Grafik: Haus unter Käfig
19.05.2020    Miriam Rönnau
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Zur Person

Portrait Danyal Bayaz

Dr. Danyal Bayaz

ist seit 2005 Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. Bayaz gehört zudem seit 2017 dem Deutschen Bundestag an

Auf Initiative von Pascal Canfin, dem Vorsitzenden des Umweltausschusses des Europäischen Parlaments, wurde die „Green Recovery Alliance“ gegründet. Minister aus mehreren EU-Ländern sowie über 80 CEOs und hochrangige Manager haben diese Erklärung unterschrieben. Das Ziel: die Maßnahmen zum Neustart der Wirtschaft nach der Coronakrise am „European Green Deal“ ausrichten. Was halten Sie von dieser Erklärung?

Dr. Danyal Bayaz: Diese Initiative kommt zur richtigen Zeit. Denn es gibt ja einige, die sich für ein Öko-Moratorium starkmachen und Klimaschutz jetzt erst einmal hintanstellen möchten. Das ist aber keine gute Strategie. Politik muss mehrere Krisen gleichzeitig managen können. Und da ist es gut zu wissen, dass es viele Verbündete in der Wirtschaft gibt. Diese Unternehmen haben verstanden, dass die ökologische Modernisierung auch ein Treiber für Wettbewerbsfähigkeit ist. Daher freue ich mich auch über andere Initiativen wie aktuell der Aufruf der Stiftung 2 Grad, die uns an dieses wichtige Thema in Corona-Zeiten erinnert.

Beim Thema Nachhaltigkeit gibt es derzeit zwei Lager: Die einen sind davon überzeugt, dass die Pandemie eine Chance ist, beim Aufschwung nach der Krise Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen. Und dann gibt es jene, die meinen, die Herausforderungen seien aktuell bereits so groß, dass es ihnen nicht möglich ist, auch noch das Thema Nachhaltigkeit anzugehen. Wie argumentieren Sie gegen die Vertreter der zweiten Gruppe?

Bayaz: Ich teile die Gesellschaft ungern in zwei Lager, sondern versuche immer auch Brücken zu bauen. Als Grüner ist mir das Thema Nachhaltigkeit natürlich enorm wichtig und wir werden auch trotz Corona von regulatorischen Anforderungen oder einer Bepreisung von CO2 keinen Abstand nehmen. Gleichzeitig kämpfen Unternehmen gerade ums Überleben. Das Tor, auf das wir spielen – nämlich Klimaneutralität –, ist weiter dasselbe. Aber das Spielfeld und die Bedingungen haben sich geändert. Das muss man anerkennen. Deswegen geht es jetzt kurzfristig darum, Menschenleben zu retten und die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie in den Griff zu bekommen. Die Klimakrise können wir nur bewältigen, wenn wir unsere Wirtschaft umbauen – aber dafür müssen wir sie erst einmal erhalten. Gleichzeitig habe ich folgende Erwartung: Wenn wir schon Milliarden für ein Konjunkturpaket in die Hand nehmen werden, müssen wir diese mit ökologischen Zielen verbinden. Da sollten wir Fehler von 2009 – etwa die Abwrackprämie – nicht wiederholen, sondern auf Märkte und Technologien von Morgen setzen, sei es eine grüne Wasserstoffwirtschaft, Elektromobilität oder digitale Infrastruktur.

Stichwort Green Deal: Nicola Beer von der FDP rät, bei der Umsetzung Elemente vorzuziehen, die auch Wachstum generieren respektive dabei unterstützen können. Und andererseits sollte die EU darauf schauen, wo einzelne Maßnahmen zu einer zusätzlichen Last für Unternehmer werden könnten und deren Umsetzung verschieben. Wie stehen Sie dazu?

