Warentransport in der Lieferkette
28.01.2021
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Ist die Supply Chain an einer Stelle gebrochen, sind die Lagerbestände der betroffenen Unternehmen schnell aufgebraucht. Die Fließbänder stehen dann still – oder die Produktion kann zumindest nicht mit der erwarteten Kapazität fortgeführt werden.

Zwei Beispiele? Im Februar 2020 musste der Weltkonzern Jaguar Land Rover die Produktion des E-Autos I-Pace stoppen – weil Batterien fehlten. Und Pfizer führte Probleme in der Lieferkette als Grund für verzögerte Impfstoff-Auslieferungen an. Kolumne von Gregor Stühler

Funktionierende Lieferketten sind somit in unserer globalisierten Welt – in welcher selbst kleinere Firmen Lieferanten rund um den Globus haben – das Rückgrat der Weltwirtschaft und unseres Alltags. Viele Unternehmen kennen sicherlich den Schmerz, wenn beispielsweise eine für die Produktion notwendige Lieferung aufgrund eines Taifuns in Asien ausbleibt.

Der Höhepunkt der ersten Coronapandemie-Welle im März und April sprengte dann nicht nur die Ketten einzelner Unternehmen. Mit einem Mal fiel eine Vielzahl möglicher Zulieferer weg; ganze Wirtschaftszweige mussten die Produktion einstellen und Kurzarbeit anmelden.

Fünf Dinge lassen Lieferketten in Krisenzeiten wackeln.

1. Das Risiko von Zulieferer-Hotspots minimieren

Viele Zulieferer sammeln sich in Ballungsgebieten. Die japanische Stadt Fukushima war vor dem Erdbeben und der Atom-Katastrophe 2011 ein Zentrum für Hersteller von Chip-Technologie; Wuhan in China war ein Epizentrum für Automobilzulieferer. Unternehmen griffen und greifen bei der Lieferantenauswahl gerne auf diese Hotspots zurück. Beide Beispiele zeigen jedoch auch: Im Krisenfall fallen auf einen Schlag gleich mehrere Glieder der Lieferkette weg.

Um das zu verhindern, sollten Unternehmer ihren Bedarf weltweit decken. 50 Prozent oder mehr des Einkaufsportfolios sind global verteilbar, das Ausfallrisiko somit minimierbar.

Gregor Stühler von scoutbee

Gregor Stühler: Er ist Mitgründer und Geschäftsführer von scoutbee, einer Plattform für die digitale Lieferantensuche. Große multinationale Konzerne wie Audi, Airbus, Siemens oder Bosch nutzen die Datenbank und die Künstliche Intelligenz des Unternehmens für ihr strategisches Beschaffungswesen

2. Breite Lieferanten-Netzwerke bilden

Unternehmen brauchen ein breites Lieferanten-Netzwerk. Das klingt vielleicht normal, aber das Beispiel von Jaguar Land Rover zeigt: Selbst Großkonzerne sind oft von einzelnen Zulieferern abhängig. Dies ist bereits im normalen Arbeitsalltag ein Problem. Schließlich haben diese Schlüssellieferanten bei Verhandlungen alle Vorteile auf ihrer Seite und können etwa den Preis nach Belieben bestimmen.

In Krisenzeiten sind die Konsequenzen solch eines Konstrukts umso drastischer: Fällt ein Lieferant aus, können Unternehmen kaum schnell auf Alternativen umschwenken. Diese müssen schließlich erst gefunden, qualifiziert und unter Vertrag genommen werden. Anschließend muss der Zulieferer Werkzeuge bauen, Personal schulen und die Qualitätssicherung durchlaufen. Das dauert gut und gerne mehrere Monate, oft Jahre.

Den einen Lieferanten des Vertrauens zu haben ist schön und gut. Aber: Entscheider müssen angesichts dieser Risiken in den sauren Apfel beißen, Ressourcen investieren, das Lieferanten-Netzwerk ausbauen und sogenannte Second Sources qualifizieren. Idealerweise produzieren diese bereits kleinere Mengen für den Auftraggeber, sodass Werkzeuge und Know-how bestehen und die Qualitätssicherung schon durchlaufen wurde. Im Notfall sind die Ersatzlieferanten dann sofort lieferfähig.

