Zwei Puppen stehen in Glaskugeln
21.12.2020    Anna Kaiser und Jana Tepe
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Von anderen Menschen abgeschnitten zu sein kann Einzelnen genauso schaden wie der Organisation. Wer keinerlei Verbindung zu Kolleginnen und Kollegen oder zum Unternehmen spürt, wird vielleicht halbwegs gut „abarbeiten“. Aber er dürfte wenig Motivation spüren, mitzudenken und kreativ zu werden, um die besten Lösungen zu finden, welche die Organisation weiterbringen. Eine Studie des Marktforschungsunternehmens Gallup hat gezeigt, dass Mitarbeitende, die einen guten Freund im Unternehmen oder starke Verbindungen zu Kolleginnen und Kollegen haben, eine siebenfach höhere Wahrscheinlichkeit haben, sich für die Organisation zu engagieren als jene, die sich im Job einsam fühlen.

Doch was heißt „einsam“ im Arbeitskontext? Ist jeder Mitarbeitende, der oder die einer kleinen, abgeschlossenen Abteilung zugeordnet ist und im Einzelbüro Excel-Tabellen bearbeitet, automatisch einsam?

Kolumne von Jana Kaiser und Jana Tepe

Natürlich nicht. Einsamkeit ist ein Gefühl ist, das sich bei Menschen auf ganz unterschiedliche Weise und unter ganz unterschiedlichen Bedingungen einstellt. Im Arbeitsumfeld ist sie oft das Ergebnis fehlender Befugnisse, Möglichkeiten und Kanäle, mit anderen in Kontakt zu treten. Und damit von Strukturen, die – bewusst oder unbewusst – zu sozialer Isolation führen. Man könnte sagen, starre Hierarchien und Abteilungsgrenzen haben vielerorts zu einer Unternehmenskultur des Social Distancing geführt. Doch Führungskräfte können etwas dagegen  tun.

1. Sie müssen es wirklich wollen

Voraussetzung ist, dass sie wirklich etwas an den bestehenden Strukturen ändern wollen. Das setzt die Bereitschaft voraus, Kontrolle abzugeben, denn im Gegensatz zu Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfern wird sich ein Netzwerk mit hunderten Knotenpunkten, Kreuzungen und Synapsen der Steuerung durch eine einzelne Person – oder einige wenige – ziemlich schnell entziehen.

2. Verstehen Sie, dass Ihre Mitarbeitenden unterschiedlich sind

Nicht die eine große Teambuilding-Maßnahme macht den Unterschied, sondern Interaktionsmöglichkeiten für ganz unterschiedliche Bedürfnisse und Charaktere. Denn wie groß der Wunsch nach Austausch ist und wie dieser bevorzugt passiert, ist individuell verschieden. Menschen, die eher introvertiert sind, brauchen und genießen Phasen der Ruhe und des Alleinseins, um neue Energie zu tanken und daraus Kreativität zu schöpfen. Eher extrovertierte Mitarbeitende haben die besten Ideen dagegen im intensiven Austausch mit anderen. Ihr Energielevel steigt mit dem Grad an Interaktion. Wieder andere haben vielleicht Barrieren, die es ihnen nicht ohne Weiteres ermöglichen, locker mit Kolleginnen und Kollegen oder Führungskräften zu sprechen und sich einzubringen. So hat SAP beispielsweise ein spezielles Mentoring-Programm für Menschen mit Autismus: ein Mentor oder eine Mentorin unterstützt Kolleginnen und Kollegen mit besonderen Herausforderungen dabei, ihre Ideen im Team und an die Vorgesetzten zu kommunizieren. Dass das wunderbar und erfolgreich funktioniert, zeigt das Beispiel von Nicolas Neumann, der über das „Autism at work“-Programm zu SAP kam und für seine Arbeit mit dem „Hasso Plattner Founder Award“ ausgezeichnet wurde. Innovation braucht eben vielfältige Perspektiven und das Zusammenspiel ganz unterschiedlicher Charaktere. Holt sie raus aus den Silos!