Bayaz: Ich bin nicht gegen Wachstum. Die Frage ist doch: welches Wachstum? Auf Kosten unserer natürlichen Lebensgrundlage und Ressourcen? Das dient weder dem Klimaschutz noch unserem Innovationsstandort. Ich weiß, dass für einige der lächerlich billige Ölpreis verlockend sein mag, das fossile Zeitalter nochmal zu verlängern und den CO2-Preis erneut zu verschieben. Aber davor kann ich nur warnen. Ich höre von vielen Unternehmen, egal ob Start-up, schwäbischer Mittelständler oder Dax-Konzern, dass für sie noch wichtiger als staatliche Unterstützung vor allem eines ist: klare, verlässliche und planbare Rahmenbedingungen. Am Ende muss es sich für Unternehmen rechnen. Nehmen wir die Stahlbranche: Keiner produziert klimaschonenden Stahl nur aus Spaß an der Freude. Er muss damit wettbewerbsfähig sein. Mit steigendem CO2-Preis und einer Art Ausgleichszahlung gegenüber Wettbewerbern, die weiterhin „schmutzig“ produzieren, setzen wir Anreize, in neue Hochöfen zu investieren. Deshalb geht es nicht um mehr oder weniger Regulierung, sondern um kluge Regulierung, die Innovationen stimulieren und Unternehmen gleichzeitig nicht strangulieren. Das Design von Märkten – darum geht es uns!

Mit welchen Veränderungen möchten die Grünen aus der Krise gehen?

Bayaz: Unsere Schwerpunkte sind eine starke öffentliche Infrastruktur – egal ob erneuerbare Energien, vernetzte Mobilität oder digitale Schulen, Investitionen in Menschen und Humankapital, zum Beispiel durch eine groß angelegte Qualifizierungsoffensive und die richtigen Anreize für private Investitionen, insbesondere in digitale und klimaneutrale Innovationen. Unsere Innovationskraft, etwa im Bereich GreenTech, Künstliche Intelligenz oder BioTech, ist eine zentrale Frage für uns, übrigens auch hinsichtlich technologischer Souveränität gegenüber China oder einer America-First-Politik. Da erinnere ich nur an die Diskussion um einen Impfstoff gegen Covid-19. Hier geht es uns auch um das Thema Resilienz: Welche Produktion sollten wir besser am Standort Europa sicherstellen? Wo lassen sich Lieferketten diversifizieren und weniger anfällig gestalten? Diese Themen mögen alle keine großartigen kurzfristigen Konjunkturimpulse auslösen, aber wir sollten uns mehr denn je fragen: Was müssen wir heute tun, um 2030 gut dazustehen? Da geht es aus meiner Sicht mehr um Investition und Transformation anstatt nur auf Konsum zu schauen, der natürlich aktuell extrem leidet.

Welche Chancen sehen Sie in der Krise? Welche Learnings sollten wir mitnehmen?

Bayaz: Chancen in der Krise zu sehen – das klingt arg abgedroschen. Es wirkt auch manchmal so, als würden einige die Krise glorifizieren. Davon halte ich wenig. Dennoch: So wie jeder kluge Unternehmer neue Gelegenheiten in einem sich verändernden Umfeld sucht, so sollten wir in der Politik die Augen aufhalten, was wir besser machen können. Corona legt wie im Brennglas Schwächen unseres Systems frei und beschleunigt die Transformation. Das merken wir nirgends so sehr wie im Bereich Digitalisierung. Wir merken zum einen, was geht, wenn wir wollen. Ich denke da zum Beispiel an digitale Fraktionssitzungen, die wir mittlerweile wie selbstverständlich abhalten. Weniger Reisen, effektivere Sitzungen. Das sollten wir beibehalten. Zum anderen merken wir, wie weit wir im Bereich der digitalen Bildung hinterherhinken. Ich hoffe, dass wir das Thema auch nach Corona nicht aus dem Blick verlieren.

