Ein Mann läuft gegen den Strom und schlägt einen neuen Weg ein
08.09.2020    Madeline Sieland
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Ein Schwarzseher ist Matthias Horx definitiv nicht. Der Zukunftsforscher setzt auf das Prinzip Hoffnung. Kurz nach Beginn der Coronakrise Mitte März, als Angst in der Bevölkerung vorherrschte, machte Horx mit einem Essay von sich reden. In „Die Welt nach Corona“ zeichnete er ein überraschend positives Bild der Nach-Krisen-Zeit. Zentrale These: Solche Krisen bergen enorme Transformationschancen. Seine Zwischenbilanz nach gut einem halben Jahr: „Bis jetzt lag ich im Grunde genommen nicht so falsch“, sagt Horx. Im Gespräch erklärt er, was sich in den letzten Monaten verändert hat und worauf sich die Menschen jetzt einstellen sollten.

Zur Person

Ein Portrait von Matthias Horx

Matthias Horx

ist Trend- und Zukunftsforscher sowie Autor
von mehr als 20 Büchern. 1998 gründete er das Zukunftsinstitut
in Frankfurt am Main und in Wien,
wo er mit seiner Familie lebt

Wurde besonders zu Beginn der Krise im Frühjahr zu viel Angst verbreitet?

Matthias Horx: In der Situation war es richtig, Angst zu machen. Angst ist ja etwas Gutes. Es ist das, was uns die Evolution als Möglichkeit mitgibt, um die Wahrnehmung hochzufahren. Aber Angst kann man nicht lange aushalten. Irgendwann fängt das Hirn an zu arbeiten, man wird kreativ, reagiert auf die neue Umwelt.

Wie schauen wir in einem Jahr auf die Krise zurück?

Horx: Die Zukunft – so meine These – liegt nicht vor uns, sie liegt in uns. Wir müssen sie nur sichtbar machen und in Handlungen übersetzen. Entscheidend wird sein, ob sich in unserem Inneren eine neue Weltsicht verfestigt. Denn besser wird es nur, wenn wir uns im Kopf verändern. Und dann werden wir in einem Jahr merken, wie viel Positives diese Krise gebracht hat.

Was ist jetzt schon anders?

Horx: Eine ganze Menge. Das gesellschaftliche Klima ist zukunftsoffener. Das Vertrauen in Politik, die Bereitschaft, gesellschaftliche Zusammenarbeit aktiv zu bejahen, hat sich erhöht. Der Populismus wirkt plötzlich als das, was er ist: eine zerstörerische Negativität, mit der man keine Krisen bewältigen kann. Viele Menschen sind jetzt bereit, existenzielle Lebensfragen ernst zu nehmen: Wie will ich leben? Wie will ich mich ernähren? Welchen Urlaub brauche ich wirklich? Welche Konsequenzen ziehe ich aus der Überbeschleunigung unseres Lebens, aus den ständigen Steigerungen und Extremisierungen von Konsum? Wie gehe ich mit den Medien um, lasse ich mich immer weiter verängstigen? Tiefenkrisen wie Corona erzeugen Shifts in Wertesystemen – mit der Bereitschaft, Wandel nicht nur zu ertragen, sondern auch zu gestalten. Das heißt genauso, das eigene Verhalten, die Lebensweise zu prüfen. Nicht alle tun das, aber erstaunlich viele.

Wie hat Corona schon zuvor existierende Mega­- trends beeinflusst?

Horx: Beispiel Globalisierung: Diese langen Wertschöpfungsketten, mit denen Einzelteile um die Welt transportiert und dann zu einem Auto zusammen­gebaut werden – das ist vorbei. Corona entschleunigt die Globalisierung. Wir werden künftig mehr „Glokalisierung“ sehen. Heißt: Logistiker fangen an, Lager zu bauen; wir holen Produktion zurück aus dem Ausland.

Was ist mit der Digitalisierung?

Horx: Wir haben zehn Jahre Digitalismus hinter uns, in denen jeder, dem nichts Besseres einfiel, gesagt hat: „Das Digitale wird alle Probleme lösen.“ Wir erleben aber etwas anderes: Die Veränderung unseres sozialen Lebens im Lockdown, die Tatsache, dass wir anders kommunizieren, uns einander zuwenden, lässt uns erahnen, dass Künstliche Intelligenz eben nicht alles lösen kann. In der Konsequenz sehen wir einen Shift zur humanen Digitalisierung europäischer Prägung. Es geht darum, das Ins­trument des Digitalen mehr im Sinne des Menschlichen, des Mitein­anders, der Konstruktivität einzusetzen. Diese Debatte ist in vollem Gange. Und an solchen Metatrends werden sich Geschäftsmodelle in Zukunft orientieren.

Kann Europa nach der Coronakrise ein technologisches Gegengewicht zu den USA und China bilden?

Horx: China setzt mit Vollgas auf Technologie und nutzt sie auch für unterdrückerische Zwecke. Und ich glaube, dass Technologie in den USA stellenweise fatale Wege genommen hat. Die Entwicklung der sozia­len Netzwerke etwa hat Gesellschaft und Kultur zerstört. Es heißt immer: Warum haben wir in Europa kein Facebook? Ich sage Ihnen eines: Ich will gar kein Facebook! Ich warte immer noch auf ein wirklich soziales Netzwerk. Momentan sind das nämlich unso­ziale Netzwerke, Hassnetzwerke, Lügennetzwerke. Wenn, dann will ich ein anderes, ein europäisches System, was unsere Kultur und die Menschen besser mit Technologie verbindet. Dann kämen auch die richtigen Zukunftsanwendungen dabei heraus.

Vor der Coronakrise war Nachhaltigkeit das domi­nierende Thema. Wie geht es damit weiter?

Horx: Das, was wir Green Deal nennen, wird sich in den nächsten Jahren von Europa aus massiv beschleunigen. Im Grunde ist das jetzt nur die ­Übungskrise für die Auseinandersetzung mit der Erd­erwärmung. Wenn es mit vereinten Kräften möglich war, Infektionskurven abzuflachen, stellt sich natürlich die Frage: Schaffen wir das nicht mit der Erderwärmung ebenso?

08.09.2020    Madeline Sieland
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