es um Digitalisierung geht, ist die Bundesrepublik sicher noch nicht perfekt aufgestellt. Doch wir haben einen sehr hohen Technisierungsgrad. Es gibt wohl kaum jemanden in Deutschland, der kein Smartphone hat. Ich glaube, wir haben mehr Smartphone-Verträge als Einwohnerinnen und Einwohner. Auch in Sachen Tablets und Notebooks haben wir eine hohe Verbreitung in der Bevölkerung.  

Sind wir durch Corona jetzt in der neuen Arbeitswelt angekommen?

Straub: Ich vermute, ein wirkliches Ankommen gibt es nicht. Die Arbeitsmittel und Arbeitsformen entwickeln sich zu schnell weiter. Niemand kann sagen, wie wir in zehn Jahren arbeiten werden und welche Aufgaben dann noch von Menschen übernommen werden und welche eher von KI-basierten Algorithmen. Wir wissen, dass die Coronakrise eine Entwicklung massiv beschleunigt, die schon stattgefunden hat. Insgesamt sind wir auf einem guten Weg. Allerdings stehen wir erst am Anfang.

„Digitalisierung wird ja immer ganz gern für eine neue Art der Isolation verantwortlich gemacht. Es heißt, alles wird fremder, es gibt weniger Miteinander. Das glaube ich gar nicht. Ich bin der Überzeugung, dass wir viel mehr den Austausch suchen.“

Was sollten wir auf diesem langen Weg im Hinblick auf soziale Gesundheit berücksichtigen?

Straub: Zunächst sollten sich Unternehmen im Klaren sein, wie sich die Digitalisierung auf die einzelne Person, das Team und die gesamte Organisation auswirkt. Und dann gilt es, individuell zu schauen, wo das eigene Unternehmen bereits steht. Welche Kompetenzen muss die oder der Einzelne noch entwickeln, aber auch das Team? Wie gelingt die Führung auf Distanz schon? In welchem Rahmen sollen Entscheidungen getroffen werden? Gibt es bereits ein Umfeld, das ein gesundes und produktives mobiles, flexibles Arbeiten ermöglicht? Gerade in der Coronakrise sehen wir, dass Homeoffice bei vielen zur Vereinsamung führen kann. Hier müssen auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber entgegenwirken. Ein anderer Punkt ist, dass das mobile Arbeiten zur Selbstausbeutung führen kann, was ebenfalls verhindert werden muss. Führungskräfte müssen prüfen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht täglich um 23 Uhr noch E-Mails schreiben. 

„Ich habe all meine Mitarbeiter konsequent ins Homeoffice geschickt. Was wir dabei gemerkt haben: Die Digitalisierung kann den persön­lichen Kontakt mit Menschen noch nicht ersetzen. Aber vielleicht kann man sich irgendwann als Hologramm zu Konferenzen treffen und sich dann zumindest dreidimensional sehen.“

Wie unterstützen Sie bei der BARMER Ihre Mitarbeiter im Hinblick auf soziale Gesundheit?

Straub: Seit Jahresbeginn führen wir Pilotprojekte durch, mit denen wir alternierende Telearbeit in unseren Einheiten testen. Ziel ist, daraus ein Arbeitsmodell für die Zukunft zu entwickeln. Wir bieten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Führungskräften einerseits technische Schulungen an und andererseits auch Dinge wie Achtsamkeitstrainings. Themen wie Führung auf Distanz, Teambildung auf Distanz, Leistungsbewertung auf Distanz, Karriere, Förderung auf Distanz, Qualifikation auf Distanz und Blended Learning werden künftig immer wichtiger und sollten entsprechend früh angegangen werden. Wir können hier auch auf Inhalte zurückgreifen, die wir bereits im innerbetrieblichen Gesundheitsmanagement entwickelt haben.

09.12.2020    Miriam Rönnau
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