Ein Bild der Teilnehmer des DUB Zoom Calls die über den Einfluss von Corona auf den Mittelstand reden
15.01.2021    Manuel Kunst
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Das Jahr 2021 beginnt mit der gleichen Situation, die bereits so prägend für das vergangene Jahr war. Dabei macht der Lockdown Köchen, Kellnern oder Portiers am meisten zu schaffen. Nach einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung müssen 76,2 Prozent aller Beschäftigten im Gastgewerbe derzeit auf einen Teil ihres Lohns verzichten. Gleiches gilt für Selbstständige (64,1 Prozent) und Freiberufler (55,5 Prozent). Fakt ist: Nicht alle Berufe können vollkommen digitalisiert werden. Trotzdem sollte im Kampf gegen die Krise jede Alternative erwogen werden.

Im Rahmen der Initiative „Hilfe zur Selbsthilfe“ veranstaltete DUB UNTERNEHMER einen Solidaritäts-Zoom-Call gemeinsam mit dem Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW). Dabei wurde mit Firmenchefs ein offenes Gespräch über die aktuelle wirtschaftliche Lage ihrer Unternehmen geführt.

Am Gespräch im Rahmen der Initiative „Hilfe zur Selbsthilfe“ nahmen teil:

Moderator: Jens de Buhr, Verleger, DUB UNTERNEHMER

Richtige Vorbereitung

„Unser Markt ist Gott sei Dank nicht eingebrochen“, sagt Christian Engel. Er ist Managing Director von BHS Corrugated Maschinen- und Anlagenbau, die Anlagen für die Verpackungsindustrie herstellt. Die Produktion von Wellpappe sei durch die stärkere Nutzung von Online-Shops umfangreicher denn je. Das Unternehmen hatte sich zudem bereits vor der Pandemie digital ausgerichtet und nutzt beispielsweise seit fünf Jahren kein Papier mehr in der Buchhaltung. So ist auch den Mitarbeitern der Umzug ins Homeoffice vergleichsweise leicht gefallen.

Ebenfalls wurden schon vor Corona Tools für prädiktive Instandhaltung implementiert, die in Echtzeit instandhaltungsrelevante Daten auswerten und Prognosen über künftige Ereignisse treffen. Engel: „Diese Investments haben uns extrem gut auf die Ereignisse von 2020 vorbereitet. So konnten wir schnell umschalten. Aus der Not heraus haben wir aber auch  Change-Prozesse angestoßen.“ So wurde beispielsweise die Inbetriebnahme einer Anlage in Malaysia remote vom deutschen Hauptsitz aus gemanagt und überwacht. „Das war zuvor undenkbar. Rückblickend hat uns die Krise produktiver gemacht.“

Arbeit neu denken

Stefan Schwan, Head of Business Unit Facility Services bei ENGIE Deutschland, kann ebenfalls nicht klagen. Die Angebote des französischen Energieversorgers haben in der Krise sogar Hochkonjunktur. „Gerade was den Sektor Facility-Management angeht haben wir momentan einen viel höheren Zuspruch, obwohl Gebäude teilweise nicht besetzt sind“, so Schwan. Die letzten Kohlekraftwerke wurden vor zwei Jahren verkauft. Nun baut der Konzern voll auf regenerative Energie. Ein Umschwung, der sich bezahlt macht.

Auch bei ENGIE hatte man sich schon vor zwei Jahren auf mobiles Arbeiten eingestellt. Der Weg ins Homeoffice war somit bereits geebnet, auch wenn nicht alle Mitarbeiter – wie zum Beispiel Techniker – ihre Arbeit von zu Hause aus erledigen können. Schwan etwa hat kein eigenes Büro mehr. Im Unternehmen gibt es nur noch offene Workspaces, die jeweils für einzelne Arbeitsprozesse optimiert werden. „Unsere Bürolandschaft ändert sich gerade an fast jedem Standort komplett: weg vom Einzelbüro, hin zum Activity-Based-Working. Covid-19 war für uns ein Katalysator, um neue Arbeitsweisen umzusetzen.“

Von regionalen Lieferketten profitieren

Schwarze Zahlen auch bei Günzburger Steigtechnik: Das mittelständische Unternehmen produziert Leitern, Rollgerüste, Rettungstechnik und Sonderkonstruktionen in Premium-Qualität. Geschäftsführer Ferdinand Munk: „Unsere Kunden in der Luftfahrtbranche sind weggefallen, dafür wurde etwa im Schienenverkehr einiges investiert.“

Um sich von der Konkurrenz abzuheben tüftelte die Geschäftsleitung schon lange an einer neuen Strategie. Deshalb setzte das Unternehmen bereits vor der Krise auf regionale Lieferketten. Obwohl internationale Kunden bedient werden, ist die Produktion somit komplett made in Germany. „Dadurch können wir verhindern, dass es zu Engpässen kommt, weil wir ständig mit unseren regionalen Partnern in Kontakt stehen und internationale Geschehnisse damit selten Einfluss auf unser Tagesgeschäft nehmen“, so Munk.

