Stefan Oschmann Merck
08.12.2020    Karina Engelking
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Europas Innovationskraft bündeln und Venture-Capital-Geber stärken – das müsse jetzt klar im Fokus stehen. Denn sonst drohe in vielen Bereichen eine zunehmende Abhängigkeit von den USA und von China, mahnt Stefan Oschmann, Vorsitzender der Geschäftsleitung des Wissenschafts- und Technologieunternehmens Merck. Das mehrheitlich im Familienbesitz stehende Unternehmen mit über 350-jähriger Geschichte setzt auf Innovationen in den Bereichen Healthcare, Life-Sciences und Performance-Materials. Am Kapitalmarkt derzeit höher bewertet als BASF und Bayer, trägt das Unternehmen auf vielfältige Weise zum Kampf gegen die Covid-19-Pandemie bei. Wie Merck während der Krise hilft und welche Themen sowie Technologien mit Blick auf die Zukunft besonders relevant sind – darüber spricht Oschmann mit DUB UNTERNEHMER-Herausgeberin Brigitte Zypries.

Zur Person

Stefan Oschmann

Der promovierte Veterinärmediziner startete seine Karriere bei einer Behörde der Vereinten Nationen. Ehe er 2016 die Geschäftsleitung bei Merck übernahm, war er für das US-Pharmaunternehmen MSD und den Verband der Chemischen Industrie tätig

Zur Person

Brigitte Zypries

Brigitte Zypries

Die ehemalige Bundesjustiz- und -wirtschaftsministerin ist Herausgeberin des DUB UNTERNEHMER-Magazins

Merck ist derzeit in etwa 50 verschiedene Impfstoffprojekte involviert. Inwieweit kooperieren Sie mit anderen forschenden Unternehmen?

Stefan Oschmann: Wir unterstützen die Forschung an mehreren Medikamenten und haben zudem eine Allianz zur Erforschung von Antikörpern gegründet. Unser größtes Geschäft hier sind aber Life-Science-Tools. Wir stellen alles bereit, was Labore, Biotech- und Impfstofffirmen zur Produktion benötigen. Hier sind wir Technologiepartner vieler Unternehmen.

Wo stehen wir aktuell bei der Entwicklung eines Covid-19-Impfstoffs?

Oschmann: Erst kürzlich haben wir Daten eines Impfstoffprojekts gesehen, die große Hoffnung machen. Aber nur Daten zu haben reicht ja noch nicht, um sofort die ganze Welt zu impfen. Der Fokus sollte zunächst einmal auf Hochrisikogruppen liegen. Man darf auch nicht vergessen, die Produktionsdauer mit einzurechnen. Ich bin allerdings vorsichtig optimistisch, dass wir einen ausreichend sicheren und wirksamen Impfstoff in einem überschaubaren Zeitraum haben werden.

Kann man Pandemien eigentlich anders, frühzeitiger in den Griff bekommen?

Oschmann: Ein Virus ist fast wie eine militärische Bedrohung – und diese Gefahr muss sich auch in den Investitionen in Pandemieprävention und -bekämpfung widerspiegeln. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz diskutieren wir das Thema bereits seit einigen Jahren intensiv, und es ist klar, was getan werden muss. Es wird wesentlich darauf ankommen, die WHO zu stärken. Denn ohne globale Zusammenarbeit geht es nicht. In Europa müssen wir sehr schnell sehr flexibel neue Technologien entwickeln können. Und das heißt, wir müssen selbstständiger werden, ohne uns dabei abzuschotten. In Europa ist es auch geostrategisch wichtig, ein Ökosystem zu fördern, in dem aus großartiger Forschung neue Firmen und Industrien entstehen. Sonst sind wir zu abhängig von den USA und von China. Die Rahmenbedingungen für Venture-Capital zu verbessern wäre ein Anfang.

Können Elemente von New Work, beispielsweise flachere Hie­rarchien und divers aufgestellte Teams, Unternehmen dabei helfen, innovativer zu sein, bessere Ergebnisse zu erzielen? Das käme dann ja auch wieder dem Wirtschaftsstandort insgesamt zugute.

Oschmann: Bei Merck haben wir schon vor acht Jahren ein flexibles und mobiles Arbeitsmodell eingeführt. Wir waren also sehr gut vorbereitet, als es im Frühjahr zum Lockdown kam. Und was verändert sich jetzt im Zuge der Coronakrise? Digitale Kommunikation ersetzt Reisen und macht den schnellen, effektiven Kontakt mit vielen Menschen möglich. Sogar in der Forschung kann man immer mehr remote, also aus der Ferne, erledigen, zum Beispiel Arbeit mit Daten. Zudem sind immer mehr Instrumente robotisiert. Ich bin überzeugt: Solche Veränderungen werden alle Bereiche unserer Arbeitswelt betreffen.

Im Mai 2021 wird Belén Garijo Ihre Position über­nehmen und damit aktuell die einzige Frau an der Spitze eines Dax-Unternehmens sein. Gibt es bei Merck darüber hinaus weitere Anstrengungen, Diversität zu fördern?

Oschmann: Offenheit und Diversität tragen zum Geschäftserfolg bei. Ich weiß, wie wichtig es ist, da konsequent zu sein. Denn ich war in einem anderen Unternehmen mal das einzige Vorstandsmitglied, das je im Ausland gelebt oder gearbeitet hat. Bei Merck haben wir eine ganz konkrete Agenda und insbesondere beim Thema Frauen in Führungspositionen erhebliche Fortschritte gemacht. Ende September betrug der Anteil weiblicher Führungskräfte knapp 35 Prozent. Aber es ist noch viel zu tun. Denn Vielfalt hat jede Menge Dimensionen, auf die es ankommt, und Inklusion ist ein entscheidender Erfolgsfaktor für Unternehmen.

Auch im digitalen Bereich befassen Sie sich mit vielen Themen ...

Oschmann: Im Rahmen unseres „Accelerator“-Programms in Darmstadt arbeiten wir mit Start-ups, Risikokapitalgebern, akademischen Zentren und der Industrie zusammen. Drei weitere Zentren im Silicon Valley, in Schanghai und in Guangzhou befassen sich mit Themen wie Quantum Computing, Biomedizin, Künstlicher Intelligenz und sogar Clean Meat, also biotechnologisch hergestelltem Fleisch. Manche sagen, der Kauf des Forschungsmaterialherstellers Sigma-Aldrich habe uns zum „Amazon der Wissenschaft“ gemacht. Und gemeinsam mit dem Softwareanbieter Palantir haben wir die Partnerschaft „Syntropy“ auf den Weg gebracht. Unser Ziel ist es, Forschern Analysetechniken zur Verfügung zu stellen, damit sie ihre Daten aus unterschiedlichen Quellen aggregieren, analysieren und dann auch teilen können. Wir können so die ganze Kraft biomedizinischer Daten nutzen, die Forschung erheblich beschleunigen und die Krebsmedizin als solche revo­lutionieren.

08.12.2020    Karina Engelking
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