Person versteckt sich im Kissen
28.02.2020
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Purpose – ein Begriff, hinter dem aus meiner Sicht mehr steckt als nur ein Management-Trend. Anders als bei der Corporate Social Responsibility richten sich beim Purpose, was mit dem Sinn oder Daseinszweck eines Unternehmens zu übersetzen ist, die Botschaften des guten Handelns weniger nach außen: Sie sollen ins Unternehmen hinein Wirkung erzielen.

Es geht darum, welchen Sinn die Belegschaft – unabhängig von Hierarchieebenen – darin sieht, ihre Arbeitskraft in den Dienst des Unternehmens zu stellen. Es geht darum, was den Kern der Firma ausmacht, es geht um ein gemeinsames Wertegerüst, ums Mitmachenwollen. Umsatzrekorde und glückliche Aktionäre sind keine ausreichenden Unternehmensziele mehr. Sie sind die Ergebnisse guten Handelns.

Die Frage nach dem Warum

Der Prozess, Antworten auf die Frage nach dem Sinn der Arbeit zu finden, sollte von der Führungsebene angestoßen und moderiert werden. Um den Geist der Gemeinsamkeit im Unternehmen greifen zu können, muss der Entstehungsprozess aber unter Einbeziehung aller Firmenangehörigen stattfinden. Die entscheidende Frage im Prozess ist die nach dem Warum.

Der US-amerikanische Unternehmensberater Simon Sinek hat vor gut zehn Jahren das Prinzip des „Why? How? What?“ entwickelt und damit eine Basis für die erfolgreiche Purpose-Entwicklung geschaffen. Zunächst geht es laut Sinek stets um das Warum: Warum gibt es unser Unternehmen? Warum machen wir unseren Job mit Überzeugung? Die Fragen „Wie überzeugen wir am Markt?“ und „Was macht mein Unternehmen?“ sind danach meist wesentlich leichter zu beantworten.

Wir bei der Techniker Krankenkasse etwa sehen unseren Daseinszweck darin, Menschen zu helfen, gesund zu bleiben, und sie im Krankheitsfall bestmöglich zu versorgen. Darum tüfteln wir an besseren Versorgungsmöglichkeiten und wollen das Gesundheitssystem der Zukunft gestalten. Viele Mitarbeitende sprechen dabei vom „Technikergeist“. Dieser schafft ein starkes Zugehörigkeitsgefühl.

Der Corporate Purpose kann Mission-Statement und Vision des Unternehmens ergänzen. Schließlich geht es darum, den Mitarbeitenden zu zeigen, dass sie an einer großen Sache mitwirken. Derart altruistische Ansätze schaffen im besten Fall eine hohe Anziehungskraft – für Mitarbeitende, aber auch für Kunden und Partner, sie schärfen das Unternehmensprofil und sorgen für die nötige Abgrenzung im Wettbewerb.

Führung braucht einen Purpose

Abgrenzung zu schaffen – das ist ein Purpose-Mehrwert, den vor allem US-Konzerne entdeckt haben: Google will nicht der größte Suchmaschinenbetreiber sein, sondern „organisiert die Daten der Welt“. Amazon möchte nicht als größter E-Commerce-Anbieter gesehen werden, sondern hat die „höchste Kundenzufriedenheit“ als Ziel. Und Tesla will nicht weltweit führender Anbieter von E-Mobilität sein, sondern „den Übergang zu nachhaltiger Energie beschleunigen“.

Als Krankenkasse haben wir per se eine sinnstiftende Mission: Menschen die benötigte medizinische Versorgung zu ermöglichen – auf Basis des Solidaritätsprinzips, gestützt durch das System der Selbstverwaltung und ohne Profitorientierung. Aber auch wenn sich der Daseinssinn einer Krankenkasse schneller erschließt als etwa bei einem hoch diversifizierten Konsumgüterhersteller, arbeiten wir an der Schärfung unseres Purpose.

Denn unser ausschließliches, wichtigstes Kapital sind die Mitarbeitenden. Es geht dabei um eine verbindende Haltung, welche die Vielschichtigkeit unserer Arbeit zum Ausdruck bringt und unsere Vision widerspiegelt, wie die Krankenkasse der Zukunft aussehen wird. Kurz gesagt: Purpose-Entwicklung in einem Unternehmen und einer Branche inmitten der digitalen Transformation.

Die zunehmende Vernetzung, der intensivere Austausch unter den Abteilungen, immer neue Arbeitsformen und -prozesse erfordern einen angepassten Führungsstil. Die Rolle der Führungskraft als Vordenker und Kontrolleur der Zielerreichung wird abgelöst durch die des Ermöglichers und Coaches: Gemeinschaft formen und fördern, für Ideen begeistern, das für die Aufgabe nötige Arbeitsumfeld schaffen. Führung heißt heute umso mehr Arbeit an der Kultur eines Unternehmens.

Gemeinsamer Herzschlag nötig

Zudem gilt: Ein Purpose überlebt das Personalkarussell in Führungsmannschaften, er überstrahlt Transformationsprozesse, er schützt Bewährtes und schafft Stabilität, er bietet einen sicheren Heimathafen in Zeiten des Umbruchs. Dabei darf die Purpose-Formulierung nicht das Sinnerleben des einzelnen Mitarbeitenden außer Acht lassen: Welche Wirkung hat meine Arbeit für das große Ganze der Firma? Auch darauf muss die Purpose-Strategie Antworten finden.

Und dies ist nicht zuletzt durch neue Ansprüche im War for Talent nötig geworden. Die Generation Z, also die ab 1994 Geborenen, aus denen sich die Nachwuchskräfte rekrutieren, kommen mit mitunter neuen, eigenen Wertevorstellungen in Unternehmen und sorgen für einen Wertewandel. Die Wirksamkeit des eigenen Tuns, das Wohlergehen von Mensch und Umwelt ist ihnen ein Anliegen.

Sie erwarten Engagement von der Wirtschaft – und somit auch von ihrem Arbeitgeber. Es ist eine selbstbewusste und kritische Generation, mit dem enormen Potenzial der sozialen Vernetzung und mit globalem Denken. Attraktive Vergütung, flexible Arbeitszeiten und eine gut austarierte Work-Life-Balance reichen dieser Generation nicht mehr, um sich an ein Unternehmen zu binden.

Es kommt also weniger darauf an, was wir tun, sondern, welchen Sinn wir darin erkennen. Laut einer Umfrage des „Handelsblatts“ aus dem vergangenen Jahr haben 18 der 30 Dax-Unternehmen einen Sinn für sich entwickelt. Das ist aus meiner Sicht noch zu wenig. Studien belegen, dass Firmen, die einen Unternehmenssinn etabliert haben, mehr Umsatz erzielen oder eine bessere Aktienkursentwicklung aufweisen. Eine gute Purpose-Strategie ist also ein wichtiger Erfolgsfaktor in einer sich in immer höherem Tempo wandelnden Arbeitswelt.

Jeder hat das Recht, zu wissen, welchen Mehrwert seine Arbeit hat. Purpose schafft einen gemeinsamen Herzschlag und eine Bindung an das Unternehmen. Es geht um mehr als „nur“ ein gemeinsames Ziel. Es geht um den Sinn, warum wir jeden Morgen aufstehen, motiviert und allen Unwägbarkeiten trotzend den Weg zur Arbeit finden.

Zur Person

Dr. Jens Baas

Der Arzt und ehemalige Partner der Unternehmensberatung Boston Consulting Group gehört seit 2011 dem Vorstand der Techniker Krankenkasse an und ist seit Juli 2012
ihr Vorstands­-
vor­sitzender

28.02.2020
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