Schnell reagieren musste das Unternehmen auf die Absage aller Messen. Für Günzburger Steigtechnik sind diese ein wichtiger Kommunikations- und Vertriebsweg. Eine neues Medium war allerdings schnell gefunden. Die Lösung: Das Produktportfolio wurde digital veranschaulicht und Verkäufer machen mit Vorführwagen regelmäßig Hausbesuche – unter Berücksichtigung aller Hygienevorschriften selbstverständlich. Munk: „Ich kann diesen Ansatz nur jedem Mittelständler empfehlen. Wir haben mit unseren Hausbesuchen immense Erfolge verbuchen können. Die Hauptsache ist, den Kontakt zum Kunden nicht abbrechen zu lassen.“

Erfolgsgeschichten sind nicht die Regel

BHS Corrugated Maschinen- und Anlagenbau, ENGIE, Günzburger Steigtechnik: Drei Unternehmen, die durch frühes Planen und schnelles Handeln in der Coronakrise eine fulminante Transformation durchlaufen haben.

Doch wie sieht es bei anderen Unternehmen aus? Markus Jerger, Bundesgeschäftsführer des BVMW, erinnert an die Schattenseiten des letzten Jahres: „Es ist schön zu sehen, dass es einige Unternehmen gibt, die schnell ihr Geschäftsmodell verändern konnten. Trotzdem lassen sich einige Branchen nicht ohne weiteres digitalisieren. Es gibt Unternehmen, die weniger von der Krise betroffen sind oder sogar ihren Erfolg ausbauen konnten, aber wir haben leider viele Mittelständler, die kurz vor dem Aus stehen.“

Das Beispiel einer Zuschauerin des Live-Talks zeigt deutlich, wie schwer es ist, ein Unternehmen durch die Krise zu führen. Anja Jungen leitet Die Verheirater. Das Unternehmen plant und organisiert Hochzeiten. „Der März wäre durch den Brautkleiderverkauf eigentlich unser umsatzstärkster Monat geworden“, so Jungen. Es kam der Lockdown. „Im Sommer wurden dann statt 48 Hochzeiten nur sechs umgesetzt. Alle Paare schieben momentan ihre Hochzeitspläne auf.“

Trotz teilweise guter Vernetzung und digitaler Ausrichtung sind viele Unternehmer auf Hilfe angewiesen. So ist Jerger der Meinung, „dass die Probleme offen angesprochen werden müssen“. Firmen, die in Rekordzeit eine Homeoffice-Lösung umsetzten, hätten teils die DSGVO missachtet. Am Ende scheitert eine komplexe Umgestaltung meist am Geld, obwohl der Wille da ist.

Zu harte Maßnahmen der Politik?

Die Nachricht, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits am 19. Januar mit den Ministerpräsidenten über weitere Corona-Maßnahmen sprechen will, wird gemischt aufgenommen. „Es müssen aber zumindest Begegnungen im öffentlichen Raum eingedämmt werden, gerade vor dem Hintergrund der neuen Virusmutationen“, meint Brigitte Zypries, Bundeswirtschaftsministerin a.D. und DUB-Herausgeberin.

Die Hilfen, die der Staat den Unternehmen bereitstellt, seien bereits groß. Jedoch bräuchte der Einzelhandel momentan die meiste Unterstützung. Schließlich könne nicht jedes Geschäft in kurzer Zeit einen lukrativen Online-Shop einrichten. Zypries: „Ich kann deshalb nachvollziehen, dass mancher angesichts der ungewissen Zukunftsperspektive jetzt lieber hinwirft, weil die Lage aussichtslos erscheint.“ Am wichtigsten sei es deshalb jetzt, die industrielle Produktion möglichst offen zu halten und größere, vor allem schnellere Finanzpakete für den Einzelhandel zu schnüren.

15.01.2021    Manuel Kunst
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