Der Philosoph Richard David Precht hat in einem Interview kürzlich den Umgang der Grünen mit der Coronakrise kritisiert. Konkret: Grünen-Chef Robert Habeck hat sich für die Gründung von Bürgerräten ausgesprochen, in denen zufällig ausgeloste Bürger über die Konsequenzen aus der Krise sprechen und Handlungsempfehlung formulieren. Precht sieht diesen Vorschlag als Maßnahme der Grünen, sich der Verantwortung zu entziehen. Was sagen Sie dazu?

Bayaz: Ich finde die Idee von Robert Habeck charmant. Unser demokratisches Modell der repräsentativen Demokratie läuft heute eigentlich noch so, wie es Thomas Jefferson und andere 1776 in den USA auf den Weg brachten. Auch als noch relativer Neuling im Parlament treibt mich die Frage um, wie wir politische und parlamentarische Prozesse zum einen agiler und digitaler, aber zum anderen auch mit stärkerer Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern gestalten können. Unsere sehr formellen Anhörungen im Bundestag brauchen sicher ein Update oder zumindest ein Add-on. Und wenn wir durch Habecks Vorschlag mehr Menschen für Politik begeistern können, warum nicht? Warum nicht einfach ausprobieren? Wir diskutieren gerne auch mal Vorschläge zu Tode. Oder gründen eine Kommission, die dann einen langen Bericht in vier Jahren dazu ausarbeiten soll. Ich meine: Am besten testen. In Irland gab es sehr erfolgreiche Bürgerparlamente, die etwa über die dort kontroverse Legalisierung der Abtreibung diskutiert haben. Am Ende wurde die Legalisierung per Referendum eingeführt, auf breitem Konsens der Bevölkerung also. Darüber hinaus: Ich kann Herrn Precht beruhigen. Grüne drücken sich nicht vor der Verantwortung. In meiner Heimat Baden-Württemberg sind wir seit fast zehn Jahren an der Regierung und ich würde lügen, wenn wir auch im Bund das nächste Mal nicht gerne mit dabei wären. Die Jamaika-Koalition ist jedenfalls nicht an uns gescheitert.

Auf dem Video-Parteitag der Grünen wurde gefordert, dass nur Unternehmen, die jetzt auf Boni und Dividenden verzichten, Corona-Hilfsgelder erhalten sollen. Von den Dividenden profitieren aber auch Millionen von Bundesbürgern, die privat fürs Alter vorsorgen. Lebensversicherer oder Pensionskassen etwa investieren auch in Aktien. Wollen Sie Verluste bei der Altersvorsorge wirklich in Kauf nehmen?

Bayaz: Die Mittel aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds, kurz WSF, sind für absolute Notfälle gedacht. Gleichzeitig trägt die gesamte Gesellschaft derzeit die wirtschaftlichen Lasten der Krise. Und der Steuerzahler übernimmt angesichts von umfangreichen Rettungsprogrammen einen Großteil der Rechnung. Daher ist es im Interesse der gesellschaftlichen Akzeptanz wichtig, dass Unternehmen, denen geholfen wird, ihren Beitrag zur Stabilisierung leisten. Und ich finde: Wer staatliche Unterstützung erhält, kann nicht Boni und Dividenden ausschütten als wäre derzeit business as usual angesagt. Ich halte das nicht nur moralisch, sondern auch ordnungspolitisch für geboten. Eine Ausschüttung ist ja dann wieder möglich, wenn die Gelder zurückgeführt werden. Das Aussetzen von Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufen sind übrigens kein Verlust für den Eigentümer. Sie werden dem Eigenkapital zugerechnet und erhöhen so den Wert des Unternehmens. Ohne Hilfen des WSF würde im schlimmsten Fall eine Insolvenz drohen. Sollte ein Unternehmen nur dank Staatshilfen durch die Krise kommen, kann man sicher nicht von einem Verlust, sondern vom Erhalt von Werten sprechen.
19.05.2020    Miriam Rönnau
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