3. Proaktives Scouting bringt Vorteile

Das Scouting neuer Lieferanten ist in vielen Unternehmen ein reaktiver Prozess. Das bedeutet: Besteht ein Bedarf – soll etwa eine neue Produktlinie gelauncht werden –, wird gesucht, ein Lieferant qualifiziert und die Suche abgeschlossen. Es findet kein oder kaum proaktives kontinuierliches Scouting statt. Eher sind die Unternehmen stetig damit beschäftigt Feuer zu löschen und Lieferengpässe zu vermeiden.

Globale Liefernetzwerke und Second Sources lassen sich aber nur proaktiv auf- und ausbauen. Unternehmen müssen verstehen: Scouting ist kein Sprint, sondern ein Marathon, ein fortlaufender Prozess. Nur dann stellen Firmen ihre Lieferketten stabiler auf und profitieren von der strategischen Komponente des Beschaffungswesens. Zu diesen Komponenten gehören eine bessere Verhandlungsposition im Einkauf, der Aufbau nachhaltig produzierter Produkte oder das Finden von neuen Innovationen im Markt.

4. Manuelles Scouting ist out

Aber warum existieren nur wenige ausgeprägte Liefernetzwerke? Warum ist der Einkauf reaktiv? Und warum greifen Unternehmen immer wieder auf Zulieferer aus bestimmten Hotspots zurück? Nun, ein Teil der Bedarfe lässt sich anders kaum decken. 90 Prozent aller Schraubenlieferanten sitzen beispielsweise in Taiwan. Und für einige andere Produkte sind Alternativen ganz einfach zu teuer.

Zumeist fehlt im Scouting jedoch schlicht die Zeit, gründlicher oder aufwendiger zu recherchieren. Der Grund: die „low to no tech“-Situation in vielen Einkaufsteams. Sprich: Das Scouting ist oft ein manueller und somit zeitaufwendiger und ressourcenintensiver Prozess. In mühsamer, händischer Recherche-Arbeit suchen Einkäufer Details über potenzielle Zulieferer heraus – mittels Ausstellerlisten von Messen, regionalen Datenbanken, Google oder dem Who-is-Who der Zulieferer. Sie müssen unvollständige Informationen über Lieferanten in verschiedenen Sprachen vergleichen (wenn sie es denn können). Und ehe man sich versieht, fällt ein Gros der potenziellen Lieferanten durch das Raster. Für das Screening war keine Zeit, es fehlte die Vergleichsgrundlage oder man stieß bei dieser Suche einfach nicht zufällig auf den einen passenden Lieferanten.

Inzwischen existieren allerdings Software-Produkte am Markt, die den Einkauf digitalisieren, was längst überfällig ist. Die Software automatisiert die Recherche nach neuen Zulieferern, baut ganze Datenbanken an potenziellen Lieferanten auf, schafft unabhängig von Sprachen eine Vergleichsgrundlage und durchforstet dafür unzählige Quellen. Anhand dieser Datenbasis stellt eine Künstliche Intelligenz dann – abgestimmt auf die Bedürfnisse der Nutzer – Longlists passender Lieferanten zusammen. Und das innerhalb von Stunden, nicht über Monate.

5. Business as usual nicht mehr zulassen

Viele dieser Probleme sind bekannt. Jetzt liegt es an den Unternehmen die Stressresistenz ihrer Lieferketten – regional wie global – zu stärken. Denn Naturkatastrophen, Brände, Hafenexplosionen, politische Unruhen – sie alle haben das Potenzial, Lieferketten regional zu unterbrechen.

Es ist die Aufgabe neuer Technologien im Beschaffungswesen, den Unternehmen an dieser Stelle unter die Arme zu greifen, Risiken zu minimieren und funktionsfähige Alternativen zum bisherigen Status quo zur Verfügung zu stellen. So wird aus dem Einkauf viel mehr als ein internes, bedarfsorientiertes Service-Center. Es entfaltet endlich sein unternehmerisches Potenzial – als Innovationstreiber und echter Wettbewerbsvorteil.

Kolumnen, Kommentare und Gastbeiträge auf DUB-magazin.de geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin wieder, nicht die der gesamten Redaktion.

28.01.2021
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