Porträt von Anna Kaiser und Jana Tepe

Anna Kaiser und Jana Tepe sind die Gründerinnen von Tandemploy, einem vielfach ausgezeichneten Berliner Tech Start-up, das mit smarter Software und viel Herz die Arbeitswelt verändert. Großkonzerne wie Mittelständler nutzen die Talent-Marktplatz-Software von Tandemploy, um ihre digitale Transformation voranzutreiben – mit neuen Arbeitsmodellen, Lernformaten und einem Wissenstransfer auf Augenhöhe und ganz ohne Abteilungsgrenzen.

3. Schaffen Sie Schnittstellen

„Ja aber die Kolleginnen und Kollegen machen doch zusammen Mittagspause. Und wir haben die After-Work-Drinks jeden Donnerstag.“ Gut, aber nicht gut genug! Denn seien wir mal ehrlich: Wer sitzt beim Lunch zusammen? Und wer geht zusammen einen trinken? Meist jene, die sich sowieso schon gut kennen. Um neue Verbindungen zu ermöglichen, brauchen Unternehmen neue und vor allem offene Formate und Anlässe. Heißt: Wirklich alle sollten grundsätzlich die Möglichkeit haben mit jedem im Unternehmen in Kontakt zu treten. Ausgehend vom jeweiligen Bedürfnis oder der aktuellen Anforderung des Einzelnen kann jeder Mitarbeitende gezielt etwa nach Rat, einem fachlichen Austausch oder einem gemeinsamen Projekt suchen. Bereits 40 Sekunden guter Interaktion haben einen messbar positiven Effekt auf das Wohlbefinden. 40 Sekunden! Was dann erst alles möglich ist bei einem einfachen Lunch Date, einer Mentoring-Session oder einem langfristigen Format wie Jobsharing. Auch Communities, die sich nicht ausschließlich um Arbeitsthemen drehen, sind eine wunderbare Möglichkeit, um Menschen aus ihrer Isolation zu holen.

4. Begreifen Sie digitale Tools als Chance

Digitale Technologie sollte nicht mehr nur als Ursache für die zunehmende Vereinzelung gesehen werden, sondern als Teil der Lösung. Ohne Frage hat Technologie das Sozialverhalten verändert: Zum Beispiel Facebook, Instagram oder Netflix ersetzen echte soziale Kontakte, wir chatten lieber, als uns auf ein Bier zu treffen, wir arbeiten im Homeoffice statt im Büro. Und ohne Frage ist in puncto Digitalkompetenz im Sinne eines gesunden, ablenkungsfreien und „sozialverträglichen“ Umgangs mit Technologie noch jede Menge Luft nach oben. Das rechtfertigt jedoch nicht, sich vor den Möglichkeiten zu verschließen, welche die Digitalisierung bietet, um offene und demokratische Strukturen in Unternehmen zu schaffen. Weder müssen Mitarbeitende durch Kontrolle und Begrenzung vor sich selbst geschützt werden, noch gibt es ein gefährliches Zuviel an Offenheit und (digitalen) Vernetzungsmöglichkeiten für Menschen in Unternehmen.

Fazit: Social Distancing in der Unternehmenskultur lässt sich ändern!

Social Distancing bestimmt seit Monaten spürbar den Alltag vieler Menschen. Soziale Isolation wirkt aber – für viele unbewusst und unsichtbar – schon viel länger. Die reine Hinwendung zu digitalen Tools ohne klares Ziel vor Augen kann diese Abschottung verstärken. Vereinsamung im Job zu verhindern ist im ersten Schritt immer ein kultureller Akt, getrieben von dem Wunsch, die eigenen Fähigkeiten und die der Menschen um uns herum kennenzulernen, zu verstärken, im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel zu verbinden und uns auf professioneller wie auf menschlicher Ebene neu zu begegnen.

Der Startpunkt für die Verantwortlichen in Organisationen ist eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Frage, wovor sie eigentlich Angst haben, wenn sie die alten, isolationsfördernden Silo- und Machtstrukturen fallen lassen – und was diese Angst mit ihnen selbst über all die Jahre gemacht hat. Denn der unverrückbare Platz an der Spitze einer Pyramide ist oft vor allem eines: ziemlich einsam.

21.12.2020    Anna Kaiser und Jana Tepe
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