Porträt von Jasmin Arbabian-Vogel
15.07.2020    Johanna Steinschulte
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Zur Person

Jasmin Arbabian-Vogel

ist geschäftsführende Gesellschafterin der Interkultureller Sozialdienst GmbH sowie Präsidentin des Verbands deutscher Unternehmerinnen (VdU). Mit 28 gründetet sie ihr erstes Unternehmen.

Mussten Sie sich in ihren Führungspositionen oft gegenüber Männern behaupten?

Jasmin Arbabian-Vogel: Ja, durchaus. Das Ankämpfen gegen Vorurteile und Rollenbilder ist heute noch vonnöten. Sehr oft werden wir Frauen – auch die in Führungspositionen – bei Besetzungen von Positionen oder Rednerlisten einfach übergangen. Wir sind daher schlicht weniger präsent als Männer, was die genannten Effekte verstärkt. Es wird also ein gesellschaftlicher Zustand immer wieder aufs Neue hergestellt. Gründe dafür gibt es einige.

Unser Rollenverständnis ist nach wie vor eher traditionell. Die Rahmenbedingungen, wiebeispielsweise das Ehegatten-Splitting, unterstützen traditionelle Rollenmodelle. Auf der anderen Seite wählen Jungen und Mädchen Berufe sehr stark geschlechtertypisch, weil sie entsprechende Vorbilder haben beziehungsweise weil entsprechende Vorbilder fehlen. Denn wenn es beispielsweise keine Astronautinnen gibt, können sich Mädchen eben auch nicht vorstellen, Astronautin zu werden.

Führen Männer „anders“ als Frauen?

Arbabian-Vogel: Zweifelsohne sind Frauen qua Sozialisation stärker darauf fokussiert, Teamfähigkeiten zu nutzen. Sie sind nach wie vor kommunikativer, unterstützender und haben zudem eine höhere Bereitschaft, sich mit Vereinbarkeitsfragen ihrer Belegschaft positiv auseinander zu setzen. Unsere jährliche VdU-Studie in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bank zeigt auch, dass Frauen in langfristigeren Kategorien denken und für sie Nachhaltigkeit eine höhere Rolle bei Entscheidungen spielt als für Männer.

Ein gutes Beispiel kommt aus meinem Unternehmen: Fast alle Leitungskräfte in meinem Betrieb haben – wenn es zum Beispiel wegen Elternschaft notwendig war – in Teilzeit ihre Führungsaufgabe bewältigt. Das Märchen von „Führung ist immer ein Fulltime-Job“ ist von daher vor allem eins: ein Märchen.

Herrscht momentan eine Entwicklung der Retraditionalisierung?

Arbabian-Vogel: Absolut. Die großen Verlierer der Krise scheinen momentan die Frauen zu sein. Auch dann, wenn beide im Homeoffice sind, sitzt der Mann im „Büro unterm Dach“ während die Frau aus der Küche heraus mit dem Notebook agiert – und nebenbei noch die Kinder betreut und den Haushalt schmeißt.

Hier zeigt die Corona-Krise vor allem Eines: Die Ungleichheit gab es schon vorher, sie zeigt sich nun nur deutlicher. Denn es sind nach wie vor die Frauen, die weniger verdienen, in den schlechteren Jobs verweilen und die höheren Teilzeit-Arbeitsverhältnisse haben. Sie sind daher – auch schon vorher – das ökonomisch „schwächere“ Glied gewesen, was sich in der Pandemie brennglasartig bemerkbar macht. Aber: Vor allem Frauen haben sich digital anders aufgestellt und Kompetenzen erweitert. Das kann zu einer echten Chance nach der Pandemie führen.

Was raten Sie Frauen, die das Gefühl haben, sie gelangen aufgrund der Coronakrise zurück in ein veraltetes Rollenmuster?

Arbabian-Vogel: Ich würde jeder Frau immer raten, also unabhängig von Corona, sich nicht auf das traditionelle Schema zu verlassen, bei der der Mann als Ernährer fungiert und die Frau wegen der Sorge-Arbeit aussteigt. Wir Frauen haben es in der Hand: Wann immer es geht, müssen wir unbequem sein, Wahrheiten ansprechen, uns auf Podien setzen, in die Schulen gehen, für Gründungen und Unternehmertum werben und stets bedenken, dass junge Menschen Vorbilder brauchen. Mädchen zu zeigen, dass man Ingenieurin werden kann, Pilotin oder Bundeswehr-Offizierin ist wichtig. Genauso wichtig ist es, Jungen zu vermitteln, dass sie als Väter die Hälfte der Sorge- und Care-Arbeit tragen sollten.

„In einer globalen Welt ist der Rohstoff der Zukunft die Fachkraft.“

Wo steht Deutschland derzeit beim Thema Diversität, auch im Vergleich zu anderen Staaten?

Arbabian-Vogel: Unsere Gesellschaft ist schon jetzt divers und das ist gut so. Sorgen bereiten mir und vielen anderen die nationalistischen und rechtsradikalen Tendenzen. Aber generell gilt: Wir sind ein multinationales Land mit freiheitlicher Staatsform, die unterschiedliche Lebensweisen berücksichtigt. Aber: Die Berücksichtigung hat noch nicht in die Unternehmen, Schulen, Verwaltung, Medien oder Parlamente Einzug gehalten.

Die Unternehmen wissen zwar, dass sie dem Fachkräftemangel nur durch Öffnung und Diversität begegnen können, in vielen Unternehmen jedoch herrscht hierfür ein Umsetzungsstau. Denn noch sind die Führungskräfte mehrheitlich 50 Jahre und älter, männlich, weiß und heißen Thomas, Andreas oder Michael. Die Offenheit für Diversität fehlt schlicht.

Auch Parlamente und Parteien tun sich schwer mit der Umsetzung von Parität oder der Einführung von Quoten. Länder wie Frankreich oder Schweden sind in diesen Fragen schon sehr viel weiter als wir. Es ist auf Dauer für eine Gesellschaft nicht hinnehmbar, wenn fast 30 Prozent ihrer Mitglieder eine weitere Herkunft als die deutsche hat, diese jedoch nur zwei Prozent der Abgeordneten in Parlamenten, sechs Prozent der Lehrenden in Schulen oder 80 Prozent der Bösewichte im sonntäglichen Tatort ausmachen.

Sind Frauen dem Thema gegenüber offener eingestellt als Männer?

Arbabian-Vogel: Ja, definitiv. Besonders Unternehmerinnen, die per se mehr Frauen in der Belegschaft haben als Unternehmer wissen, dass gemischte Teams die besseren Ergebnisse erzielen. Die Unternehmenskultur hängt davon ab, wieviel unterschiedliche Individuen, Meinungen und Lebensweisen nebeneinander existieren und sich gegenseitig bereichern können.

Welchen Nutzen können Selbstständige aus Diversität ziehen?

Arbabian-Vogel: Wie erwähnt zeigen Studien, dass gemischte Teams bessere Ergebnisse erzielen, krisenfester sind und ihren Erfolg längerfristiger halten können. Der entscheidende positive Faktor ist aber ein anderer: In einer globalen Welt ist der Rohstoff der Zukunft die Fachkraft. Und da genau diese nicht genügend vorhanden ist, existiert ein harter Kampf um diese klugen Köpfe, den nur diejenigen Unternehmen für sich entscheiden können, die als modern, offen und zukunftsorientiert wahrgenommen werden. Und das sind nicht jene Unternehmen mit homogener, weißer und männerdominierter Belegschaft.

15.07.2020    Johanna Steinschulte
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