Ein Mann meditiert auf einem Perg
22.10.2019    Thomas Eilrich
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Nach 30 Jahren ein komplett neues Leben beginnen – so eine 180-Grad-Wende erfordert Mut. Anselm Bilgri, einst Benediktinermönch, hat es gewagt. 2004 ist er aus dem Orden ausgetreten. Heute unterstützt er mit der „Akademie der Muße“ Menschen bei der Suche nach der richtigen Balance zwischen Leben und Arbeiten. Ein Gespräch über Entschleunigung und darüber, wie geistliche Regeln das digitale Heute prägen können.

Zur Person

Portrait von Anselm Bilgri

Anselm Bilgri

war bis 2004 Benediktinermönch und Prior des Klosters Andechs. Seit dem Ordens­austritt ist er unter anderem als Coach und Speaker tätig. 2013 hat er in München die „Akademie der Muße“ gegründet

DUB UNTERNEHMER-Magazin: Was lässt sich aus den Organisations- und Führungsprin­zipien von Orden für das digitale Heute anwenden?

Anselm Bilgri: Orden sind mit die am längsten bestehenden Organisationen unseres Kulturkreises. Die Benediktsregel ist das einzige Organisations- und Führungshandbuch des frühen Mittelalters. Nicht nur Mönche, auch andere Menschen in Verantwortungspositionen haben sich immer schon daran orientiert. Es geht im Grunde darum, Mitarbeiter und vor allem sich selbst zu führen und dabei die vorhandenen Talente zu fördern. Gerade Letzteres wird in der digitalen Zukunft besonders gefordert sein.

New Work ist in aller Munde. Dies beinhaltet neben vielem anderen in aller Regel mehr Freiheiten, aber auch höhere Erwartungen an den Mitarbeiter. Wie lässt sich ein solcher Wandel in den Köpfen von Führung und Mitarbeitern begleiten und gestalten?

Bilgri: Führen wird in Zukunft viel mehr als früher bedeuten, Menschen zu mehr Selbstverantwortung zu befähigen. Das Zauberwort dafür lautet: Vertrauen. Es ist eine alte Tatsache: Nur wer Vertrauen schenkt, wird Vertrauen zurückbekommen. Die Zeiten der Misstrauenskultur und der Beurteilung von Arbeit nach Präsenz vor Ort sind vorbei.

Welche Rolle räumen Sie dem aktuell viel diskutierten Thema Diversity in einer modernen Führung ein? 

Bilgri: Dies ist ein uraltes Führungstool. Schon Benedikt fordert in seiner Regel vom Abt des Klosters die „discretio“, also die Gabe der Unterscheidung. Die Führungskraft muss die Unterschiedlichkeit der Mit­ar­beiter wahrnehmen und sie zu einer Wertegemeinschaft formen, bei der jeder seine Fähigkeiten einbringen kann und soll.

Der digitale Wandel bringt auch gesellschaftliche Umwälzungen mit sich. Welche Gefahren sehen Sie darin?

Bilgri: Es werden zwar neue Berufe entstehen, aber nicht alle Arbeitsplätze, die wegfallen, können substi­tuiert werden. Das heißt, vor allem Berufe mit mitt­leren Anforderungen sind gefährdet. Dies könnte zu sozialen Verwerfungen führen. Hier werden Politik und Wirtschaft gefordert sein, mit zukunftsorientierten Lösungen zu reagieren. Ich denke da vor allem an die Diskussion um das Grundeinkommen, die er­staun­licherweise von Dax-Vorständen angestoßen wurde.

Die Informationsflut und die ständige Erreichbarkeit über die modernen Medien führen zu einer enormen Inanspruchnahme der Aufmerksamkeit. Ist das „alter Wein in neuen Schläuchen“, sprich: Ging es unternehmerisch Denkenden nicht schon immer so?

Bilgri: Früher bekamen wir Unmengen von Post, die sich auch gestapelt hat. Wir müssen lernen, mit der digitalen Informationsflut ebenso selektiv umzugehen. Was hilft: Nicht sofort auf jede E-Mail oder WhatsApp-Nachricht antworten, sondern sich ähnlich viel Zeit lassen wie beim Öffnen und Bearbeiten von postalischen Informationen. Und die Bearbeitung in einem fest umgrenzten Zeitfenster bündeln.

Wie beurteilen Sie die Debattenkultur in der heutigen Gesellschaft, gerade auch in den sozialen Medien?

Bilgri: Sicher gibt es niveaulose Kampagnen in den sozialen Medien, aber auch Beispiele gelungener Debatten und zukunftsorientierter Aktionen. Man mag zu den „Fridays for Future“-Demos der Schüler stehen, wie man will, aber Wirkung in unsere Gesellschaft hinein wird man ihnen nicht absprechen können. Oder nehmen Sie „Pulse of Europe“. Da wird einmal für etwas demonstriert statt gegen etwas. Vielleicht ist die Ära der starken Typen wie Helmut Schmidt oder Franz Josef Strauß einfach vorbei und wird durch neue Formen der Willens- und Meinungsbildung ersetzt, an die wir uns erst gewöhnen müssen.

Stichwort Entschleunigung: Trend ist, sich mit fernöst­lichen Entspannungs-, Atmungs- oder Fokussierungstechniken zu beschäftigen. Was bietet unser mitteleuropäisches kulturelles Erbe in dieser Hinsicht?

Bilgri: Alle Kulturen und Religionen haben Meditationstechniken entwickelt. Allerdings wurden diese Dinge früher eher im „inner circle“, also bei Mönchen, Sufis und Gurus praktiziert. Diese sitzenden Traditio­nen sind überall sehr ähnlich. Ich glaube schon, dass westliche Methoden, wie sie bei den verschiedenen Orden zu finden sind, etwa den Karmeliten oder Jesuiten, auch für unseren Kulturkreis Zugänge zu Entschleunigung eröffnen können.

Was ist Ihr Rezept für ein glückliches, erfülltes und erfolgreiches Leben?

Bilgri: Ich könnte sehr banal mit dem Spruch eines katholischen Heiligen aus dem 19. Jahrhundert antworten. Johannes Bosco, Gründer des Salesianer­ordens, sagte: „Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen.“ Oder sehr philosophisch das Postulat der heiteren Gelassenheit reklamieren: das Leben mit einer Portion Humor aktiv gestalten, dabei loslassen vom krampfhaften Bemühen und akzeptieren, dass andere Menschen anders sind.

22.10.2019    Thomas Eilrich
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