Illsutration Wandel Traditionsunternehmen
01.06.2019    Madeline Sieland
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Ein Tabakhersteller, der nach mehr als 100 Jahren plötzlich tabakfreie Produkte anbietet: Seit einem Jahr ist die E-Zigarette myblu von Reemtsma auf dem deutschen Markt. Das blieb nicht ohne Folgen – fürs Image und für das Selbstverständnis der Mitarbeiter des Hamburger Unternehmens. Michael Kaib, Sprecher des Reemtsma-Vorstands, und David O’Neill, verantwortlich für neue Produktkategorien, erläutern, wie die neue Produktkategorie die Unternehmenskultur auf den Kopf gestellt hat.

Zur Person

Porträt von Michael Kalb

Michael Kaib

Der Betriebswirt ist seit über 30 Jahren bei den Reemtsma Cigaretten­fabriken und für den Mutterkonzern Imperial Tobacco tätig. Seit April 2016 ist er General Manager und Sprecher des Vorstands von Reemtsma

Zur Person

Porträt von David O`Neill

David O’Neill

ist seit 2018 Head of Next Generation Products für das Cluster DACH & Nordics bei Reemtsma. Für die Imperial Brands Group ist der Brite bereits seit 2005 tätig

DUB UNTERNEHMER-Magazin: Laut Euromonitor steigt der weltweite Umsatz mit E-Zigaretten bis 2030 auf 30 Milliarden US-Dollar. Hat die E-Zigarette das Potenzial, die klassische Zigarette komplett vom Markt zu verdrängen?

Michael Kaib: Wir  glauben, dass die E-Zigarette unter den weniger schädlichen Alternativen auch langfristig die größte Kategorie bilden wird. Aber geraucht werden wird noch lange. Es gibt Unternehmen, die immer mal wieder das Ende der Zigarette ausrufen. Doch der Markt sendet andere Signale.

Von der klassischen zur E-Zigarette: Wie wirkt sich diese Entwicklung auf das Unternehmen aus?

Kaib: Die Erweiterung unseres Sortiments bringt einen Wandel mit sich: Plötzlich verkaufen wir ein Genussprodukt, das zugleich ein Technikprodukt ist. Damit verändert sich bei uns der Umgang mit der Rolle als Tabakunternehmen. Während wir uns lange als Teil eines Problems zu rechtfertigen hatten, sind wir heute Teil der Lösung. Wir bieten dem Konsumenten eine neue Bandbreite an Optionen und die Chance, sich bewusst für weniger schädliche Alternativen zu entscheiden. Das alte Stigma der Tabakindustrie bricht auf. Und auch auf dem Arbeitsmarkt werden wir wieder interessanter. Die neue Kategorie bedeutet für uns aber vor allem, sich von Selbstverständlichkeiten zu lösen – Bewährtes und Gelerntes haben nicht länger Bestand. Und durch viel schnellere Innovations­abfolgen gilt es, die Route-to-Market und gewohnte Vermarktungsmechanismen neu zu denken.

Inwiefern dient einem etablierten Unternehmen mit langer Historie die Start-up-Mentalität mit agilen Methoden und flachen Hierarchien als Beispiel bei der Veränderung der Unternehmenskultur?

David O’Neill: Einhergehend mit dem Einstieg in neue Kategorien erleben wir eine Diversifizierung der Unternehmenskultur. Das tut uns gut. Wer neue Produkte und Angebote vermarkten will, kann sich nicht in angestaubten Strukturen bewegen. Das passt nicht. Ich erlebe in den Teams immer wieder so etwas wie Aufbruchstimmung oder auch kreative Ansätze, die erst einmal kein „falsch“ kennen. Das motiviert das Team und sorgt für einen Spirit, der im besten Fall weitere Bereiche ansteckt.

Das Wachstum bei E-Zigaretten erfordert also or­ganisatorische und strukturelle Anpassungen?

Kaib: Während der deutsche Tabakmarkt jährlich einen kleinen Rückgang verzeichnet, bewegen wir uns mit der E-Zigarette in einem sehr dynamischen Markt mit Wachstumsraten von 15 bis 20 Prozent pro Jahr. Natürlich profitieren wir von dieser Entwicklung. In diesem Geschäftsjahr werden wir unseren Umsatz in den neuen Kategorien voraussichtlich sehr deutlich steigern können. Gleichzeitig ist der Erhalt der Profitabilität des Tabakbereichs von enormer Bedeutung, denn dieser war es – und wird es auch noch für einige Zeit bleiben –, aus dem wir die Transformation überhaupt finanzieren können. Beiden Bereichen mit ihren teils gegenläufigen Entwicklungen müssen wir strukturell Rechnung tragen. Oberste Priorität ist es, den Wandel ganzheitlich und langfristig zu betrachten und ihn vor allem gemeinsam mit den Mitarbeitern zu vollziehen.

„Plötzlich verkaufen wir ein Genussprodukt, das zugleich ein Technikprodukt ist.“

Wie sieht das in der Praxis aus?

Kaib: Gerade junge Kollegen finden das Arbeiten im Bereich neuartiger Erzeugnisse wie der ­E-Zigarette spannend. In Teilen profitieren sie von den Erfahrungen, die sie im Tabakbereich gesammelt haben; in Teilen arbeiten sie wie im Start-up und stehen jeden Tag vor neuen Herausforderungen, die es so in unserem Unternehmen noch nicht gab. Hier müssen strategische Komponenten mit Agilität und Flexibilität zusammentreffen. Wir versuchen, dafür die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, denn im Aufbau der für uns noch so jungen Kategorie sind wir auf motivierte, kluge Köpfe einfach angewiesen.

Welche Rolle spielt bei E-Zigaretten die User-Ex­perience?

O’Neill: Eine sehr große. Sie entscheidet darüber, ob der Konsument bei seiner Produktentscheidung bleibt oder weiterzieht. Insbesondere für Raucher, die in der E-Zigarette eine deutlich weniger schädliche Alternative suchen, ist die erste Erfahrung eine entscheidende. Wenn das Produkt nicht von Anfang an überzeugt, ist die Chance auf einen nachhaltigen ­Wechsel deutlich geringer. Dabei entscheiden viele Faktoren. Neben Geschmack und Dampfleistung spielen auch Design, Haptik, Bedienung und Größe eine Rolle. Das ist deutlich komplexer als beim Tabak.

Stichwort Verbraucherdaten: Diese zu erheben ist nur der erste Schritt, um die Customer-Journey erfolgreich zu gestalten. Ihre Verarbeitung ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Beziehung zum Kunden. Welche Strategie verfolgen Sie in dem Bereich?

O’Neill: Bei uns steht ein Thema im Mittelpunkt, das man auf den ersten Blick vermutlich nicht mit Daten in Verbindung bringt: die Gewährleistung des Jugendschutzes. Wie auch Zigaretten haben E-Zigaretten in den Händen von Kindern und Jugendlichen absolut nichts zu suchen. Als Hersteller dieser Produkte sind wir uns bewusst, dass wir hier klar in der Verantwortung stehen. Die Digitalisierung bietet immer wieder Innovationsmöglichkeiten für unsere Produkte, die wir somit natürlich im Hinblick auf Markenbindung, aber auch auf Service und Produktkomfort optimieren wollen. Dennoch: Der wichtigste Grund 
für sorgsame Datenerhebung bleibt der Jugendschutz – zum Beispiel durch mehrschichtige Altersverifika­tionen im Online-Geschäft. Da gehen wir keine Kom­promisse ein und greifen auch auf Schufa-Daten für den Alters-Check zurück.

01.06.2019    Madeline Sieland
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