Grafik: Mutter und Business-Frau
22.07.2020    Kim Philipp Jess
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Nicht allen hilft die neue „Nationale Gleichstellungsstrategie“ von Familienministerin Franziska Giffey gleichermaßen. Denn die Vorständinnen in deutschen Aktiengesellschaften haben weiterhin ein Problem: Es gibt für sie keinen gesetzlich geregelten Mutterschutz. In den Fokus rückte dieses Thema, als Delia Lachance, Mitgründerin des Shopping-Clubs Westwings, wegen ihrer Schwangerschaft ihr Vorstandsmandat im Frühjahr abgeben musste.

Der Fall „Delia Lachance“

Lachance hat Westwing zum Erfolg geführt. Als Redakteurin bei der Elle entdeckte die Münchnerin eine Marktlücke im Bereich Interior-Design und gründete 2011 gemeinsam mit Stefan Smalla, Tim Schäfer, Matthias Siepe und Georg Biersack den Shopping-Club. Das Geschäftsmodell trägt sichtbar die Handschrift von Lachance. Es ist kein traditioneller Onlineshop, wo Produkte verglichen, gefiltert, sortiert, bewertet und gekauft werden können. Das Shoppingerlebnis erinnert viel mehr an das Lesen einer Home-Story.

2018 geht das Unternehmen an die Börse und kann ein starkes Markenprofil aufbauen. Der Celebrity-Status von Lachance spielt dabei eine große Rolle. Die Aufnahmen ihrer Hochzeit finden sich in der Vogue, die Social-Media-Präsenz von Lachance spiegelt ihre Leidenschaft für Designthemen wieder.

Erst kürzlich ist sie Mutter geworden. Und was auf Instagram so aussieht als ob es einen eleganten Weg gibt, Familie und Karriere zu vereinbaren, verhüllt die Ungerechtigkeit im deutschen Aktienrecht. Denn die Erkenntnis ist bitter, als Lachance aufgrund ihrer Schwangerschaft das Vorstandsmandat in dem börsennotierten Unternehmen aufgeben muss.

Es sind Haftungsgründe, die Mandatsträgerinnen das Recht auf Mutterschutz verwehren. Offenbar sind an der Spitze einer Aktiengesellschaft Familie und Karriere unvereinbar. Zwar erkennt man bei Westwing, wie unentbehrlich Lachance für die Marke ist und sichert ihre Funktion als Chief Creative Officer. Der Gesetzgeber wird seiner gesellschaftlichen Verantwortung bisher allerdings nicht gerecht.

Die Initiative #stayonboard

Als Westwing die Veränderungen im Vorstand kommuniziert und dies mit dem deutschen Aktienrecht begründet, wird die Gesetzeslücke plötzlich sichtbar. Daraufhin stellt Verena Pausder, Aufsichtsrätin bei der comdirect Bank, mit weiteren Mitstreitern die Initiative #stayonboard auf die Beine und setzt sich für eine Änderung dieser Rechtslage ein.

Aktuell zwingen Mutterschutz, Elternzeit, längerfristige Krankheiten oder auch die Pflege von Angehörigen dazu ein Vorstandsmandat aufzugeben. Das Problem betrifft also nicht nur Frauen. Denn nach aktuellem Recht gibt es für Vorstandsmitglieder keine Möglichkeit ihre Pflichten temporär ruhen zu lassen. Vorstände sind auf interne Regelungen und die Gunst von Gremien angewiesen.

Die Initiative von Pausder findet nicht nur bei weiblichen Führungskräften, sondern allgemein großen Zuspruch. Neuester Unterstützer ist der ehemalige Daimler-Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche: „Wenn eine junge Frau als Vorstand einer AG heute praktisch gezwungen wird ihren Beruf aufzugeben, wenn sie eine Familie gründen will, dann ist das inakzeptabel.“

Und jetzt?

Auch politische Entscheidungsträger erkennen die Ungleichheit. So sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil beim Gründerfrühstück des Digitalverbands Bitkom Ende Juni: „Das Ziel finde ich richtig. Die rechtliche Umsetzung muss ich mit dem Justizministerium besprechen.“ Ein Etappensieg für #stayonboard und das vorbildliche Engagement für mehr Menschlichkeit in den Chefetagen.

Traditionell werden während der parlamentarischen Sommerpause die Gesetzesentwürfe für den Herbst vorbereitet. So bleibt es spannend zu beobachten inwiefern sich die Vorschläge von #stayonboard wiederfinden. Mit juristischer Expertise der Initiatoren ist bereits ein Eckpunktepapier entstanden, welches Mandatsträgern das Pausieren ermöglichen könnte. Der gesellschaftsrechtliche Vorschlag beinhaltet unter anderem eine Haftungsvermeidung während des Ruhens, das automatische Wiederaufleben des Mandats und eine klare Abgrenzung von Arbeitnehmerrechten.

22.07.2020    Kim Philipp Jess
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