Illustration von Frauen unterschiedlichen Alters die sich gegenüber stehen
19.11.2020    Miriam Rönnau
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Eine gute Nachricht: Die Unternehmen fahren ihre Entlassungspläne zurück. Laut einer aktuellen ifo-Umfrage ist das Beschäftigungsbarometer im Oktober gegenüber zum Vormonat erneut leicht gestiegen. Dennoch, und so lautet die schlechte Nachricht, wollen viele Firmen mehr Mitarbeiter entlassen als einstellen. Der Grund: Die Chefs sehen sich aufgrund der Coronakrise gezwungen, Personal abzubauen, Innovationsprojekte abzubrechen und Rekrutierungen zu stoppen.

Doch um wettbewerbsfähig zu bleiben, sind qualifizierte Fachkräfte nötig. Was tun? Das Jobportal WisR bietet eine Plattform für Ruheständler, die zurück ins Berufsleben finden möchten. „Mit jedem Experten verlieren Arbeitgeber einmalig bis zu 5.000 Euro für das Recruiting eines neuen Mitarbeiters. Zusätzliche 5.000 Euro jährlich fallen für den Effizienz-Verlust an. Bei 100 Mitarbeitern macht das bereits 500.000 Euro an Wissens- und Produktivitätsverlust pro Jahr,“ erklärt WisR-Gründerin Klaudia Bachinger. Sie erklärt, warum es sich lohnt, im War for Talents auch auf Senior Talents zu setzen.

Zur Person

Porträt von Klaudia Bachinger

Klaudia Bachinger

ist Gründerin und CEO von WisR, einem österreichischen Start-up, das mit seiner Online-Jobvermittlungsplattform für ältere Menschen aktiv Generationen zusammenbringt und sich für gemeinsame Wertschöpfung einsetzt

Mit dem Jobportal WisR haben Sie eine Plattform aufgebaut, über die Rentner zurück ins Berufsleben finden. Wie kamen Sie darauf?

Klaudia Bachinger: Ursprünglich kam mir die Idee, als meine Oma mit 60 in Rente ging. Von einem Tag auf den anderen wird ein Mensch aus seinem Berufsalltag gerissen. Das ist ein großer Einschnitt – nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für die Unternehmen, für die sie teils jahrzehntelang gearbeitet haben. Mit WisR wollten wir eine Möglichkeit schaffen, Menschen im Ruhestand, die weiterhin gern am Berufsleben teilhaben möchten, wieder in die Arbeitswelt zu integrieren. Im gleichen Schritt bieten wir damit eine Lösung für den Engpass an qualifizierten Arbeitskräften in vielen Branchen und den Verlust langjährigen Expertenwissens.

Geht es bei der Jobvermittlung nur darum, dass erfahrene Menschen ihre Expertise in Unternehmen einbringen oder eignet sich WisR auch für Quereinsteiger?

Bachinger: Beides ist möglich. Uns ist primär daran gelegen, Unternehmen wieder mit ihren ehemaligen Mitarbeitern in Kontakt zu bringen. Das hat zum einen den Vorteil, dass den Ruheständlern das Arbeitsumfeld bereits vertraut ist. Zum anderen schätzen die Unternehmen deren Expertise und wissen um die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. Nichtsdestotrotz unterstützen wir aber auch Menschen, die sich beruflich noch einmal neu orientieren möchten. So haben wir etwa auch Mitglieder, die zuvor einer Schreibtischtätigkeit nachgegangen und nun in Teilzeit- oder Saisonarbeit als Dienstleister im Einzelhandel oder Gastgewerbe tätig sind.

Welchen Mehrwert ergibt sich für Rentner, zurück ins Berufsleben zu gehen? Und welchen für Unternehmen, offene Stellen mit Senior Talents zu besetzen?

Bachinger: Für viele Menschen bedeutet die Pensionierung mit einem Mal ohne Aufgabe dazustehen. Hinzu kommt, dass die täglichen zwischenmenschlichen Kontakte, die sie aufgrund ihres Berufsalltag automatisch hatten, plötzlich wegfallen. Häufige Folgen sind soziale Isolation und Identitätsverlust, oftmals begleitet von Depressionen. Unternehmen gehen mit dem Weggang ihrer langjährigen Mitarbeiter wertvolles Know-how und Expertenwissen verloren, dass sich jüngere Generationen erst noch aneignen müssen. Hinzu kommt der Fachkräftemangel und die wachsende Herausforderung, freie Stellen mit erfahrenem Personal zu besetzen.

Erst startete WisR in Österreich, seit 2019 sind Sie auch in Deutschland online. Welche Unterschiede stellen Sie zwischen beiden Ländern in Bezug auf Ihr Geschäftsmodell fest?

Bachinger: In jedem europäischen Land gibt es spezielle steuer- und arbeitsrechtliche Regeln auf die wir uns einstellen müssen – vor allem wenn es um das Thema Zuverdienst zur Rente und Scheinselbstständigkeit geht. Ein großer Teil unserer Arbeit besteht auch darin zu informieren, und spannende, anwendbare Inhalte zu bieten. Was uns außerdem in der Produktentwicklung auffiel, ist die Sensibilität für Privatsphäre und Datenschutz in Deutschland. Das macht es uns etwas schwerer die Zielgruppe der älteren Anwender zu überzeugen, ein Profil mit persönlichen Daten zu erstellen.

Welchen Einfluss hat die Coronapandemie auf WisR?

Bachinger: Wir konnten beobachten, wie sich die Herausforderungen der Krise auf den Arbeitsmarkt auswirken und dass viele Unternehmen unter den Bedingungen straucheln. Gleichzeitig wurden ältere Menschen aufgrund des erhöhten Krankheitsrisikos aus dem öffentlichen und gesellschaftlichen Leben verbannt, obwohl sie sich gern mehr in der Krise engagieren und nützlich machen möchten. Das zeigen uns nicht zuletzt die steigenden Anmeldezahlen auf unserer Plattform. Daher ist es gerade jetzt umso wichtiger auf langjährige und erfahrene Mitarbeiter zu setzen.

Was bedeutet diese Entwicklung für Ihr Geschäftsmodell?

Bachinger: Wir haben die Auswirkungen der Pandemie ebenfalls zu spüren bekommen und uns kurzerhand entschieden unsere Geschäftsstrategie neu auszurichten, um sie den aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Mit unserem neuen Software-Produkt WisR Enterprise unterstützen wir jetzt große Unternehmen dabei, den Übergang in die Rente wertschätzend zu gestalten und ihre Mitarbeiter nicht im Stich zu lassen, sondern auch im Ruhestand mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Manche Firmen konsultieren ihre Mitarbeiter im Ruhestand bereits regelmäßig für Fragen oder Projekte, und holen sie für Mentoring, Expertenstunden oder Consulting Days zurück. Unsere Kunden können ihr Netzwerk mit ehemaligen Senior Experten nun zentral verwalten und deren Wissen – eben auch digital – länger verfügbar halten. Angesichts der Tatsache, dass ab 2021 ganze Experten-Cluster in Rente gehen, hoffen wir damit einen Mehrwert für beide Seiten zu schaffen.

19.11.2020    Miriam Rönnau
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